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Der Fall Peter

 

Einst hielt der Leipziger Imam Abu Adam den jungen Deutschen Peter davon ab, in den Krieg zu ziehen. Jetzt sitzt er selbst als Terrorverdächtiger in Untersuchungshaft.  Folge 2 unseres Ermittlungsblogs.

Von Yassin Musharbash

 

Islamismus: Der Fall Peter
Hesham Shashaa alias Abu Adam

„Ich habe bemerkt, dass sie mich beobachten“, tippt der junge Mann in sein Handy. „Von allen Seiten.“

Wer sind ‚die‘? Und was heißt das: ‚von allen Seiten‘?

„Immer wieder dieselben Personen, die an meinem Haus vorbeilaufen und schauen“, antwortet der junge Mann. „Auch Polizeiautos, die regelmäßig schauend vorbeifahren, die Polizisten mustern mich aus dem Auto heraus. Und ich hatte das Gefühl, dass Leute sich an mich angekoppelt haben, und dass man über mich befragt wurde.“

Der junge Mann, mit dem ich chatte, ist Peter, Mitte Zwanzig, Deutscher. Eigentlich heißt er anders. Aber als ich vor fast drei Jahren das erste Mal mit ihm sprach und für die ZEIT eine Reportage über ihn schrieb, bat er mich, ihm einen fiktiven Namen zu geben. Auch jetzt möchte er nicht, dass sein wahrer Name genannt wird.

An die 1000 Männer und Frauen sind den vergangenen Jahren aus Deutschland ausgereist und nach Syrien oder in den Irak gezogen; viele haben sich der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) angeschlossen. Peter wäre fast einer von ihnen geworden: „Ich hatte diesen Traum, einmal sagen zu können: Ich bin seit dreißig Jahren auf dem Schlachtfeld!“, sagte er mir 2014.

Aber er setzte seinen Plan nicht um. Und der Mann, der ihn davon abhielt, das sagt Peter selber, ist der Leipziger Imam Hesham Shashaa alias Abu Adam – der Mann mithin, um den sich dieses Blog dreht (Lesen Sie Teil 1 hier). Die Geschichte von Peter galt als Beleg dafür, dass Abu Adam etwas kann, was nicht viele Menschen können: Extremisten erfolgreich deradikalisieren.

Genau das steht freilich auf einmal in Frage. Genau genommen seit dem 26. April, dem Tag, an dem Abu Adam in Spanien wegen des Verdachts verhaftet wurde, den IS in Wahrheit zu unterstützen.

In den Akten der spanischen Justiz wird nun auch Peter als „Dschihadist“ charakterisiert. Die Ermittler halten es demnach für möglich, dass Peter doch in Syrien gewesen sei, auch wenn sie dafür keine Belege aufbieten. Sie bezeichnen ihn als „investigado“, was darauf hindeutet, dass auch gegen ihn ermittelt wird. In seiner Abwesenheit, das ist ebenfalls aktenkundig, haben die Ermittler seine Wohnung durchsuchen lassen.

Es ist also nicht abwegig, wenn Peter glaubt, ausgeforscht zu werden.

In dieser Folge des Blogs wird es um Peters Fall gehen. Und um alles, was daran hängt. Denn an dem Versuch, Peter zu deradikalisieren, war nicht nur Abu Adam beteiligt. Sondern auch
Claudia Dantschke, die Leiterin der Berliner Deradikalisierungs-Initiative Hayat.(*) Sowie Solveig Prass von der Beratungsstelle zu negativen Sekten und Kulten und extremistischen Gruppen, einem Projekt der Kinderveinigung Leipzig e.V., das bei der städtischen Jugendförderung angesiedelt ist. Und indirekt spielt auch noch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Rolle.

Alle stehen nun in der Kritik. Hayat habe den Fall Peter „offensichtlich nicht ausreichend kontrolliert“, moniert der MDR und problematisiert die Tatsache, dass die Initiative auch Steuergelder erhält. Hayat habe Abu Adam „labile Jugendliche anvertraut und viel Geld dafür bezahlt – Steuergeld“, empört sich der Bayerische Rundfunk.

Was genau ist passiert?

