Was wären die Olympischen Spiele ohne die Sportler? Und was wären sie ohne ihre Exoten? Die berühmtesten der Sportgeschichte sind Eddy the Eagle, der britische Schieflieger, und die Jungs von Cool Runnings. Das waren die jamaikanischen Bobfahrer, die 1988 in Calgary so viel Aufsehen verursachten, dass sie Stoff für einen (sehr erfolgreichen) Spielfilm lieferten.
In den echten Wettbewerben von Calgary hatten die Jamaikaner keine Chance, verkörperten aber das olympische Prinzip: Dabei sein ist alles.
Doch es darf natürlich nicht jeder dabei sein, auch nicht in Sotschi. Das IOC und die nationalen Fachverbände haben für jede Sportart genaue Nominierungskriterien festgelegt. So ist einerseits die Zahl der Athleten aus einem Land begrenzt. Andererseits qualifiziert sich im Allgemeinen nur die Weltklasse. Olympia ist keine Jedermann-Veranstaltung.
Und: Olympia ist auch gefährlich, gerade auf Schnee und Eis. Vor vier Jahren kam es in der Rodelbahn von Vancouver zu einem tödlichen Unfall. Der Georgier Nodar Kumaritaschwili kam mit über 140 Stundenkilometern von der Bahn ab und prallte gegen ein Betonteil. Daraufhin hat das IOC nicht nur die Bahnen verlangsamt, sondern auch die Qualifikationskriterien verschärft. Abfahrt und Bobsport sind ebenfalls lebensgefährlich, auch da ist das IOC streng. Eine Wiederholung von Cool Runnings ist heute nicht mehr vorstellbar – auch wenn Jamaika in Sotschi mit einem Bob startet, doch die aktuellen Fahrer aus der Karibik sind keine Anfänger mehr.
Allerdings lässt das IOC Lücken für Außenseiter. In solchen Disziplinen, die relativ ungefährlich sind, sind die Hürden niedrig, zum Beispiel Slalom und Riesenslalom im Ski Alpin oder im Langlauf. Da kann man zwar auch hinfallen, aber man holt sich kaum mehr als eine feuchte Hose. Und so kommt es, dass wir in Sotschi Wintersportler aus Afrika, dem Pazifik, der Karibik oder anderen Sonnenregionen sehen werden.
Vanessa-Mae wird bei Olympia wohl nicht die erste Geige spielen. Aber dabei sein ist ja bekanntlich alles. Weil die Stargeigerin die russische Nationalhymne nicht spielen kann, darf sie nicht bei der Eröffnungsfeier auftreten. Stattdessen schnallt sie sich nun Bretter unter die Füße und fährt für Thailand Slalom. Ihre Nummer in der Weltrangliste: 3.166. Ob Vanessa Mae die Stangen im Dreiviertel- oder Sechsachteltakt umkurven wird, will sie noch nicht verraten.
Falls sie während der Spiele mal einen väterlichen Rat braucht, fragt sie am besten den Erfahrensten aller Skirennfahrer: Hubertus von Hohenlohe. Der Adlige mit Vorfahren aus Liechtenstein nimmt schon zum sechsten Mal an Olympia teil, allerdings für Mexiko. Dort wurde er vor 55 Jahren geboren. Dass er der älteste Athlet in Sotschi sein wird, sieht man ihm kaum an. Immerhin hat sich der Lebenskünstler extra in Schale geworfen: Mit seinem Mariachi-Rennanzug, der ein schwarzes Bolero-Jäckchen, ein weißes Hemd und einen roten Kummerbund vereint, gewinnt er auf jeden Fall bei Sotschis Next Topmodel. Und auf dem Siegertreppchen kann er dann auch gleich seine neuesten Schlagerhits zum Besten geben.
