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Wie im Sudan die Bekämpfung der Fluchtursachen ad absurdum geführt wird

 

Zu Recht konstatierte der französische Philosoph Alan Badiou jüngst, dass „zwei zum Scheitern verurteilte Denkweisen unsere Öffentlichkeit bestimmen: auf der einen Seite marktwirtschaftlicher Konsens und universelle Kommerzialisierung, auf der anderen Seite eine verkrampfte Rückbesinnung auf Identität und Nation, die gegen diese Globalisierung einen reaktionären Damm errichten will.“

Massenhafte Flüchtlingsbewegungen gab es immer, zumal in den vergangenen Dekaden; die Hauptlast haben bei geschätzten 60 Millionen Flüchtlingen etwa im Jahre 2014 Drittweltländer zu tragen, 9 von 10 Geflüchteten bleiben in ihren Regionen. Dennoch werden allenthalben reaktionäre Dämme errichtet, nicht nur von nationalpopulistischen Bewegungen, sondern auch von den Regierungen wird das Problem irrational angegangen.

Alle wissen, dass viele Fluchtgründe auch internationale Ursachen haben, seien es die Folgen der Kolonialisierung, das ungerechte Welthandelssystem oder repressive Regime und Kriege. Zwar werden diese Auswirkungen der Globalisierung und die notwendige Bekämpfung von Fluchtursachen hierzulande breit diskutiert. Und was wäre besser, als dafür zu sorgen, dass Menschen nicht mehr durch Armut, Gewalt und Verfolgung gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen? Die durch die Begegnung mit den Geflüchteten ausgelöste Mitmenschlichkeit wird jedoch zunehmend durch die Forderung nach Abschottung, die ihren Ausdruck in den Wahlerfolgen von AfD und anderen neurechten Parteien findet, verdrängt. Dies wirkt sich dann in fataler Weise in der praktischen Migrationspolitik aus.

Drastischstes Beispiel ist die Umsetzung des sogenannten Khartoum-Prozesses. Seit Oktober 2014 kooperiert die EU mit Eritrea, Äthiopien, Somalia, dem Süd-Sudan, Sudan, Kenia, Ägypten und Tunesien mit dem Ziel einer besseren Kontrolle der Migration aus Nord- und Ostafrika. Einzelne Projekte verfolgen dabei durchaus positive Zwecke, etwa Berufsausbildungsprogramme für Geflüchtete. Ein Hauptfokus der Initiative ist jedoch die Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzkontrolle sowie Bekämpfung von irregulärer Migration und Schleuserkriminalität – und das mit Staaten, von denen einige zu den schlimmsten Diktaturen der Welt gerechnet werden.

In Kairo, in einem Land mit über 50.000 politischen Gefangenen, ist die Errichtung eines Polizeitrainingszentrums geplant. In Eritrea, das auch das Nordkorea Afrikas genannt wird, sollen die institutionellen Kapazitäten der Behörden gestärkt werden. Im Mai 2016 wurde bekannt, dass die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit federführend an der Umsetzung eines EU-Projektes zur Kontrolle der Grenze zwischen dem Sudan und Eritrea beteiligt sein wird. Zur Erinnerung: Der Sudan wird von Omar al-Bashir regiert, der vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gesucht wird. Eigentlich ist deshalb die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit dem Sudan ausgesetzt. Doch da es sich um ein EU-Projekt handelt, soll dies in diesem Fall nicht gelten.

Offensichtlich ist man sich auf EU-Ebene der Brisanz dieser Zusammenarbeit durchaus bewusst: Ein Dokument vom April 2015 enthielt den Verweis, der Inhalt dürfe auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Die entscheidenden Unterlagen zum Khartoum-Prozess wurden erst durch Recherchen an die Öffentlichkeit gebracht.

Der Khartoum-Prozess zeigt, wie sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten der eigenen Verantwortlichkeit durch eine Auslagerung der Grenzkontrollen an Drittstaaten zu entziehen versuchen. Die Rede von der Bekämpfung der Fluchtursachen wird so pervertiert – die Gewaltherrscher werden so in die Lage zu versetzt, jegliche Flucht aus ihrem Machtbereich zu unterbinden, um die Schattenseite der Globalisierung rasch wieder aus der europäischen Lebenswelt zu verbannen.