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Pseudo-Wahrheiten über den IS

 

Die jüngsten Festnahmen dreier Terrorverdächtiger in Deutschland sind besorgniserregend, denn sie basieren auf den Aussagen eines Aussteigers, der als glaubwürdig eingeschätzt wird. Er hat geholfen, die drei Männer in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zu finden. Er sagt, sie alle vier seien ursprünglich von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) aus Syrien ausgesandt worden, um in Deutschland einen Anschlag zu planen. Die Zelle hätte demnach über Anschläge in der Innenstadt von Düsseldorf nachgedacht.

Noch ist nichts bewiesen – weder das Anschlagsszenario, noch die IS-Mitgliedschaft der Verdächtigen. Sicher ist nur: Die Männer sind als Flüchtlinge nach Europa gelangt. Über die Balkanroute. Als Teil des großen Trecks.

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, hat nun davor gewarnt, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen. Dagegen ist nichts zu sagen. Wachsamkeit ist angemessen, generelle Vorbehalte nicht. Schließlich wissen wir, dass zwei Paris-Attentäter ebenfalls als Flüchtlinge einreisten. Wir vermuten, dass zwei in Österreich festgehaltene angebliche Flüchtlinge ebenfalls einen IS-Bezug haben. Und wir haben Grund zu der Annahme, dass das belgisch-französische Netzwerk des IS auch im vergangenen Jahr in Deutschland eine geringe Zahl potenzieller IS-Kämpfer, die als Flüchtlinge kamen, eingesammelt hat.

Allerdings sagte Wendt auch:

Es sei ganz offensichtlich die Strategie des „Islamischen Staates„, Flüchtlinge zu diskreditieren, indem die Terrormiliz eigene Leute als Asylbewerber nach Europa einschleuse.

Das hingegen ist, mit Verlaub, nicht richtig. Es ist keineswegs „offensichtlich“, was die Strategie des IS ist. Ich kenne jedenfalls keine Aussage eines verhafteten Rückkehrers, keine Hinweise eines IS-Aussteigers, keine Äußerung eines IS-Führers, die es erlauben würde, es als „offensichtlich“ hinzustellen, dass der IS auf diese Weise Flüchtlinge diskreditieren will. Vielleicht weiß Herr Wendt mehr, aber dann wäre es angebracht, dass er etwas mehr zu seiner Quellenlage sagt.

In Wendts Äußerung spiegelt sich eine Vermutung, eine Hypothese, die auch aus den deutschen Sicherheitsbehörden zu vernehmen ist. Aber es ist eben nicht mehr als das. Sie ist geboren aus der Überraschung darüber, dass der IS den Flüchtlingsstrom überhaupt ausgenutzt hat, wo doch die (berechtigte) Annahme besteht, die Terrorgruppe verfüge über ausreichend Geld und andere Ressourcen, ihre Kader auf weniger gefährlichen Wegen nach Europa zu schaffen.

Aber es ist keine gute Idee, in den IS Dinge hineinzulesen, für die wir jenseits unserer eigenen Spekulationen keine vernünftigen Belege haben.

Möglich, dass der IS so tickt, wie Wendt es insinuiert. Möglich, dass er ganz andere Gründe hat, den Flüchtlingstreck zu nutzen, die wir gar nicht kennen.

Das eigentlich Überraschende an diesem konkreten Fall ist ohnehin etwas anderes: Dass es sich nach allem, was wir wissen, bei den Festgenommenen um Syrer handelt, die nie zuvor über einen längeren Zeitraum in Deutschland gelebt haben, sich hier mithin auch nicht so gut auskennen wie beispielsweise die Paris-Attentäter. Dieses Vorgehen widerspricht der bisher bekannten IS-Vorgehensweise. Was es bedeutet, wissen wir aber auch noch nicht.

Ich weiß, es ist etwas ermüdend, aber es ist wichtig: Hüten wir uns vor zu schnellen Schlüssen, sie gerinnen zu schnell zu einer gefühlten Wahrheit – und beeinträchtigen den analytischen Blick mehr als dass sie helfen, den Terror zu verstehen.