Vielleicht gewinnt von Hohenlohe sogar noch einige neue Fans, zum Beispiel aus Paraguay, Simbabwe und Togo oder von Dominica, Osttimor, Tonga und den Britischen Jungferninseln. Denn diese Nationen schicken zum ersten Mal Athleten zu den Olympischen Winterspielen. Wegen des schlechten Zustands ihrer Skipisten hatten sie sich bisher aus dem Wintersport rausgehalten. Aber die einmalige Chance, in der schönsten Stadt Russlands Geschichte zu schreiben, wollten sie sich nicht entgehen lassen.
Der Skiverband von Togo ließ sich dafür etwas ganz Besonderes einfallen: Über Facebook kontaktierten sie die 19-jährige Mathilde-Amivi Petitjean. Die Schülerin wohnt seit ihrem zweiten Lebensjahr in Frankreich und hat sich in den Alpen auf die Spiele vorbereitet. Die jüngste Teilnehmerin in Sotschi ist sie aber nicht. Der Titel geht an die deutsche Skispringerin Gianina Ernst. Am 31. Dezember wurde sie 15. Hätte sie einen Tag später Geburtstag, dürfte sie nur zuschauen.
Die deutsche Curling-Mannschaft setzt lieber auf Altbewährtes und bringt mit seinem 48-jährigen Teamleiter den ältesten Deutschen ins Turnier: John Jahr. Der Enkel des gleichnamigen deutschen Verlegers (Gruner + Jahr) wird in Sotschi die Steine aufs Eis bringen. Aber keine Sorge. Der Mann weiß, was es heißt, schwer zu tragen. Gegen die Millionen in seinem Tresor sind die Curling-Steine ein Klacks.
Eine anstrengende Olympia-Vorbereitung hat der Rennrodler Fuahea Semi hinter sich. Der 26-Jährige wurde von einer deutschen Agentur im Inselkönigreich Tonga entdeckt. Weil sein Allerweltsname aber bei den Spielen untergehen könnte, bekam er einen, den man sich leichter merken kann: Bruno Banani. Zufällig derselbe Name wie die sächsische Billigunterhosenmarke. Seit Semi so heißt, füllt sich sein Konto auf mysteriöse Weise. Und wenn es ums Geld geht, entdeckt sogar das IOC die Ethik. Präsident Thomas Bach sagt über diese Werbemasche: „Rechtlich haben wir keine Handhabe, ihn bei Olympia nicht starten zu lassen. Wir können nichts machen, wenn dieser Name in seinem Pass steht.“ Ethisch sei das aber nicht in Ordnung. Bleibt nur zu hoffen, dass der Rodler nicht in Boxershorts in den Eiskanal geschickt wird, um die neue Kollektion zu präsentieren.
Für Furore wollen in Sotschi aber auch einige alte Hasen sorgen: Ole Einar Björndalen ist schon jetzt der erfolgreichste Biathlet aller Zeiten. Sechs Mal holte der Norweger bislang olympisches Gold. Doch der 40-Jährige hat noch nicht genug. Genauso geht es Noriaki Kasai, der bereits seit 1991 zur Weltspitze der Skispringer gehört. Obwohl er inzwischen 41 ist, will er an allen anderen vorbeifliegen. Der tschechische Eishockey-Spieler Jaromir Jagr wird in wenigen Tagen 42. Davon will er sich aber nicht vom Toreschießen abbringen lassen. Und auch Claudia Pechstein reiht sich in den Ü-40-Club ein. Die erfolgreichste deutsche Olympionikin im Wintersport trägt auch mit ihren 41 Jahren noch die Favoritenrolle im Eisschnelllauf.
Den jungen Athleten das Feld zu überlassen, kommt für die Alten nicht infrage. Zwischen Stützstrümpfen und Franzbranntwein haben sie in ihren Taschen noch Platz gelassen für ein paar Medaillen. Zwar könnten sie mit den bisher gewonnenen Trophäen schon ganze Museen füllen, aber sie wissen auch, dass man Edelmetall im Alter immer besser brauchen kann. Zum Beispiel für goldene Zähne oder silberne Krückstöcke.
In diesem Blog sammeln wir täglich die Olympia-Splitter: Fundstücke, Kurioses, Tweets und Sweets aus Sotschi. Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen und Ihre Anregungen.