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Wie eine Anti-IS-Karikatur zum Rohrkrepierer wurde

 

Eine ganze Reihe arabischer Intellektueller, Komiker und Satiriker sind in den letzten Jahren zu dem Schluss gekommen, dass hintergründiger Humor eine mächtige Waffen gegen die Mörderbande des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) sein kann. Dass das auch schiefgehen kann, lässt sich gerade in Jordanien beobachten, wo der Fall des Kolumnisten Nahed Hattar eskaliert.

Was ist geschehen? Nahed Hattar, ein bekannter Linker und bekennender Anhänger des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist, hatte am vergangenen Freitag eine Karikatur auf seiner Facebook-Seite geteilt, die den selbstgefälligen Extremismus des IS aufzuspießen versucht. Das Problem: Durch die Zeichnung (die gar nicht von Hattar selbst stammt) fühlten sich nicht nur Extremisten, sondern auch viele einfache Gläubige beleidigt. Hattar wurde am Sonntag in Gewahrsam genommen, ihm droht eine Anklage wegen Religionsbeleidigung.

Auf der Zeichnung ist Folgendes zu sehen: Auf einem Bett in einem Zelt liegt, neben zwei unverschleierten Frauen, ein giftig dreinschauender, bärtiger Mann, der offensichtlich einen Dschihadisten darstellen soll. Um das Bett herum stehen Obst, gebratenes Geflügel und eine Karaffe mit Wein bereit. Durch einen Spalt in der Zeltwand wendet sich – nun ja, Gott höchstpersönlich, mit weißem Rauschebart und Krönchen auf dem Kopf, an den Mann: „Abu Saleh, brauchst du noch irgendetwas?“ – Und in der Tat, Abu Saleh hat noch Wünsche: „Jawohl, Herr, bitte noch ein Glas Wein von da drüben, und (der Erzengel) Gabriel soll mir ein paar Cashewnüsse fertigmachen.“

Für den Kontext ist wichtig, dass über der Karikatur eine Notiz steht: „Im Paradies“. Es ist nicht vollständig klar, wer der Urheber der Karikatur ist, aber bevor sie auf die Facebook-Seite von Hattar gelangte, ist sie mehrfach geteilt worden, und wurde dabei zumeist mit Kommentaren versehen, die klarmachten, dass die Zeichnung als Karikatur über den IS zu verstehen sei oder jedenfalls so verstanden wurde: Diese Extremisten sind derart extrem und so arrogant, dass sie sich in ihren Fantasien zu Herren selbst im Paradies aufschwingen. So ist die Zeichnung offenbar gemeint gewesen.

Aber es ist in der gesamten muslimischen Welt ein Sakrileg, Gott bildlich darzustellen. Und dann auch noch als einen „Gott“, der sich einem Menschen auf diese Weise unterordnet – das ist für viele selbst als Satire nicht akzeptabel. Das empörte Echo war entsprechend laut. Die Muslimbruderschaft kritisierte Hattar ebenso wie radikale Salafisten; IS-Anhänger forderten auf Twitter seinen Tod; aber auch viele nicht radikale Gläubige kritisierten Hattar, etwa unter dem Twitter-Hashtag „Nahed Hattar repräsentiert uns nicht“. Unterstützung bekam der linke Kolumnist kaum.

Auch viele jordanische Christen (Hattar ist selbst Teil dieser Minderheit) halten die Verbreitung der Karikatur für keine gute Idee – sie stelle, so der Tenor, eine unnötige Provokation dar. In Jordanien leben Muslime und Christen weitestgehend friedlich nebeneinander; aber angesichts der Lage in einigen Nachbarstaaten, in denen die interkonfessionelle und interreligiöse Gewalt stark zugenommen hat, gilt es als tabu, dieses Nebeneinander zu belasten. Es hilft Hattar auch nicht gerade, dass er als Provokateur bekannt ist. Vor einigen Jahren forderte er zum Beispiel die rechtliche Schlechterstellung von Jordaniern palästinensischer Herkunft – ein ebenfalls heikles Thema.

Hattar erklärte, bevor er sich schließlich selbst den Behörden stellte, er habe keine religiösen Gefühle verletzen wollen, er sei missverstanden worden. Er habe bloß offenlegen wollen, wie der IS sich „Gott und den Himmel vorstellt“. Nun vertraue er sich der Justiz an. Beobachter hier in Jordanien tendieren zu der Ansicht, dass eine Verurteilung nicht unwahrscheinlich ist. Das jordanische Gesetz verbietet die Veröffentlichung von Material, Bildern und Zeichnungen, die den Zweck haben, religiöse Gefühle oder Bekenntnisse zu verletzen.

Gegenüber The National, einer in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden Publikation, sagte Oraib al-Rantawi, der Direktor des Al-Quds Centre for Political Studies: „Es besteht kein Zweifel, dass der Cartoon eine Verletzung des Gesetzes darstellt, aber die öffentliche Reaktion war übertrieben (…). Manchmal ist die Reaktion schlimmer als die Aktion selbst.“ Er hoffe auf einen „weisen Umgang“ aller Beteiligten mit dem Fall.