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Terrorwaffe Auto

 

Seit es Terrorismus gibt, ist er auf perfide Art und Weise innovativ. Die Idee, dass man Bomben auf Fortbewegungsmittel platzieren könnte, ist keineswegs neu, wird aber von Terroristen stetig weiterentwickelt. Am 24. Dezember 1800 versuchten Royalisten zum Beispiel Napoleon mithilfe eines Sprengsatzes auf einem Pferdewagen zu töten. Und 1905 verübten armenische Separatisten den vermutlich ersten Anschlag mithilfe einer Autobombe, ihr Ziel war der osmanische Sultan Abdulhamid II.

In der jüngeren Vergangenheit gab es etliche Gruppen, die Sprengsätze in Autos versteckten oder mit Sprengsätzen beladene Fahrzeuge in ihre Ziele steuerten. Die Provisional IRA zählt dazu, ebenso wie die Stern Gang in Palästina vor der Gründung Israels oder der Superterrorist Carlos („Der Schakal“), die libanesisch-schiitische Amal setzte sie gegen US Marines im Libanon ein, es ist eine erschütternd lange Liste.

Dschihadistische Gruppen wie Al-Kaida oder der „Islamische Staat“ (IS) haben sich darauf spezialisiert, Selbstmordattentäter in mit Bomben beladene Fahrzeuge zu setzen und in ihr Ziel fahren zu lassen. Das erhöht die Zielgenauigkeit, die Dschihadisten sprechen in diesem Zusammenhang gerne von „unseren Smart Bombs“ oder „unseren Guided Missiles“. Allerdings hat zumindest der IS auch mit ferngesteuerten, bombenbeladenen Autos experimentiert, wie ein geleaktes Video vor einiger Zeit dokumentierte.

Seit mehreren Jahren rufen sowohl Al-Kaida als auch der IS freilich dazu auf, Fahrzeuge selbst als Waffe zu verwenden, also ohne Sprengstoff. Diese Aufrufe stehen in engem Zusammenhang mit dem Ziel, Sympathisanten im Westen dazu zu ermutigen, selbständig Attentate und Terrorakte zu planen, die deswegen möglichst simpel sein sollen.

Die erste entsprechende Aufforderung findet sich nach meinen Recherchen in der zweiten Ausgabe des Terror-Magazins Inspire, das Al-Kaida herausgibt. Schon 2010 hieß es dort: „Die Idee ist, einen Pick-up-Truck als Mähmaschine zu verwenden, aber nicht um Rasen zu mähen, sondern die Feinde Gottes.“ Diese Idee lasse sich gut in Ländern wie Israel, den USA, Großbritannien, Kanada, Frankreich, Deutschland oder den Niederlanden umsetzen. Mit einem möglichst großen Fahrzeug in eine Fußgängerzone zu rasen, wäre „fabelhaft“, schrieben die Kaida-Kader. (In Inspire wurde später auch die Idee lanciert, Öl auf Autobahnen auszugießen, um Massenunfälle zu verursachen.)

Der IS, der in noch intensiverer Weise als Al-Kaida seine Sympathisanten dazu aufruft, selbst aktiv zu werden, hat diese Idee übernommen. Schon 2014 erklärte IS-Sprecher Al-Adnani in einer Rede: Wer nicht in der Lage sei, eine Patrone oder einen Sprengsatz zu organisieren, der solle seine Feinde (Amerikaner, Franzosen oder „ihre Alliierten“) direkt angreifen. Man solle ihnen mit Steinen die Schädel einschlagen, sie mit Messern attackieren oder eben mit dem Auto überfahren.

In einem Propagandavideo gab es wenig später eine Erneuerung dieser Botschaft. Autos seien einfach verfügbar und Ziele auch, hieß es darin.

Noch ist nicht vollständig sicher, dass es sich bei dem Anschlag von Nizza um einen IS-Anschlag handelt. Aber der Modus Operandi passt genau: Frankreich als Ziel, ein schweres Fahrzeug als Tatwaffe, ein symbolisches Datum (Bastille-Tag).

Der Eiswagen, der dabei zum Einsatz kam, wurde offenbar vor wenigen Tagen gemietet. Dieser Umstand deutet an, wie schwierig es ist, solche Anschläge zu vereiteln. An welchem Punkt soll man Verdacht schöpfen? Wenn ein Mann mit arabischem Namen einen Lkw mietet?