Der Fall „Peter“ beginnt damit, dass seine Mutter sich 2014 an den Verfassungsschutz wendet. Sie ahnt, dass er sich radikalisiert hat. Sie sucht Hilfe. Über den Verfassungsschutz kommt der Fall zur „Beratungsstelle Radikalisierung“, die im BAMF angesiedelt ist und den Kontakt zu jenen Deradikalisierungs-Projekten koordiniert, mit denen das BAMF zusammenarbeitet. Weil Peters Mutter in Sachsen lebt, und Hayat in dem Bundesland aktiv ist, landet der Fall dort.

„Ich sehe es in ihren Augen…“

„Wir haben dann erstmal eine Fallanalyse gemacht“, sagt Claudia Dantschke, die Leiterin von Hayat. „Der junge Mann war eng in eine radikale und zugleich kleinkriminelle Szene in einer westdeutschen Großstadt eingebunden. Er orientierte sich sehr eng an dem einschlägig bekannten Imam dieser Gruppe. Wir fanden, dass er hochgradig gefährdet war.“ Schnell sei man sich einig gewesen über das erste Ziel: Peter von der Szene zu isolieren.

Allerdings sei nirgendwo jemand zu finden gewesen, der Peter hätte stabilisieren können. Aus verschiedenen Gründen seien zum Beispiel die Mutter und Geschwister nicht in Frage gekommen, sagt Dantschke. Daraufhin reifte bei Hayat der Gedanke, dass vielleicht Abu Adam geeignet wäre, an die Stelle des radikalen Imams zu treten.

Und warum ausgerechnet Abu Adam?

Claudia Dantschke kannte Abu Adam damals schon gut zwei Jahre. Sie hatte ihn kennengelernt als einen orthodoxen, konservativen, aber dezidiert nicht-radikalen Islamgelehrten. „Ich habe ihn zwei Jahre lang intensiv geprüft“, sagt sie. „Ende 2013 habe ich ihn besucht, habe alle seine Frauen und alle seine Kinder kennengelernt. Ich habe ein langes Interview mit ihm zum Thema Deradikalisierung und zu seiner Art, das anzugehen, gemacht. Wir hatten einen ähnlichen Ansatz. Dass es vor allem auf stabilisierende Beziehungen ankommt, zum Beispiel.“

Abu Adam hatte sich tatsächlich schon Jahre zuvor zum Deradikalisierer erklärt. Die Moscheegemeinde in München, die er gegründet hatte, beschäftigte ihn als Anti-Extremismus-Beauftragten, was er offiziell bis heute ist. (Der Arbeitsvertrag liegt mir vor.) Die Spuren einiger Auseinandersetzungen, die Abu Adam in jenen Jahren anzettelte, lassen sich bis heute nachzeichnen. Auf Facebook attackierte er etwa regelmäßig Al-Qaida. Er schloss nach islamischem Recht eine Ehe zwischen einem Sunniten und einer Schiitin, was ihm harsche Kritik eines radikalen Imams einbrachte.

Im Moment ist es wegen der Untersuchungshaft nicht möglich, Abu Adam zu befragen. Aber als ich ihn 2014 traf, antwortet er auf meine Frage, wie er das mit dem Deradikalisieren mache, so: „Ich sehe es in ihren Augen, wenn sie radikal werden. Vor der Moschee zum Beispiel.“ Dann verwickele er sie in Gespräche, lasse sie spüren, dass er viel mehr Wissen über ihre Religion habe als sie. Dass sie einem Irrglauben aufgesessen seien, wenn sie dächten, es käme aufs Kämpfen an. Oder dass man keinen Kontakt zu Ungläubigen haben dürfe.

Nach und nach erreichten Abu Adam vermehrt Anfragen, als Referent über die Themen Islam, Islamismus und Radikalisierung zu sprechen. Anfang Juli 2014, just zu der Zeit, als der Fall Peter an Fahrt aufnahm, saß er etwa auf einer Fachtagung der Bundeszentrale für Politische Bildung in Bonn auf dem Podium. Teilnehmer hätten ihr gesagt, er habe eine „glänzende Figur“ gemacht, erinnert sich Dantschke.

Mit Abu Adam stand in Dantschkes Augen also auf der einen Seite jemand bereit, der theologisch versiert war, keine Berührungsängste mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft hatte, sich öffentlich für Dialog und gegen Extremisten aussprach – und, eine weitere wichtige Zutat, über spürbares Charisma verfügte. Auf der anderen Seite gab es einen Radikalisierungs-gefährdeten jungen Mann, der sich an männlichen Autoritätspersonen ausrichtete und dringend aus seinem radikalen Umfeld gelöst werden musste.

