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Noch nicht die ganze Wahrheit, aber sehr wahrhaftig – die Filmtrilogie über den NSU-Komplex

 

Am Wochenende habe ich sie mir dann doch angeschaut, die ARD-Filmtrilogie „Mitten in Deutschland: NSU“ – und war am Ende beeindruckt, dass es Derartiges im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gibt. Denn jeder der drei Spielfilme beleuchtet wichtige Themen und Positionen nicht nur zum NSU-Komplex, sondern auch zum Verständnis der heutigen deutschen und europäischen Realität: offen zur Schau getragener Fremdenhass allenthalben; Parteien, die fast ausschließlich von Rassismus zehren, und Hunderte von Anschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten alleine in den vergangenen Monaten.

Den Anfang macht Christian Schwochow mit „Heute ist nicht alle Tage“, einer Rückblende in das sich entwickelnde neonazistische Milieu der 1990er Jahre in Thüringen, die Protagonisten sind Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Gezeigt wird vor allem, wie in Jena, immerhin eine Großstadt, die kulturelle Hegemonie der Neonazis entsteht. Wer, wie ich als Rechtsanwalt zahlreicher Opfer von Nazischlägern, diese Zeit im Osten Deutschlands miterlebt hat, weiß, dass statt Jena auch Pirna, Magdeburg oder Stadtteile von Rostock oder Dresden hätten stehen können; weiß, dass es natürlich nicht nur die gewalttätigen Skinheads und die rechtsradikalen Organisatoren im Hintergrund waren, die dieses gesellschaftliche Klima prägten. Nein, einen gehörigen Anteil daran hatten auch die ahnungs- und machtlosen Lehrer und Sozialarbeiter, die sympathisierenden und die duldsamen Polizisten, Eltern und Nachbarn, die ignorante Polizeiführung und Justiz und der allzu bequeme Rest der Republik.

Absurd mutet es an, dass der Regisseur als Komparsen ausgerechnet Leute aus den Reihen derjenigen gewinnen konnte, die damals als erste auf der Straße waren, um die Neonazis zu bekämpfen – der Antifa. In dem Film tanzen und grölen diese überzeugten Anti-Faschisten nun mit Glatze zu Neonazi-Musik. Seltsam. Wie wohltuend, dass Regisseur Schwochow fast vollkommen auf explizite Gewaltszenen verzichtet und doch den Rahmen der Handlung deutlich absteckt. Er beobachtet in der Eingangsszene den Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek beim Ausladen seiner Ware an seinem Stand, unterbricht das Geschehen dann aber zunächst und zeigt die „Hinrichtung“ Simseks erst in der letzten Ausgangsszene.

Unter die Haut geht Züli Aladags „Vergesst mich nicht“. Er begleitet die Familie Simsek und belegt– beispielhaft für die gesamten professionell einseitigen und fehlerhaften polizeilichen Ermittlungen – , wie die Nürnberger Polizei zunächst die Familie verdächtigt und drangsaliert, danach Zuflucht zu Vermutungen über drogenschmuggelnde und schutzgelderpressende „Türkenbanden“ sucht. Ein klassischer Fall so genannter sekundärer Viktimisierung (die Opfer erleben zweifaches Leid und Unrecht). Und nicht nur das: Wie es der Regisseur selber so treffend ausdrückt, sind diese Szenen für viele Menschen Anlass zu weinen –  nicht aus Mitleid, „sondern sie spiegeln darin sich selbst und ihre eigene Familie“. Es geht also auch in dieser Episode um weit mehr als das Schicksal der Familie Simsek: Aladag legt die Diskriminierung offen, die Menschen, die nicht seit Generationen in Deutschland ansässig sind, täglich erleben. Und er erinnert in einer starken Szene auch an den großen Trauermarsch nach dem Mord an Halit Yozgat am 6. Mai 2005 in Kassel, also sechs Jahre vor der Entdeckung des NSU. Unter dem Motto „Kein zehntes Opfer“ demonstrierten fast 4.000 Menschen überwiegend migrantischer Herkunft. Die Mehrheitsgesellschaft, aber auch Journalisten und Antifa-Gruppen, hat das damals wenig interessiert.

Florian Cossen beschäftigt sich in „Nur für den Dienstgebrauch“ vor allem mit dem Konflikt zwischen der Thüringer Polizei, die der Film als Aufklärer darstellt, und dem Verfassungsschutz, der in dem Film vor allem den Part seiner V-Leute und damit seine eigene Rolle bei den Morden des NSU zu vertuschen versucht. Das wirkt zwar alles ein wenig holzschnittartig und verschwörungstheoretisch. Doch die Szenenabfolge einer surreal anmutenden Feier im Amt und eines zeitgleichen brutalen Mordversuches an einem Schwarzen, an dem ein V-Mann eben jenes Amtes beteiligt ist, bleibt haften – und ist verdammt nah an der Realität. Einige Zuschauer mögen sich darüber aufregen, dass dem Geheimdienst ein nicht belegter Mord an einem Informanten unterstellt wird. Wichtig scheint mir jedoch, dass Cossen offen ausspricht, was Thema einer ernsthaften öffentlichen Debatte sein müsste: Diese Geheimdienste sind bestenfalls nutzlos, meistens jedoch gefährlich- und gehören daher abgeschafft.

Wer übrigens mehr über die Fakten wissen will, sollte Stefan Austs und Dirk Laabs höchst informative Dokumentation „Der NSU-Komplex“ anschauen und nicht wie mancher Filmkritiker Erbsenzählerei betreiben. Die drei Regisseure der Trilogie führten derweil ein spannendes Gespräch (in der ZEIT); Cossen erklärt dort, warum während des laufenden Strafprozesses und trotz vieler offener Fragen, das Filmemachen sinnhaft ist. Nicht nur, dass man „mit einer Geschichte Gefühle erzeugen“ kann, sondern auch, dass „man nach einer langen Recherche auch einmal von den Tatsachen Abstand nehmen“ muss, „um nicht nur Fakten aneinanderzureihen“ und sich in Details zu verrennen. Er fragt: „Und ist es nicht eine faszinierende Vorstellung, dass wir, ohne die ganze Wahrheit zu kennen, mit den Mitteln eines szenischen Films etwas treffen können, das wahrhaftig ist?“

Ja, ist es.