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Gier ist auch nicht besser

 

AfD-Politiker und andere organisierte wie freischaffende Islamophobe nutzen seit Jahr und Tag alles, was irgendwie nach einem möglichen islamistischen Anschlag aussieht, um daraus ihr Süppchen zu kochen. Oft schon bevor klar ist, was der tatsächliche Hintergrund einer Tat ist. Hinterher sind sie dann stolz, wenn sie richtig geraten haben. Oder still, wenn sie falsch lagen.

Gern wird dabei sarkastisch gepostet und getwittert: Bestimmt wieder nur ein „Einzelfall“! Da hat uns wohl mal wieder einer „kulturell bereichert!“ Und „natürlich“ hat das alles wieder „rein gar nichts mit dem Islam“ zu tun!

Jetzt ist genau dieser Fall eingetreten: Bei dem Attentäter, der Sprengsätze in der Umgebung des Busses der Dortmunder Fußballmannschaft gezündet hat, handelt es sich offenbar um einen 28 Jahre alten Deutschrussen, der aus Geldgier gehandelt hat, weil er sich in Folge des Anschlags einen Kurssturz der BVB-Aktie erhofft hatte.

Ist es da nicht verständlich, wenn nun einige von jenen, die sich – anders als die Rechtspopulisten – mit Verdächtigungen und Vorverurteilungen zurückgehalten haben, das Bedürfnis haben, den Spieß umzudrehen?

Nicht lustig

Die entsprechenden Tweets tippen sich ja geradezu von allein. Man muss nur ein paar Wörter austauschen und die Perspektive wechseln:

„Was wir jetzt brauchen, ist ein Register für kapitalistische Gefährder!“

„Kein Wunder, wenn Börsenkurse schon im Lehrplan auftauchen!“

„Was muss eigentlich noch passieren, bevor die Dax-Unternehmen sich von diesen Extremisten distanzieren?“

Die Absicht ist klar. Leider ist solcher Spott weder hilfreich noch wirklich lustig. Zum einen bleibt ein Anschlag ein Anschlag, egal wer ihn verübt hat. Es gab Verletzte, es hätte Tote geben können. Da ist Spott schwierig, selbst wenn er sich nicht gegen die Opfer richtet.

Zum Zweiten funktioniert die Analogie nicht. Der Anschlag von Dortmund war nämlich wirklich ein Freak-Fall, es gibt keine Präzedenz. Dschihadistische Anschläge in Europa sind hingegen keine Einzelfälle. Es ändert an der realen dschihadistischen Bedrohung gar nichts, wenn ein Deutschrusse auch einen Anschlag begeht. Genauso wenig wie der Amoklauf von München daran etwas geändert hat.

Mit Alkohol „rein gar nichts zu tun“?

Den islamophoben Netzaktivisten wird man nicht Herr, wenn man den Dschihadismus relativiert. Besser man kritisiert sie passgenau. Rechtsextreme Angriffe auf Flüchtlinge zum Beispiel sind keine Freak-Fälle. Wieso den Koran verbieten, aber Alkohol in Ostdeutschland erlaubt lassen? Wenn doch vor Gericht praktisch alle, denen man vorwirft, Brandsätze auf Heime geschleudert zu haben, erstaunlich oft behaupten, volltrunken gewesen zu sein. Was ist da los? Alles „Einzelfälle“? Hat mit Alkohol „rein gar nichts zu tun“? So lässt sich der Verallgemeinerungsirrsinn der Rechtspopulisten besser bloßstellen.

Bei einem Anschlag sollte es gar nicht darum gehen, wer richtig rät oder am genauesten ahnt oder in seinem linken Bein spürt, was der wahre Hintergrund ist. Vielleicht bringt der Anschlag von Dortmund diesen Gedanken ein paar mehr Menschen nahe als es vorher der Fall war. Das wäre ja schon etwas.