„Es lief gut“

„Ich habe also Peters Mutter mit Abu Adam zusammengebracht“, berichtet Dantschke. Drei Stunden hätten die beiden gesprochen. Dann habe die Mutter dem Plan zugestimmt, Peter mit Abu Adam bekannt zu machen. Auch diese Begegnung verlief erfolgreich: Peter war sofort von Abu Adam eingenommen; das sagt nicht nur Dantschke, das hat mir Peter 2014 selbst berichtet. Er stimmte zu, nach Leipzig zu ziehen, um in Abu Adams Nähe zu sein. Damit war das erste Problem, das Herauslösen aus seiner radikalen Umgebung, für den Moment geklärt.

Es gab jedoch weitere Schwierigkeiten, unter anderem finanzielle: Wovon sollte Peter, der Schulabbrecher, leben? Und wo?

Deshalb bezog Dantschke Solveig Prass ein, die sich ihrerseits bemühte, einen Platz in einer Jugend-WG für Peter zu finden. „Ich fand die Entscheidung, Abu Adam einzubeziehen, nachvollziehbar“, sagt Prass heute. Peter sei derart radikalisiert gewesen, dass er zum Beispiel mit ihr als Frau gar nicht reden wollte; Abu Adam habe ihm jedoch klargemacht, „er solle mit mir sprechen, auch wenn ich Christin bin, ich wolle schließlich helfen, das sei doch gut.“ Genauso sei Peter erst auf Abu Adams Drängen hin bereit gewesen, seine islamische Kleidung abzulegen und sich nach gängigeren Maßstäben anzuziehen, wenn er Termine bei Ämtern hatte.

Solveig Prass sagt, auch sie habe Abu Adam keinesfalls als Extremisten kennengelernt. Einmal habe sie mitgehört, wie er einen Anruf bekam: Ein Mann habe wissen wollen, ob es islamisch rechtens sei, wenn er Polizist würde. Ja, habe Abu Adam geantwortet – man müsse dem Land dienen, in dem man lebe. „Da kriegt man schon mit, was er für eine Einstellung hat“, sagt Solveig Prass.

Auch Solveig Prass versteht etwas von Deradikalisierung, es ist Teil ihres Jobs, neben Islamisten hat es sie auch mit Zeugen Yehovas oder Rechtsradikalen zu tun. In ihrem Büro gab es ungefähr zwölf Sitzungen mit Peter zum Zweck der Deradikalisierung. Bei bei den ersten sechs Terminen war Abu Adam dabei. „Es lief gut“, sagt sie im Rückblick.

Im Oktober 2014 allerdings erlitt Peter einen Rückfall. Abu Adam, so berichtet Claudia Dantschke, habe Peter davor bewahren können, sich wieder seiner alter Clique anzuschließen. Aber es war offen, wie es weitergehen sollte. Ein Problem ließ sich in Leizig nämlich nicht lösen: Als mehrfacher Schulabbrecher konnte Peter nicht mehr ins deutsche Schulsystem integriert werden, was ansonsten zu seiner Stabilisierung hätte beitragen können. „Der Deradikalisierungs-Prozess war damals noch extrem brüchig“, sagt Dantschke. Wegen familiärer Probleme sei Peter zudem praktisch obdachlos gewesen.

Abu Adam in Spanien. Das Bild entstand beim Besuch des Autors.

In dieser Zeit kam in Gesprächen zwischen Abu Adam, Solveig Prass und Claudia Dantschke eine neue Idee auf: Was wenn Peter in Spanien zur Schule gehen würde? Denn Abu Adam pendelte damals zwischen Leipzig und einem kleinen Ort nahe Alicante. Einige seiner Kinder besuchten dort eine englischsprachige, internationale Privatschule.

„Schwachsinn, Quatsch“

Der Plan wurde mit Peters Einverständnis umgesetzt, und Abu Adam meldete Peter an der Schule seiner Kinder an. „Die Hoffnung war, dass er dort Freunde finden würde“, sagt Dantschke. „Denn wir hatten durchaus Sorge, dass er sich zu eng an Abu Adam orientierte.“ Deshalb zog Peter in Spanien auch nicht bei Abu Adam ein, sondern eine kleine Wohnung einige Kilometer entfernt.

