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Strafanzeige gegen Ex-CIA-Chef Tenet ist nur der Anfang

 

Als ich vergangenen Mittwoch den CIA-Folterbericht des US-Senats las, erfasste mich die kalte Wut. Klar, ich kenne die Berichte von Schlägen, Schlafentzug und Waterboarding seit mehr als zehn Jahren. Seit 2004 arbeite ich mich mit Kollegen juristisch an den Architekten und Planern der systematischen Folter nach dem 11. September 2001 ab – mit wechselndem Erfolg. Was mich nun vor allem aufbrachte, waren die Reaktionen der damaligen Haupttäter.

Zu lesen etwa, wie der ehemalige CIA-Chef Michael V. Hayden die Verantwortlichen für die „illegale Verhaftung“ – so nennt es die CIA euphemistisch – des deutschen Staatsbürgers Khaled al-Masri intern verteidigte. Die CIA-Agentin habe alle Standards beachtet. Fünf Monate Haft und Folter, die Zerstörung einer Existenz, alleine wegen einer Namensverwechslung, all das soll nach dem Willen der schrecklichen Geheimdienstler und Politiker gänzlich ungestraft bleiben.

Al-Masri hatte in den USA vor Zivilgerichten auf Entschädigung geklagt, erfolglos, wie alle anderen Überlebenden von US-Folter auch. Man könnte verzweifeln, wie man immer verzweifeln könnte, wenn man von (systematischer) Folter und deren Straflosigkeit liest – egal ob in Syrien, dem Irak, in Russland oder eben in den USA. Aber von der US-Justiz erwarte ich mehr als von der syrischen oder russischen, denn die USA haben sich völker- und menschenrechtlichen Standards verpflichtet. Deswegen bin ich einen Moment sprachlos, als mir klar wird, dass selbst nach dem Bericht keinerlei neue Straf- oder Zivilverfahren eingeleitet werden sollen. Wenn also nicht in den USA, wo dann?

Eine Woche nach Veröffentlichung des Folterberichts war ich zum Fall Al-Masri in den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages geladen: Generalbundesanwalt Harald Range kündigte dort an, dass seine Behörde sich bemühe, den vollständigen Bericht zu bekommen, diesen zu übersetzen und dann juristisch zu prüfen. Das ist eine gute und schnelle Initiative. Auch meine Kollegen und ich sind tätig geworden: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat bei Range Strafanzeige gegen den ehemaligen CIA-Chef George Tenet und andere eingereicht. Was wollen wir mit dieser neuen Strafanzeige? Wir wollen, dass nicht nur gegen die Agenten ermittelt wird, die direkt an Verschleppungen und Misshandlungen beteiligten waren. Der Generalbundesanwalt soll auch die Rolle der höchsten Verantwortlichen, also Tenet und Mitglieder der damaligen Regierung von George W. Bush untersuchen.

Es muss auch dann ermittelt werden – und seien es nur Vorermittlungen – wenn sich keiner dieser Planer und Entscheider von damals zu einem Besuch in Deutschland ansagt. Denn offenkundig scheuen sich alle, die in das Folterprogramm verwickelt waren – vom CIA-Agenten bis zu Bush – vor einer Reise nach Europa, weil ihnen hier Strafverfolgungsmaßnahmen drohen. Wie real die Gefahr im Einzelfall ist, können sie offenbar schwer einschätzen – wir übrigens auch nicht. Aber die US-Verantwortlichen ziehen Konsequenzen und meiden das Risiko.

An uns allen in Deutschland, Spanien, Frankreich oder Belgien liegt es nun, ernsthafte strafrechtliche Ermittlungen in Gang zu bringen. Einerseits, damit wir vor Besuchen der Folterer tatsächlich weiter verschont bleiben, aber auch für den Fall, dass sich einer von ihnen dazu hinreißen lässt, aus geschäftlichen oder privaten Gründen nach Europa zu reisen. Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet konnte bei seinem Besuch in London im Oktober 1998 nur deswegen verhaftet werden, weil die spanische Justiz vorbereitet war, Zeugen vernommen, Dokumente ausgewertet und die juristische Verantwortlichkeit des Diktators analysiert hatte. Auch die Justiz in Deutschland sollte nun vorbereitet sein.

Wolfgang Kaleck ist Berliner Rechtsanwalt und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Kaleck hat sich in den vergangenen Jahren mit Menschenrechtsverletzungen in Argentinien bis Abu Ghraib und Kolumbien bis Philippinen beschäftigt; aktuell ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden einer seiner Mandanten.