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Der Nationalismus als Flucht vor dem Tod – Ein Versuch zu verstehen

 

In ihrem Werk „Vita activa“ charakterisierte die politische Publizistin Hannah Arendt den antiken Begriff des Politischen dahingehend, dass der Betätigung der Menschen im öffentlichen Raum „eine potentielle Unvergänglichkeit eignet, weil sie sich von sich aus der andenkenden Erinnerung der Menschen einprägen.“ Die antike Politik geriet so angeblich zu dem Versuch, sich selbst auf Erden unsterblich zu machen. Während Arendt sich mit Blick auf die Interpretation Platons und Aristoteles‘ mächtig gewaltig irrte, könnte diese Figur jedoch die Motive eines so manchen Nationalisten aufklären helfen.

Arthur Schopenhauer bemerkte bekanntlich einmal, dass „erbärmliche Tröpfe“ lediglich deshalb Nationalstolz empfänden, weil sie sonst nichts hätten, worauf sie stolz sein könnten. Wenn die Welt so einfach wäre, hätten wir nur wenig zu befürchten. Indes ist diese Figur vor allem geeignet, sich auf Seiten der Linken zu beruhigen und sich selbst spöttisch über seinen Gegner zu erheben. Unter Nationalisten finden sich indes leider nicht nur „erbärmliche Tröpfe“.

Alles in allem keine guten Voraussetzungen, die bestehenden Probleme zu beseitigen oder zumindest zu verkleinern. Denn wer Nationalismus und Rechtsextremismus erfolgreich bekämpfen will, muss dies von innen heraus unternehmen. Das selbstgefällige Einschlagen auf den Feind macht diesen hingegen lediglich unzugänglich und ist daher kaum geeignet, Einfluss auf ihn zu gewinnen. Für Pädagogen ist dies freilich eine selbstverständliche Einsicht. Wer also Nationalisten, Rechtsextremisten etc. aus ihren Milieus herausbrechen will, muss bereit sein, sich auf sie einzulassen, nach ihren Motiven zu fragen: sie zu VERSTEHEN. Nationalistische Ideologien mögen verheerende Versuche der Welterklärung und -aneignung sein, aber sie sind immerhin das: Versuche, die Welt zu verstehen und sich in ihr zu orientieren.

Auch Nationalisten sind Menschen – geplagt von Sorgen um die Bedingtheiten des menschichen Daseins. Hierzu zählt nicht zuletzt das tragische Bewusstsein um die eigene Sterblichkeit, die jedwedem Handeln im Kleinen gänzlich allen Sinn zu rauben droht. Der Natalismus entbindet dabei von der alltäglichen, konkreten Selbstsorge um den Lebensinn, indem er sie auf die eigenen Nachkommen überträgt. Die Sinnlosigkeit des irdischen Daseins wird so aufgehoben in der unbedingten Liebe für das hilflose Eigene, das wie ganz selbstverständlich und ursprünglich Anspruch auf Fürsorge für sich reklamiert. Plötzlich gibt es keine Sinnfrage mehr – scheinbar.

Denn die Sorge um den eigenen Nachwuchs vermag nur im Augenblick und im Konkreten von der Sinnfrage zu suspendieren. Sobald die Kinder für sich selbst sorgen können, spätestens jedoch zum Ende des eigenen irdischen Daseins kehrt sie mit aller Wucht ins Leben zurück. Ein Ausweg aus der Sinnkrise scheint einigen der Nationalismus zu sein. In der Nation (und damit teilweise auch in den Kindern) könne der Tod transzendiert werden, indem das Individuum „Spuren“ in der Geschichte und im kollektiven Gedächtnis hinterlässt. Der Nationalismus gerät so zu einer Art säkularisierter Ersatzreligion, zu einer Rettung aus der Sinnkrise, zu einem Himmel auf Erden.

Es wird daher kein Zufall sein, dass ausgerechnet der Soldat Ernst Jünger diesem Motiv in Vor- und Nachwort zum Buch „Die Unvergessenen“ (1928) nachgegangen ist. Im Soldaten gewinnt die Bereitschaft zur Aufopferung für ein Ganzes und damit die Sinnfrage ihre dichteste Gestalt. Die Aufopferung lebt geradezu von dem Motiv, dass man „in einem lebendigen Bilde, das als Teil eines anderen Menschen noch lange Zeit durch diese Welt getragen wird“, weiter lebt. Diese Aufopferungsbereitschaft dürfte dabei um so höher ausfallen, je mehr sich der Einzelne selbst als Gemeinschaftsleistung erlebt und daher eine Verpflichtung dieser Gemeinschaft gegenüber verspürt. Nationalisten sind – so gesehen – keine Anti-Individualisten, sondern haben einen anderen Begriff vom „Individuum“. „Jedes Einzelleben ist (…) das Abbild der wirkenden Kräfte einer Zeit, die auch in allen anderen lebendig ist.“, so Jünger. Ohne die Gemeinschaft wäre das Individuum demnach also schlicht nicht möglich. Für Jünger sind die Toten am Ende sogar „lebendiger“ als die Lebenden, weil Erstere das Äußerste gewagt hätten, wozu Menschen in der Lage wären.

Jedoch nicht nur der Soldat und Schriftsteller Jünger, sondern auch der Soldat und NPD-Fraktionsvorsitzende Pastörs ringt mit dem Sinn des Lebens. Pastörs erklärte so vor geraumer Zeit in einer Saalveranstaltung, dass der Sinn des Lebens ursprünglich das „Weitergeben des Lebens“ gewesen sei und aktualisiert diesen für seine Politik wie folgt: „Der Sinn des Lebens ist ganz einfach, dass wir in tausend Jahren jemandem noch ins Gesicht schauen können, der so ähnlich aussieht wie wir.“

Darüber mag man freilich schmunzeln und sich an einen „erbärmlichen Tropf“ erinnert fühlen. Indes ändert dies nichts an der Tatsache, dass die Politik der säkularisierten Gesellschaft eine Antwort auf die Sinnfrage nicht nur nicht bietet, sondern bereits das Aufwerfen der Frage unterlässt. Verhandelt und diskutiert wird über Steuersätze, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, die Höhe des Kindergeldes – über den Sinn unseres Tuns, über das gute Leben, über die Grundfragen unseres menschlichen Zusammenlebens in einem politischen Gemeinwesen hingegen diskutieren wir nicht. Für die Sozialdemokratie argumentierten einst Thomas Meyer, Johanno Strasser oder Anthony Giddens für eine „Politik des guten Lebens“ oder eine „Politik der Lebensführung“ – jenseits aller der ausschließlich auf das Individuum konzentrierten Fragen des irdischen Daseins. „Spuren“ hinterlassen haben diese Beiträge in der gegenwärtigen Politik indes bis heute nicht.

Allerdings vermag auch und gerade der „Ausweg“ des Nationalismus keiner zu sein. Genau genommen ist er vielmehr sogar eine billige Flucht vor dem Tragischen im menschlichen Leben. Die Frage nach dem Sinn läuft letztlich zu in der Sehnsucht nach der Ewigkeit. Hierin berühren sich die Motive von gleichermaßen eschatologisch inspirierten Nationalisten und Kommunisten. Nichts Irdisches jedoch ist ewig. Es gibt keinen Himmel auf Erden: Weder den der Nation noch den des kommunistischen Paradieses.

gewidmet: einem Manne, auf den Verlass ist

michael-schaefer
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de