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Die eifersüchtigen Götter

 

Kein Geschrei, kein Gebrüll, keine Verletzten. Eigentlich ist Schach ziemlich harmlos. Doch das Spiel gefällt nicht allen. Vor allem nicht den religiösen Oberhäuptern. Jahrhundertelang missfiel Schach den jeweiligen Sachwaltern des Göttlichen auf Erden.

  • Schon 1005 forderten islamische Geistliche in Ägypten, man solle alle Schachfiguren und Spiele verbrennen.
  • Ein halbes Jahrhundert später beklagte sich Petrus Damiani (1007-1072), laut Wikipedia „einer der einflussreichsten Geistlichen des 11. Jahrhunderts“, beim Papst, Priester und Laien würden zu viel Zeit mit dem Schach verbringen und bat um ein Verbot des Spiels. Damiani hatte andere Leidenschaften. Als Buße für tatsächliche oder vermeintliche Sünden oder weil er glaubte, es würde Gott gefallen und ihm Bonuspunkte im Himmel bringen, peitschte er sich gern. Heute gilt er als Patron gegen Kopfschmerz.
  • Auch Rabbi Maimonides (1155-1204), den Wikipedia wiederum als „einer der bedeutendsten jüdischen Gelehrten aller Zeiten“ führt, war kein Freund des Schachs und zählte es zu den verbotenen Spielen.

Eine einheitliche Linie in der Einstellung der verschiedenen Religionen zum Schach lässt sich jedoch nicht erkennen. Vom 12. bis zum 16. Jahrhundert verboten die Päpste das Spiel gerne und häufig, doch Johannes Paul I. und Johannes Paul II. hatten nichts gegen eine kleine Partie. Mittlerweile ist Theresa von Ávila sogar offizielle katholische Schutzheilige des Schachs und im Judentum war Schach – Maimonides hin oder her – ab dem 16. Jahrhundert auch am Sabbat erlaubt.

Was den Islam betrifft, so erlebte das Schach vom 8. bis 10. Jahrhundert im arabischen Raum eine Blütezeit, doch im Moment geht der Trend wieder zum Verbot. In Afghanistan untersagten die Taliban das Spiel gleich nach ihrer Machtergreifung. Auch der iranische Geistliche Ayatollah Khomeini ließ es nach der Islamischen Revolution im Iran 1981 verbieten. Sieben Jahre später, 1988, durfte im Iran aber wieder offiziell gespielt werden.

Wer die Frage „Darf man im Islam Schach spielen?“ googelt, stößt schnell auf Beiträge islamischer Religionsexperten, die das bezweifeln. So zum Beispiel bei fataawa.de, einer Seite, die sich „Wissensvermittlung, Klärung von Missverständnissen und allgemeinen Fragen über die Religion des Islam“ auf die Fahnen geschrieben hat, und „für Muslime, sowie für Nicht-Muslime geeignet“ sein soll. Die Argumente gegen das Spiel sind die gleichen, die schon der Peitsche schwingende Kardinal Damiani vorgebracht hat: Schach sei dem Glücksspiel nahe, Zeitverschwendung und würde die Menschen in Versuchung bringen, das Gebet oder andere wichtige Dinge zu vernachlässigen.

Da ist natürlich was dran. Schach gilt zwar als Spiel der Vernunft, aber der Betrug begleitet das Spiel seine gesamte Geschichte hindurch. Früher wollte man, dass der Gegner in die Sonne blickt, heute lässt man sich die Züge vom Computer vorsagen. Und die Figur des weltfremden Eigenbrötlers, der sich selbst und alles um sich herum vergisst, weil er nur für das Schach lebt, ist schon ein Klischee.

Dennoch wirken die religiösen Verbote des Spiels etwas streng. Hinter ihnen scheint das Bild eines Gottes zu stehen, der zwar als allmächtig phantasiert wird und angeblich die Geschicke der ganzen Welt und aller Lebewesen lenken kann, aber dem der Mensch dafür in jeder Minute und Sekunde seines Lebens dienen muss, den der Mensch nicht erzürnen darf und der jeden noch so kleinen Verstoß gegen die vermeintlichen göttlichen Gebote unbarmherzig bestraft.

Schachspieler haben andere Vorstellungen. Die Göttin des Schachs heißt Caissa und gehört zum Ensemble der griechischen Götterwelt. Wie ein 1763 veröffentlichtes Gedicht des britischen Gelehrten William Jones schildert, verliebte sich der Kriegsgott Mars auf dem Olymp in die schöne Caissa, die jedoch nichts von ihm wissen wollte. Daraufhin gaben die Nymphen, die sich in solchen Dingen bestens auskennen, dem verschmähten Verliebten einen Tipp, wie er das Herz der anmutigen Göttin doch noch gewinnen könnte. Mars ließ von einem seiner Gehilfen ein Schachspiel entwickeln und schenkte es ihr. So bewies er nicht nur Kraft und kriegerisches Geschick, sondern auch Intelligenz und Geist. Das gefiel Caissa und fortan hatten die beiden auf dem Olymp viel Spaß beim Schach und miteinander.