Kurz nach seinem Umzug nach Spanien habe ich Peter und Abu Adam dort besucht. Peter ging es gut, er war zufrieden. Er haderte allerdings damit, dass er alleine leben sollte. Er hätte gerne mehr Kontakt zu Abu Adam gehabt.

Das sagte er mir damals schon, und darüber hegt er bis heute tiefen Groll. Aus seiner Sicht hat Abu Adam ihn von dem Moment an, als er in Spanien ankam, im Stich gelassen. „Ich halte leider nicht mehr viel von ihm, nachdem er mich so hat sitzen lassen“, schrieb er mir während unseres Chats. Er sei deswegen deprimiert und frustriert gewesen und fühle sich von Abu Adam „als falsch abgestempelt“, als sei er es nicht wert, dass Abu Adam sich um ihn kümmere.

Dass Peter die Loslösung von Abu Adam so empfinden würde, war nicht vorherzusehen gewesen. Der Umzug erschien Prass und Dantschke zunächst einmal als notwendiger Schritt in die richtige Richtung: Weg von seinen alten Kreisen, hin in eine Umgebung, die ihn neuen Einflüssen aussetzte. „Das hat leider nicht so geklappt, wie wir uns das gewünscht hätten“, sagt Dantschke.

Peter behauptet heute, seine Trennung von Abu Adam habe ihn ebenso anfällig gemacht für Radikalisierung als wenn er in Deutschland geblieben wäre. Als aktive Deradikalisierung durch Abu Adam habe er die Zeit Spanien nicht erlebt. Aber er gibt zu, dass seine Verbitterung mit hineinspielt, wenn er das sagt.

Die spanischen Ermittler scheinen den Fall so zu sehen: In ihren Augen ist Peter einer von mehreren jungen Radikalen, die Abu Adam gezielt an sich gebunden habe, um dem Islamismus Vorschub zu leisten. Als Indizien für Peters Extremismus werten sie handschriftliche Dokumente, die sie bei der Durchsuchung sicherstellen. Peter hatte auf Zetteln notiert, dass er für den Fall seiner Beerdigung Abu Adam gerne dabei hätte. Sie fanden eine Liebeserklärung an seine Mutter. Und eine islamische Segensformel, die im Todesfall gesprochen wird. Die spanischen Ermittler schreiben, zusammen mit der Tatsache, dass Peter öfter seine Telefonnummer änderte, ließen die Funde die Theorie zu, dass er seine radikalen Ansichten zu verbergen versuche und ihm Akte vorschwebten, die seinen Tod nach sich ziehen könnten.

Peter sagt dazu, dass er chronisch chaotisch sei und erst seit Kurzem, dank seiner Freundin, eine feste Telefonnummer habe. Dass er immer schon viel über den Tod nachgedacht habe. Und darunter leide, dass er seine Mutter nie zufriedengestellt habe. „Ich war nie in Syrien und ich habe mich nichts und niemandem angeschlossen.“ Den Terrorverdacht gegen Abu Adam hält er für „Schwachsinn“ und „Quatsch“.

Handfestere Hinweise darauf, dass Peter ein Dschihadist ist, gibt es nicht. In den Akten nicht. Und auch sonst nirgendwo, meines Wissens auch nicht bei den deutschen Sicherheitsbehörden. Stattdessen spricht sein derzeitiger Lebenswandel (über den ich keine Details berichte, obwohl sie mir bekannt sind, weil es sich um Privatangelegenheiten handelt) dafür, dass er zwar gläubig, aber gerade nicht mehr extremistisch ist.

Auf die Beratungsstelle Hayat färben der Fall Abu Adam und der Fall Peter trotzdem ab. Aber die Kritik ist unpräzise. Der BR insinuiert, es seien Steuergelder eingesetzt worden, um mit Abu Adam einen Mann einzusetzen, der für Deradikalisierungsprojekte ungeeignet sei. Der MDR wirft Hayat darüber hinaus mangelnde Kontrolle vor.

Richtig ist, dass Dantschke Peter in Spanien nicht besucht hat. „Dafür haben wir auch gar kein Geld“, sagt Dantschke. Sie stand allerdings in stetem Austausch mit Peter und Abu Adam. Sie wusste so durchaus von Peters Schwierigkeiten; aber eben auch, dass er seinen Extremismus abgebaut hatte.

