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Für eine Handvoll Futter – Krake Paul ist lange tot, Orakeltier allerdings ein Trendberuf

 

„Ich schwöre, Noah hat gesagt, die Arche legt erst um 17 Uhr ab“, brachte das Einhorn heraus, als es am verlassenen Bootssteg stand. Doch seine bessere Hälfte schnaubte nur. So oder so ähnlich muss es gekommen sein, dass kein Einhorn zum EM-Orakel erkoren wurde.

Es ist nämlich so: Früher war jedes EM-Orakel ein Tier. Heute ist jedes Tier ein EM-Orakel. Bundesweit haben Lokalradios und Dorfbürgermeister Maskottchen mit hellseherischen Fähigkeiten Hunger gekürt. Von der Ausreißer-Kuh bis zum Zwergotter ist jeder Buchstabe des Alphabets gleich mehrfach belegt, Mops und Möwenschwarm sind nur der Anfang.

Das Allerletzte? Zwergotter-Orakel. Foto: Peter Zschage / Morgenpost Sachsen via dpa

Trendsetter war der inzwischen verblichene Krake Paul aus Oberhausen. Vier von sechs Spielergebnissen sagte er bei der EM 2008 korrekt voraus, bei der WM 2010 lag er bei allen acht Versuchen richtig.

In der Folge erlebte die Krakenforschung ihre Blütezeit. Die Sensibilität von Pauls Geschmackssinneszellen wurde ebenso kontrovers diskutiert wie seine Vorliebe für helle Farben und horizontale Flächen. Ungarns führender Verhaltensforscher Vilmos Csányi erhob gar Manipulationsvorwürfe. Kurz: Es entspann sich ein Drama, das erst mit Pauls Tod im Oktober 2010 endete. Im spanischen Carballiño beteuerte man eilig, nichts damit zu tun zu haben. Das Örtchen ist zwar für seine Tintenfischverarbeitung bekannt, die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Paul nach dem spanischen WM-Sieg habe aber mitnichten den Wunsch nach Filetierung beinhaltet, hieß es.

Denkmal für Krake Paul
Meereszoo-Manager Stefan Porwoll vor dem Denkmal zu Ehren von Orakel-Krake Paul. Foto: Bernd Thissen / dpa

Der Konkurrenzkampf unter den tierischen Orakeln tobte zu diesem Zeitpunkt längst. Mani, der Sittich aus Singapur, wilderte in Pauls angestammtem Revier. Lazdeika, Litauens Lieblings-Harlekinkrabbe, konzentrierte sich lieber auf Basketball, Maggie the Monkey auf Eishockey.

Auf dieses Gebiet hat sich allerdings auch Magdalena spezialisiert, die missgebildete Schildkröte mit den zwei Köpfen.

Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel
Köpfchen für zwei: Schildkröte Magdalena, Eishockey-Orakel. Foto: Jaroslav Podhorsky / dpa

Den Ausgang der Partien der Fußball-EM in Polen und der Ukraine tippt der Eber Funtik in Kiew – mit 380 Kilo ein Leichtgewicht gegen Elefantenkuh Citta aus Krakau. Die hatte sich gegen Esel und Papagei aus demselben Zoo durchgesetzt – mit ihrer richtigen Vorhersage des Champions-League-Siegers. Das Gewerbe professionalisiert sich eben, die ersten Affären um eine Stallorder sind wohl nur noch eine Frage der Zeit.

Derweil drängen Amateure en masse auf den Markt. Hier findet sich eine umfassende Liste. Am Ende wird selbst der sensationellste Sensationssieg von irgendeinem der flauschigen Viecher prophezeit worden sein. Da können die einzelnen Vertreter der Branche Orakel-Tier noch so unqualifiziert sein. Andererseits: Punxsutawney Phil, Titelheld des Films „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und Urvater aller Orakeltiere, prophezeit im US-Bundesstaat Pennsylvania wie seine Vorgänger seit 1887 an jedem 2. Februar, wie lange der Winter noch dauert. Mit dürftigem Erfolg: Richtig lag er nur in 39 Prozent der Fälle.

Da könnte man lieber eine Münze werfen. Aber darum geht es ja nicht. Außerdem: Kinder und Tiere gehen immer. Alte Journalistenweisheit.