Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ein Imam unter Verdacht

 

Seit April 2017 sitzt der Leipziger Imam Abu Adam in Spanien in Untersuchungshaft – er soll den IS unterstützt haben. Ist der selbst ernannte Deradikalisierer in Wahrheit ein Terrorist? Folge 1 unseres Ermittlungsblogs

Von Yassin Musharbash

 

Hesham Shashaa alias Abu Adam

 

Im arabischen Alphabet ist das H der letzte Buchstabe. Hesham Shashaa hat darunter als Schüler gelitten, weil er deswegen immer als Letzter drankam. Seinen eigenen Kindern gab er darum Vornamen, die allesamt mit A beginnen.

Die Anekdote ist typisch für Hesham Shashaa: Wenn er ein Problem sieht, sucht er den kürzesten Weg zur Lösung. Oder zu dem, was er für eine Lösung hält.

Jetzt hat er es mit einem Problem zu tun, für das er keine Lösung hat: Seit dem 26. April 2017 sitzt er in Spanien in Untersuchungshaft. In einem Dokument des Ermittlungsgerichts in Madrid, das ZEIT ONLINE vorliegt, ist von „Einbindung in die Terrorganisation Islamischer Staat“ die Rede; darüber hinaus von „Indoktrination“, „Verherrlichung des Terrors“ und „Terrorfinanzierung“.

Das sind schwere Vorwürfe. Der „Islamische Staat“ (IS) ist trotz des Zusammenbruchs seines Möchtegern-Kalifats im Nahen Osten die mächtigste und brutalste Terrorganisation der Welt. Abu Adam streitet die Terrorvorwürfe sämtlich ab.

Doch sie stehen in der Welt und wiegen umso schwerer, als sie einen Mann betreffen, der sich in Deutschland in den letzten Jahren ausgerechnet damit einen Namen gemacht hat, dass er junge Islamisten zu deradikalisieren versucht hat. Ist Hesham Shashaa, besser bekannt als Abu Adam, ein Wolf im Schafspelz?

Der Fall weist über den Einzelfall hinaus. Das „Kalifat“ des IS mag zerbröselt sein, die Ideologie des Dschihadismus wird den Nahen Osten, aber auch den Westen noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Deshalb ist die Frage, wie Extremisten deradikalisiert werden können, von großer Bedeutung. Wer ist geeignet für diese Aufgabe? Wer erreicht die Extremisten? Deradikalisierer müssen mit Leuten reden, die alle anderen als Gefahr sehen. Und bei dem Versuch, einem Extremisten eine Brücke zu bauen, müssen sie beide Brückenköpfe kennen: den im radikalen Lager, den im akzeptablen Lager. Damit bewegen sie sich zwangsläufig in einer Grauzone. Wenn die spanischen Ermittler nun Abu Adam absprechen, ein Deradikalisierer zu sein, sondern ihm stattdessen – ganz im Gegenteil – vorwerfen, zu radikalisieren, dann muss geprüft werden, ob hier die Grauzone als solche in die Schusslinie gerät, oder ob tatsächlich berechtigte Verdachtsmomente bestehen. Der Fall Abu Adam wird – so oder so – Auswirkungen auf die Diskussion um die Mammutaufgabe Deradikalisierung haben. Es lohnt sich, genau hinzusehen.

Hesham Shashaa alias Abu Adam ist 47 Jahre alt. Er wurde 1970 in Ägypten als Sohn einer palästinensischen Familie geboren, er wuchs auf in Libyen, studierte in Saudi-Arabien, Pakistan und den Vereinigten Arabischen Emiraten, er ist ein mehrfach zertifizierter muslimischer Religionsgelehrter und Imam (also Vorbeter). Im Jahr 2000 kam er als Asylbewerber nach Deutschland. Offiziell ist er staatenlos, er verfügt jedoch über eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.

Seit er in Deutschland lebt, seit 17 Jahren, fällt er auf – und eckt an.

Da ist schon mal sein Aussehen: Abu Adam ist ein Hüne mit langem, grauem Bart, der stets in traditioneller islamischer Kleidung und entweder einem rot-weißen oder weißen Tuch auf dem Kopf durch die Straßen geht. Er sieht aus, und das ist keine Übertreibung, als wäre er der kleine Bruder von Osama bin Laden. Tatsächlich soll die Polizei in Leipzig, wo er zuletzt gelebt hat, regelmäßig Anrufe erhalten haben, weil Bürger glaubten, sie hätten den Al-Kaida-Chef gesichtet.

Da ist des Weiteren der Umstand, dass er vier Frauen hat und 21 Kinder. Genauer: eine Ehefrau nach deutschem und drei weitere nach islamischem Recht, weil Vielehe in Deutschland verboten ist. Polygynie und vielfaches Kindergeld: Das erregt Emotionen.