Was das Geld angeht: Abu Adam selbst hat nach übereinstimmender Auskunft von Prass und Dantschke kein Geld erhalten. „Wir haben ihm ein Honorar angeboten, aber er wollte keines“, sagt Dantschke. „Er hat keinen Cent von meinem Verein oder der Stadt Leipzig bekommen“, ergänzt Solveig Prass. „Im Gegenteil, er hat draufgezahlt, er hat nicht mal Fahrtkosten abgerechnet, selbst wenn er aus Spanien angereist ist.“

Hayat hat zwar in vier Raten insgesamt 5.780 Euro an Abu Adam überwiesen, der damit für Peter das Schulgeld in Spanien bezahlte, dieser Betrag kam allerdings nicht aus Steuergeldern, sondern aus Spendenmitteln.** Steuergeld ist also höchstens indirekt geflossen, weil Hayat insgesamt Fördermittel vom Bundesinnenministerium erhält. (Hayat betreut aktuell übrigens 405 Fälle.)

Welche Rolle spielt das BAMF?

Es gab darüber hinaus laut Dantschke keinen weiteren Fall neben Peter, in dem Hayat mit Abu Adam kooperiert hat – auch wenn der BR von „labilen Jugendlichen“  im Plural sprach, die Hayat Abu Adam anvertraut habe, und die Süddeutsche Zeitung schrieb, Hayat habe „mehrmals Jugendliche nach Spanien“ geschickt, „damit Abu Adam sie vom Weg der Gewalt abbringe“. (In der Online-Fassung korrigierte die SZ das später, machte das jedoch nirgendwo als Korrektur kenntlich.)

Aber was ist mit der eigentlichen Gretchenfrage: War Abu Adam in Wahrheit von Vornherein ungeeignet?

Tatsache ist zunächst einmal, dass Claudia Dantschke, nachdem das BAMF den Fall an Hayat abegegen hatte, monatlich an das BAMF berichtet hat. Die Behörde wusste also über die Einbindung von Abu Adam Bescheid.

Ein Sprecher bestätigte das auf meine Anfrage hin auch:

 

Grundsätzlich arbeitet die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts vertrauensvoll und eng mit seinen Kooperationspartnern zusammen. Gerade die Expertise und Erfahrung der Kooperationspartner sind enorm wichtig, um in jedem einzelnen Beratungsfall individuelle Maßnahmen, die einer (weiteren) Radikalisierung entgegenwirken, ergreifen zu können: Sie haben direkten Kontakt zu den Hilfesuchenden, erfahren dadurch viel über die sich radikalisierende Person und kennen Maßnahmen und Personen vor Ort mit deren Hilfe ein Umfeld zur Deradikalisierung geschaffen werden kann. Aus diesen Gründen wird die Fallbearbeitung durch die zivilgesellschaftliche Beratungsstelle jeweils eigenverantwortlich und situativ im Sinne des auf den Einzelfall ausgerichteten, individuellen Settings organisiert. Über die ergriffen Schritte unterrichten die Partner im Zuge des Fallmonitorings das Bundesamt in regelmäßigen Abständen. So wurde die Zusammenarbeit von Hayat mit Abu Adam in dem geschilderten Einzelfall im Herbst 2014 mitgeteilt.

Und der Sprecher ergänzt:

Die Tatsache, dass Abu Adam dem salafistischen Spektrum zuzuordnen ist, wurde dem Bundesamt zum Jahreswechsel 2014/2015 bekannt. Unmittelbar danach hat das Bundesamt im Januar 2015 gegenüber Hayat deutlich gemacht, dass es Abu Adam für einen nicht geeigneten Kooperationspartner in der Beratung islamistisch radikalisierter Personen hält. Eine Einbeziehung des Imams Abu Adam in weitere Beratungskonstellationen durch HAYAT ist nach Kenntnis des Bundesamts danach nicht erfolgt.

Das BAMF hat Abu Adam also nachträglich für ungeeignet erklärt. Was war der Grund dafür? Nach meinen Recherchen hat das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz seine Erkenntnisse aus der Zeit vor 2012, als Abu Adam in München lebte, Anfang 2015 mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen geteilt. Die Sachsen wiederum setzten das BAMF in Kenntnis.

