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Zwischen allen Stühlen

 

Es war ein typisches Treffen zwischen Anwälten, die sich kennen, wenn auch nicht so oft sehen.

Der Kollege Shawan Jabarin aus Ramallah leitet die palästinensische Menschenrechtsorganisation Al-Haq, die seit 1979 besteht und damit eine der ältesten im Nahen Osten ist. Gemeinsam mit Hamdi Shaqqura vom Palestinian Centre for Human Rights aus Gaza war er zu Besuch in Berlin, unter anderem um mit Bundestagsabgeordneten und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen zu sprechen. Dort traf ich sie wieder. Zum letzten Mal hatten wir uns 2007 in Ramallah gesehen.

Die beiden sprachen auch auf einer Konferenz zum 10. Jahrestag des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zu der Mauer, die das Kernland Israels von den besetzten palästinensischen Gebieten trennt. Das Gericht kam seinerzeit zu dem Schluss, dass der Bau der Mauer völkerrechtswidrig ist, und forderte den Staat Israel zum Baustopp sowie zur Beseitigung der Folgen auf. Doch Israel hat das Gutachten nicht anerkannt, und das höchste israelische Gericht hat nur in einigen Einzelfällen den Abriss oder die Verschiebung der Mauer verfügt.

Bei unserem Treffen ging es um Rechtsschutzmöglichkeiten für Folteropfer und Betroffene anderer Menschenrechtsverletzungen außerhalb der Region. In verschiedenen europäischen Ländern haben palästinensische Menschenrechtler gemeinsam mit lokalen Anwälten bereits versucht, Strafverfahren gegen hohe israelische Militärs und Politiker einzuleiten, wenn diese auf der Durchreise in den jeweiligen Ländern waren. Dabei erging es ihnen im Prinzip genauso wie uns allen, die wir auf ähnliche Weise immer wieder probieren, das Weltrechtsprinzip oder Prinzip der Universellen Jurisdiktion gegen Tatverdächtige aus mächtigen Staaten anzuwenden: Die politischen Hindernisse für eine Strafverfolgung sind hoch.

So nahm beispielsweise in den Niederlanden ein Gericht in einem Fall zu Unrecht an, dass die eines Kriegsverbrechen in Palästina beschuldigte Person durch Immunität geschützt sei. Erst nach der Ausreise wurde der rechtliche Irrtum aufgeklärt, ohne dass dies irgendwelche Folgen gehabt hätte.

Recht haben, Recht bekommen – das ist in diesen Fällen noch schwieriger als gewöhnlich. Denn alle betroffenen Staaten befürchten außenpolitischen Ärger, sollten sie Tatverdächtige festnehmen. In Deutschland, so erklärte ich meinen Kollegen, wird die Situation noch dadurch erschwert, dass das freundschaftliche Verhältnis zum Staat Israel unsere Politiker in vielen Fällen sowohl von der Kritik an Menschenrechtsverletzungen als auch vom Ziehen von Konsequenzen abhält. Außerdem, und dies ist für uns ein ganz spezielles Problem, gerät man schnell in die üble Gesellschaft von offenen oder verkappten Antisemiten – auch wenn man selbst rein sachlich und juristisch einen Rechtsverstoß bemängelt.

Allerdings hat sich in den letzten Jahren einiges zum Positiven verändert. So war vergangenes Jahr im Willy-Brandt-Haus die beeindruckende Fotoausstellung der kritischen israelischen Soldatengruppe Breaking the Silence zu sehen. Und erst kürzlich haben 17 europäische Staaten Maßnahmen ergriffen, um gegen Unternehmen vorgehen, welche die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik in den besetzten Gebieten unterstützen oder von ihr profitieren. Auch das ist ein Thema, das wir zukünftig mit den beiden Organisationen diskutieren wollen.

Und für diejenigen, die es immer gerne ausbalanciert haben wollen: Die Juristen aus Gaza und Ramallah kämpfen auch gegen Menschenrechtsverletzungen, die von palästinensischen Autoritäten begangen werden. So sitzen sie immer wieder zwischen allen Stühlen – und dazu gehört in der oft angespannten Situation wirklich Mut.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.