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Das beste Schachergebnis aller Zeiten

 

Fabiano Caruana ist kein Mann der großen Worte. Ob er nun einen Hype um seine Person erwartet, nach dieser Leistung? Ja, der werde sich wohl kaum verhindern lassen, aber er wolle einfach weiter versuchen, normales Schach zu spielen wie bisher. Ein Match gegen den Weltmeister Carlsen? Noch ein weiter Weg bis dahin, er sähe Carlsen weiterhin als die Nummer eins, in einzelnen Partien könne er aber gut mit ihm mithalten.

Caruana sitzt gerade, die Hände gefaltet, er mustert beim Reden eher den Boden als den Moderator. Fast könnte man meinen, er schäme sich dafür, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu erregen. Nur sein Lächeln verrät ab und zu, dass er sehr stolz darauf sein muss, was er in den letzten Tagen vollbracht hat beim Sinquefield Cup in St. Louis.

Dafür, was der Italiener als „normales Schach“ bezeichnet, sind den Experten die Superlative ausgegangen. Ganze 8,5 Punkte aus 10 Partien erzielte Caruana bei seinem Sieg im nominell stärksten Turnier der Schachgeschichte, was einer bisher nie erreichten Performance von über 3.100 Elo entspricht. Das kann man sich so vorstellen: Ein Spieler mit 3.100 Elo hätte selbst gegen einen Magnus Carlsen in Normalform (2.870 Elo) eine Gewinnerwartung von etwa 8:2, gegen die Mitglieder dieser Schachblog-Redaktion etwa 99:1. Seine Siegesserie in den Runden 1 bis 7 steht in einer Reihe mit dem Sturmlauf des jungen Bobby Fischer, der auf dem Weg zu seinem WM-Titel 1972 sogar 21 Partien in Folge gewann oder mit dem WM-Turnier 2005 im argentinischen San Luis (!), wo Wesselin Topalow nach einem Start mit 6,5 aus 7 Punkten den Titel so gut wie sicher hatte.

Magnus Carlsen gegen Fabiano Caruana beim Sinquefield Cup 2014 bei ihrem ersten Aufeinandertreffen in der dritten Runde. Caruana gewann nach einer turbulenten Partie. (Copyright: http://www.uschesschamps.com/sinquefield-cup)

Doch auch die Art und Weise, wie dieser Erfolg zustande kam, ist bemerkenswert. Immer öfter wurde zuletzt im Spitzenschach – Magnus Carlsen allen voran – eine Abkehr von prinzipiellen Eröffnungsvarianten zugunsten weniger erforschter Spielanfänge wie der englischen Eröffnung (1.c4) beobachtet. Die Großmeister sind es leid, immer wieder feststellen zu müssen, dass der Gegner die Vorbereitung genauso gut erledigt hat wie man selbst. Caruana und sein Trainer Wladimir Tschutschelow folgen diesem Trend nicht.

Sie scheuen von Beginn an keine scharfen Duelle, bereiten sich aber besser vor als die anderen, sitzen oft tagelang an einer kritischen Stellung. Tschutschelow hat schon einige Weltklassespieler trainiert, ihm eilt als Starcoach der Ruf voraus, dass er Ideen aufspüren kann, die nicht einmal von gegnerischen Computern berücksichtigt werden.

In St. Louis bekam Caruana in fast jeder Partie die Gelegenheit, eine dieser Neuerungen anzubringen. Dies brachte ihm 35 Elo-Punkte und einen klaren zweiten Platz in der Weltrangliste ein. Den Dritten Levon Aronjan, dem in den USA wenig bis gar nichts gelang, distanzierte Caruana bereits weiter, als er noch vom führenden Magnus Carlsen entfernt ist.

Stilistisch gesehen wäre ein Match zwischen den beiden höchst interessant. Bei der kürzlich beendeten Schacholympiade in Tromsø besiegte der Norweger Caruana noch in seinem typischen Stil, indem er sich hinten reinstellte und den anderthalb Jahre jüngeren Italiener nach vorne stürmen ließ, um im Endspiel dessen schwache Bauern einzusammeln. In St. Louis musste Carlsen nach zwei missglückten Partieanlagen bereits über ein 0,5:1,5 froh sein.

Nach ganz anderen Mustern verliefen die Partien der beiden im aserbaidschanischen Shamkir im Frühjahr, wo der Vergleich 1:1 endete.  Es gibt Gründe zur Annahme, dass ein Match zwischen diesen Gegnern nicht in den Versuchen gegenseitiger Neutralisierung ersticken würde, wie es über große Strecken bei  bei der vergangenen WM zwischen Carlsen und Anand der Fall war.

Doch so sehr sich die Schachliebhaber über eine solche WM freuen würden, sie liegt noch in weiter Ferne. Abgesehen davon, dass Carlsen seinen Titel zunächst noch im kommenden November verteidigen muss (wozu er sich nun erfreulicherweise bereit erklärt hat), ist die nächste WM erst für das Jahr 2016 ausgeschrieben. Bis dahin wird Caruana sich damit begnügen müssen, sein Spiel bei Einladungsturnieren weiter zu perfektionieren und die leichten Schwächen in Zeitnot abzuarbeiten.

Einen zählbaren Schritt Richtung Weltmeistertitel hat er in St.Louis aber wohl schon getan. Da ein Teil der Plätze beim nächsten Kandidatenturnier wieder über die Platzierung in der Weltrangliste vergeben wird, ist ihm eine Teilnahme bereits jetzt so gut wie sicher. Auch wenn Caruana niemals zugeben würde, dass er sich jetzt schon darüber Gedanken macht – man kann sich sicher sein, er freut sich drauf.