Wenn das stimmt, dürfte es sich im Wesentlichen um jene Erkenntnisse handeln, die ich in meinem Artikel über Abu Adam und Peter im Februar 2015 (inklusive Abu Adams Erwiderung) wiedergegeben habe:

Eine Verfassungsschutzbehörde ordnete ihn 2012 als Salafisten ein. Er lehne die pluralistische Gesellschaft ab, habe wiederholt geäußert, dass eine Frau nicht ohne Erlaubnis ihres Mannes aus dem Haus gehen dürfe und habe sich während des Gazakriegs 2009 in einer Predigt abschätzig über Juden geäußert. Er wolle einen Gottesstaat, der mit Gewaltenteilung, Rechtsstaat und Parlamentarismus nicht vereinbar wäre. Er habe drei Videos mit extremistischen Inhalten gepostet. Seine Distanzierung vom Extremismus, so hieß es mit Blick auf die bis 2012 gewonnenen Erkenntnisse, sei ‚zu hinterfragen‘.

‚Lügen‘, sagt Abu Adam, ‚bestenfalls Missverständnisse.‘ (…) Frauen dürften das Haus nur mit Einverständnis des Ehemanns verlassen? ‚Das gilt für beide Ehepartner! Sie sollen sich absprechen, wenn einer irgendwohin geht.‘ Die Juden? ‚Ich habe über israelische Soldaten gesprochen, die Kinder ermorden – das ja. Aber ich rede nie schlecht über Christen oder Juden, nie!‘ Und der Gottesstaat? Abu Adam lacht auf. ‚Ich war auf Konferenzen in Ministerien, mit Polizisten, mit Politikern, um gegen Extremismus zu kämpfen! Die SPD lädt mich ein – ich komme. Würde ich das tun, wenn ich diesen Staat hasse?‘ Die Videos schließlich habe er als Provokation gepostet, ‚um die Extremisten aus ihren Löchern zu locken, sie zu stellen‘.

Diese Erkenntnisse aber waren kein Geheimnis, ebenso wenig wie die Tatsache, dass Abu Adam schon lange umstritten ist. Im öffentlich einsehbaren bayerischen Verfassungsschutzbericht taucht Abu Adams Münchner Moschee zum Beispiel schon 2012 als eine „Plattform“ salafistischer Bestrebungen auf. Bereits 2010 berichtete der Spiegel, Abu Adams Aussicht auf Einbürgerung sei gleich null, weil es „Sicherheitsbedenken“ gäbe.  In demselben Artikel erwähnte der Spiegel allerdings auch schon Abu Adams Arbeit gegen Extremismus und Gewalt – ebenso wie im selben Jahr die New York Times. 

Zeit für ein Zwischenfazit: Was haben wir bis hierhin gelernt, was in Erfahrung gebracht?

  1. Der Verdacht der spanischen Ermittler, Peter sei Teil eines von Abu Adam orchestrierten Extremisten-Rings, lässt sich nicht erhärten
  2. Die Deradikalisierung Peters unter Einbeziehung von Hayat, der Kindervereinigung Leipzig e.V., dem BAMF und Abu Adam ist weder ein strahlender Erfolg, noch ein Desaster
  3. Zwischen den Bedenken, welche die Sicherheitsbehörden gegenüber Abu Adam hegen, und der positiven Wirkung, die Dantschke, Prass und andere ihm zuschreiben, bleibt ein Spannungsverhältnis bestehen.

Der Ausgangspunkt dieses Blogs ist freilich, dass Abu Adam von der spanischen Justiz der Terror-Unterstützung verdächtigt wird. In der nächsten Folge, die am Montag erscheint, wird es deshalb genau darum gehen: Wie lauten die Vorwürfe eigentlich im Detail?

* Im Interesse der Transparenz weise ich darauf hin, dass ich Claudia Dantschke seit 15 Jahren aus meiner journalistischen Arbeit kenne. Als ich im September 2017 mein neues Buch vorgestellt habe, saß Claudia Dantschke auf dem Podium, um dort mit mir über das Thema Dschihadismus zu diskutieren. Im Nachwort meines Buches danke ich Claudia Dantschke außerdem für fachliche Hinweise. 

** Eine Passage aus meinem Text von 2015 muss ich deshalb hier nachträglich korrigieren. Dort stand, Hayat unterstütze Abu Adam mit Honoraren. 


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