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Wer Kolumbiens Frauen hilft – und wer nicht

 

Seit es dieses Blog gibt, war geplant, Kollegen, denen ich viel Inspiration und Motivation verdanke, ebenfalls zu Wort kommen zu lassen. Heute schreibt Andreas Schüller. Er leitet den Bereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und arbeitet unter anderem zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen im kolumbianischen Konflikt.

Der große Saal im Planetarium von Bogotá, Kolumbien: Kurz vor Ostern stellte hier die Arbeitsgruppe von Organisationen zur Beobachtung der Umsetzung der Verfassungsgerichtsurteile zu sexualisierter Gewalt in Kolumbien ihren neuen Bericht vor. Laut ihrer Statistik hat die kolumbianische Justiz in den vergangenen 15 Jahren in nicht einmal drei Prozent der Fälle von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen die Täter verurteilt. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, weit mehr als 100 Frauen aus allen Teilen des Landes sind gekommen. Die Frauen repräsentieren die Vielfalt, aber auch die Zerrissenheit Kolumbiens. Die Teilnehmerinnen sind teils von weither angereist – indigene und afrokolumbianische Frauen, intern Vertriebene, Frauen und Aktivistinnen aus ländlichen Gegenden, sowie Frauen, die in der Hauptstadt Bogotá vor allem politisch arbeiten.

Im Fokus ihrer Diskussion steht die Entscheidung (Beschluss 009) des kolumbianischen Verfassungsgerichts von Januar 2015 zu Hunderten Fällen konfliktbezogener sexualisierter Gewalt, die die kolumbianische Justiz immer noch nicht strafrechtlich aufgearbeitet hat, obwohl das oberste Gericht dies schon 2008 explizit angeordnet hatte (Beschluss 092). Für den damals wegweisenden ersten Beschluss analysierte das Verfassungsgericht fast 200 Fälle von sexualisierter Gewalt durch unterschiedliche Tätergruppen – darunter vor allem Armeeangehörige, Paramilitärs und Guerillakämpfer. Den kolumbianischen Staat verpflichtete das Gericht damals zu zahlreichen Maßnahmen und dazu, dem Kampf gegen sexualisierte Gewalt Priorität einzuräumen. Passiert ist wenig.

Die aktuell viel beachteten und diskutierten Friedensgespräche zwischen der Regierung und der Rebellengruppe Farc spielten für die Frauen im Planetarium eine untergeordnete Rolle. Die Teilnehmerinnen diskutierten vor allem darüber, dass der kolumbianische Staat den Betroffenen sexualisierter Gewalt seit Jahren geeignete Anlaufstellen für Beschwerden, individuellen Schutz und hinreichende psycho-soziale Betreuung verweigert.

Die Frauen und Aktivistinnen kritisieren, dass es in Fällen sexualisierter Gewalt kaum Strafverfahren gegen die Täter gibt und dass der Staat viel zu wenig tut, um neue Taten zu verhindern. Es fehle dem Staat – und so sieht es auch das Verfassungsgericht – nach wie vor an einer Strategie, um die konfliktbezogene und häufig mit internen Vertreibungen einhergehende sexualisierte Gewalt wirksam zu bekämpfen und aufzuarbeiten. Seit 2015 haben die Repressionen wieder stark zugenommen – nicht zuletzt gegen Aktivistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen. Hier schließt sich dann doch der Kreis zu den Friedensgesprächen. In Kolumbien gibt es nach wie vor etliche paramilitärische und kriminelle Gruppen, die mit Gewalt gegen soziale Akteure ihre Herrschaftsbereiche noch vor Beendigung der Friedensgespräche abstecken und letztlich auch die Gespräche torpedieren wollen.

Die Arbeitsgruppe gegen sexualisierte Gewalt aber bleibt kämpferisch, auch auf juristischer Ebene. Vor knapp einem Jahr reichten die in der Gruppe aktiven Organisationen Sisma Mujer und Cajar, gemeinsam mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), eine Strafanzeige beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein. Die Anzeige belegt anhand exemplarischer Fälle von sexualisierter Gewalt, dass weder Justiz noch Politik oder Armee in Kolumbien genug dafür tun, damit diese Fälle endlich gestoppt, ermittelt und aufgearbeitet werden.
Noch steckt der Internationale Strafgerichtshof in den Vorermittlungen, doch der Umgang von Justiz, Politik und Militär mit sexualisierter Gewalt in Kolumbien bleibt unter internationaler Beobachtung. Für die betroffenen Frauen und Aktivistinnen, die sich im Planetarium Bogotá versammelt haben, steht außer Frage: Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts, die Friedensgespräche und der internationale Druck sind für sie Anknüpfungspunkte, um die staatlichen Pflichten zur Garantie der Rechte auf Wahrheit und Gerechtigkeit einzufordern.