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Recht und Politik müssen dem digitalen Zeitalter angepasst werden

 

Sommerakademie des Zentrums des langjährigen und engagierten Datenschützers Thilo Weichert in Kiel: Es soll um zwei Pole gehen: „Supergrundrecht Sicherheit“, wie es der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) proklamierte, versus digitale Menschenrechte in der Post-Snowden-Ära.

Doch eine richtige Kontroverse will unter den geladenen Referenten nicht aufkommen. Selbst die Behördenvertreter, die Vize-Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, plädieren nicht für ein derartiges Supergrundrecht. Beide halten den Datenschutz für einen schützenswerten Teil bundesdeutscher Verfasstheit, die sie beide auf ihre Weise zu schützen für sich beanspruchen. Bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Abgang von Friedrich auch die abstruse Idee beerdigt ist, ein Grundrecht zu deklarieren, das die wirklichen Grundrechte aushebelt.

Nicht so leicht aufzulösen ist indes die immer wieder auftretende Spannung zwischen Innerer Sicherheit und Bürger- und Menschenrechten. Daran darf ich mich nun in meinem Konferenzbeitrag versuchen. Ich kritisiere erst einmal die zu eng geführte Debatte. Wer über Geheimdienste und Überwachung rede, dürfe nicht von den großen Datensammel-Unternehmen, nicht vom globalisierten Kapitalismus schweigen, sage ich unter Berufung auf Frank Schirrmacher. Der verstorbene Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung konstatierte eine Symbiose kommerzieller und militärischer Rationalität und verstand die Geheimdienste als Teil der globalisierten zentralisierten Überwachungsmärkte.

Da macht es wenig Sinn, dieser Folge der Globalisierung mit borniertem Nationalismus zu Leibe zu rücken, einen Flickenteppich zu knüpfen, etwa ein deutsches, ein französisches Internet aufzubauen. Schirrmacher plädierte für die Waffe „Aufklärung“. So weit so gut, aber auch so schwierig. Es geht ja nicht nur darum, rechtswidrige und gefährliche Zustände aufzuzeigen, sie zu verstehen und zu skandalisieren. Es muss auch darum gehen, sie abzustellen.

Die Enthüllungen über die Massenüberwachung haben bestätigt, dass die technische Entwicklung der gesellschaftlichen Entwicklung weit voraus ist. Seit Juni 2013 wissen wir, dass das, was technisch möglich ist, auch angewandt wird und dass demgegenüber keine wirksamen politischen und rechtlichen Steuerungsinstrumente erkennbar sind. Das Recht ebenso wie die Politik müssen dringend dem digitalen Zeitalter angepasst werden.

Mich stimmt der Blick auf die dreizehn Jahre seit dem 11. September 2001 nicht unbedingt optimistisch. Willkürliche Festnahmen und Folter in Guantánamo oder Abu Ghraib, CIA-Entführungsflüge auch in Europa und gezielte Tötungen in Afghanistan und Pakistan – all diese Rechtsverletzungen haben demokratische Staaten unter Berufung auf die Terrorismusbekämpfung begangen. Geahndet wurden diese Taten so gut wie nie. In den USA wollen die Gerichte diese Rechtsverstöße nicht sanktionieren, das internationale Rechtssystem ist bis auf löbliche Ausnahmen wirkungslos. Lediglich ein Gericht in Mailand, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg im Falle der Entführungsflüge und des CIA-Geheimgefängnisses in Polen und zuletzt der Europäische Gerichtshof in Luxemburg in Sachen Terrorismuslisten haben sich kritisch gegenüber den europäischen Staaten gezeigt. Für die Betroffenen kamen die Urteile zu spät. Aber vielleicht ist jetzt wenigstens die rote Linie für staatliches Handeln leichter erkennbar.

Alle genannten Rechtsverletzungen haben übrigens Whistleblower, Investigativ-Journalisten und Menschenrechtsorganisationen aufgedeckt. Doch anstatt diese Watchdogs in ihrer Position zu stärken, müssen Chelsea Manning, Edward Snowden, Glenn Greenwald und Laura Poitras drakonische Strafen, Exil oder erhebliche Einschränkungen der beruflichen Tätigkeit in Kauf nehmen. Auch so kann man die Idee eines demokratischen Rechtsstaats zugrunde richten.