Dann gab es da noch diesen Fall, der sich vor acht Jahren ereignete und in dessen Folge Abu Adam als „Prügel-Imam“ durch die Presse geisterte: In München, wo er damals lebte, zeigte ihn eine seiner Frauen an, weil er sie geschlagen habe. Abu Adam wurde in Untersuchungshaft genommen. Die Ehefrau brach im Prozess ein, sie zog die Anschuldigungen zurück, Fall geklärt, Abu Adam verkündete öffentlich, er vergebe der Frau und liebe sie noch immer. Aber natürlich bleibt immer etwas hängen. Auch die spanischen Behörden erwähnen diesen abgeschlossenen Vorgang.

Bin ich ihm auf den Leim gegangen?

Für die Sicherheitsbehörden ist Abu Adam seit jeher ein verzwickter Fall. Er wurde nie wegen eines Terrorverdachts angeklagt. Aber der bayerische Verfassungsschutz wirft ihm zum Beispiel vor, in der Moschee, die er einst in München gegründet hat, frauenfeindliche Predigten gehalten zu haben und das islamische Rechtssystem über das Grundgesetz zu stellen.

Das ist die eine Seite des Abu Adam: der mutmaßlich radikale Imam, den man nicht so recht zu fassen kriegt.

Es gibt jedoch eine zweite Seite, und die sieht so aus: zahlreiche öffentliche Vorträge, in denen er Frieden und Verständigung predigte, auch auf Einladung von über jeden Zweifel erhabenen Institutionen wie der Bundeszentrale für politische Bildung. Abu Adam saß schon mit Kirchenvertretern auf dem Podium, er teilte seine Erkenntnisse mit politischen Parteien, sogar Lehrer schulte er. Im Allgemeinen zur Zufriedenheit der Teilnehmer.

Zuletzt erreichte Abu Adam in Deutschland eine gewisse Bekanntheit, weil er – zumeist auf eigene Faust – junge Menschen, die dabei waren, sich zu radikalisieren, wieder einzufangen versuchte. Auch ich habe für die ZEIT darüber berichtet und Abu Adam zu diesem Zweck zwei Mal besucht. In meiner Reportage ging es um den Fall eines jungen, deutschen Konvertiten, der geplant hatte, sich zum Kämpfen nach Syrien aufzumachen, wovon Abu Adam ihn – so erzählte es der junge Mann selbst – abgehalten habe. (Auch dieser Fall taucht in den spanischen Akten auf. Ich werde ihn deshalb in der zweiten Folge dieses Blogs ausführlich behandeln.)

Und jetzt heißt es auf einmal: Abu Adam ist ein Terrorist. Sind wir ihm auf den Leim gegangen? Bin ich ihm auf den Leim gegangen?

Es ist kompliziert, und das nicht nur, weil Abu Adam kompliziert ist. So sind die spanischen Ermittlungsakten, die ich bisher kenne, keineswegs zwingend. An manchen Stellen sind sie fragwürdig.

Nur ein Beispiel: Als die spanische Polizei Abu Adam im April festnahm, beschlagnahmten die Beamten alle Datenträger, derer sie in seiner Wohnung habhaft werden konnte. In einem Datenträger stießen die Ermittler auf eine PDF-Version der 7. Ausgabe des Magazins Rumiyah, das der IS online verbreitet. Die spanischen Ermittler zitieren aus dem Magazin und weisen auf gewaltverherrlichende Passagen hin.

Sie erwähnen allerdings nicht Seite sechs der Ausgabe.

Aber auf dieser Seite hatte der IS unter anderem ein Foto von Abu Adam veröffentlicht. Darunter steht: „Tötet die Imame des Kufrs in Deutschland und Österreich“, womit nach Ansicht des IS vom Glauben abgefallene Islamgelehrte gemeint sind. Unter den Fotos sind Patronen und eine Pistole abgebildet. Und eine Blutspur.

Der IS will Abu Adam also tot sehen, während die spanischen Behörden ihn für einen IS-Unterstützer halten: Das ist die Ausgangslage dieser Recherche.

In einer Serie von Blogposts werde ich in den kommenden Wochen versuchen, Licht in die Affäre Abu Adam zu bringen: Um welche Vorwürfe geht es genau? Welche sind plausibel und welche fragwürdig? Wohin führen die Spuren, die die spanischen Ermittler entdeckt haben? Was sagen Menschen, die Abu Adam kennen, und was die deutschen Sicherheitsbehörden? Woher kommt das viele Geld, mit dem Abu Adam anscheinend ziemlich freihändig hantiert hat? Wieso hatte er Kontakt zu IS-Verdächtigen? Lässt sich das alles mit seiner Deradikalisierungsarbeit erklären, oder gibt es Zweifel?

Dieses Ermittlungsblog ist ausdrücklich ergebnisoffen und zugleich work in progress: Ich werde laufend von meinen Recherchefortschritten und -sackgassen berichten und da, wo es sich anbietet, außerdem auf die Berichterstattung anderer Medien eingehen. Ich mache das nicht zuletzt, weil ich selbst in der ZEIT über Adam berichtet habe. Ich will wissen, wie dieser Fall weitergeht.

In zwei Tagen, am Freitag, wird die zweite Folge dieser Recherche erscheinen: „Der Fall Peter“.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de