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Was ist Anders Bering Breivik – und wenn ja, wie viele?

Am vergangenen Wochenende war ich nach Rostock-Warnemünde eingeladen, zu einem Symposium der Berliner Humboldt-Universität zum Thema Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Ich saß dort auf einem Panel, das sich eigentlich mit der Rolle der Medien beschäftigen sollte; tatsächlich ging es dann vor allem um die Frage: Welcher Ideologie kann man den norwegischen Terroristen Anders Bering Breivik zuordnen? Das war aber nicht schlimm, sondern ausgesprochen interessant – zumal die Hälfte der Redner aus Norwegen stammte und zum Teil im Breivik-Prozess als Gutachter fungiert hatte.

Den Anfang machte Terje Emberland vom Holocaust-Zentrum in Oslo: „Ist Breivik ein konservativer Christ? Ein Nationalist? Ein extremer Anti-Jihadist? Da gibt es eine Menge Konfusion. Man könnte sogar fragen: Hatte er überhaupt eine Weltanschauung?“

Die Konfusion ist nachvollziehbar: Allein in dem Traktat von über 1000 Seiten, das Breivik verfasst hat, finden sich Belege für jede einzelne dieser Annahmen, aber eben auch etliche Widersprüche. Emberlands Methode, hinter diese Inkohärenzen zu kommen, besteht darin, den Inhalt der ausufernden Aussagen Breiviks auf einige, wenige „manifestierende Gedanken“ einzukochen. Emberlands Meinung nach sind es diese: Europa sei Opfer einer islamistischen und/oder „kultur-marxistischen“ Verschwörung; ein apokalyptischer Krieg stehe bevor; am Ende müsse eine autoritäres Regime errichtet werden.

Diese Kernpunkte, so Emberland weiter, bedeuteten, dass Breivik „in seinen grundlegenden Ideen“ ein Faschist sei. Aber es handle sich um eine „neue Variante“ des Faschismus, einen „mutierten“ oder „hybriden Faschismus“, so Emberland. Und dann ergänzte er, betont ruhig und aufgeregt, einen weiteren Punkt: „Breiviks Taten waren extrem. Aber seine Ideen sind weitaus verbreiteter. Es gibt eine Menge Leute auf diesem ideologischen Pfad.“ Breivik sei also, was seine Ideologie angeht, kein Einzelgänger, kein Solitär.

Der Philosoph Lars Gule von der Hochschule Oslo sieht das ähnlich. Gule treibt sich seit Jahren auf radikalen Webseiten herum und versucht, die Akteure dort in Diskussionen zu verstricken. Eine dieser Seiten besuchte vor seinem Anschlag auch Breivik regelmäßig. „Und auf dieser Website“, sagt Gule, „war Breivik mainstream.“ Gule spricht, und hier ging es dann doch um Medien, dem Internet eine Bedeutung in diesem Zusammenhang zu: Es habe einen „offensichtlichen Treibhauseffekt“, was die Verbreitung von Verschwörungstheorien angehe – und die ja, wie zuvor Emberland ausgeführt hatte, für Breiviks Weltbild konstitutiv sind. Gule regt an, dass es ein neues Studienfach namens „Internet-Psychologie“ geben müsse. „Dieser Effekt ist nämlich nicht gering!“ Ich finde den Gedanken interessant. Solche Forschung könnte auch helfen, Radikalisierungsprozesse zum Beispiel bei Dschihadisten noch besser zu verstehen. (Einige Untersuchungen gehen bereits in diese Richtung.)

Der Hamburger Historiker Volker Weiß versuchte dann, Querbezüge zwischen Breiviks Ideologie und der „Neuen Rechten“ in Deutschland herauszuarbeiten. Die interessanteste Parallele ist diese: Beide versuchten, die Diskreditierung des historischen Nationalsozialismus dadurch zu umgehen, dass sie sich auf dessen Wurzeln vor der Machtergreifung des Nazis und vor dem Holocaust bezögen – also auf ideologische Schriften aus den Zwanziger Jahren und zum Beispiel das Konzept der „konservativen Revolution“. In diesem ideologischen Zusammenhang steht für Weiß übrigens auch Breiviks Entscheidung, nicht etwa eine Moschee anzugreifen, sondern ein sozialistisches Jugendlager: „Der ideologisch gestählte Terrorist geht auf den ‚inneren Feind‘.“

Leider habe ich von dem zweitägigen Symposium nur dieses eine Panel mitbekommen. Aber schon das hat sich gelohnt. Meine Haupterkenntnis ist diese: Breivik lässt sich vermutlich am besten als Faschist und Terrorist beschreiben. Und was seine Ideologie angeht, sollte man sich nicht von seinen scheinbar wirren Symbolen und Exkursen (Freimaurer-Uniform, Tempelritter-Kult, erlogene Geschichten, etc.) ablenken lassen: Es gibt, quer durch Europa, noch andere, die denken, wie er denkt.

In eigener Sache: Das hier ist der erste Post in diesem neuen Blog. Ich freue mich über alle Leserinnen und Leser, über interessante Diskussionen und ebenso über Anregungen für Themen!