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Ernst Nolte II: Der Streit um den Historikerstreit

 

Was auf Noltes FAZ-Artikel aus dem Jahre 1986 folgte, war eine der größten und bedeutendsten intellektuellen Debatten, die die Bundesrepublik Deutschland bis dahin und auch danach gesehen hatte. Insbesondere der „Starphilosoph“ der Kritischen Theorie, Jürgen Habermas, attackierte Nolte und drei weitere Historiker scharf und warf ersterem vor, letztlich eine „Spielart von Revisionismus“ zu betreiben.

Nolte „schlägt“, so Habermas, „zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Nazi-Verbrechen verlieren ihre Singularität dadurch, daß sie als Antwort auf (heute fortdauernde) bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden.“ Indem Habermas den betroffenen Historikern außerdem pauschal vorwarf, sie würden letztlich an der Rehabilitierung eines unbekümmerten Nationalbewusstseins arbeiten, verlagerte sich der Diskurs vom Feld der Wissenschaft in das der (Geschichts)Politik. Dabei ausgerechnet Nolte in seinen Werken eine unmittelbare politische Parteinahme vorzuwerfen, verriet mehr über den Rezipienten als den Autor. Die Tatsache, dass Noltes Thesen im Kern bereits 1963 veröffentlicht wurden und seinerzeit keinesfalls auf breite Kritik stießen, sondern von Autoren wie Kurt Sontheimer noch als „außerordentliche Bereicherung unseres Verständnisses vom Faschismus als Gesamtphänomen“ gefeiert wurden, brachte daher nicht nur Horst Möller zu der spöttischen Bemerkung, dass Habermas doch tatsächlich „bereits nach 23 Jahren“ Noltes Thesen entdeckt habe.

Allerdings änderte dies nichts daran, dass Nolte fortan an als „Revisionist“ galt, der die Singularität des Holocaust in Frage stellen wollte – und dies, obwohl er stets ausgerechnet an der Singularitätsthese festhielt. Zuletzt stellte er im Jahr 2005 in einem Gespräch mit Siegfried Gerlich klar: „Allerdings halte ich nach wie vor daran fest, daß die nationalsozialistische Vernichtung am Ende ‚schlimmer’ war, weil ein anderer Zusammenhang gegeben war: Hier wurden Menschen aufgrund ihrer biologischen oder ethnischen Qualitäten vernichtet, während sie im Idealtyp der marxistischen Revolution eigentlich nur auf ihre ursprüngliche Gleichheit – gegen die sie gleichsam verstoßen hatten, insofern sie zur herrschenden Klasse gehörten – zurückgebracht werden sollten. Im Prinzip hätte es also auch ohne Todesopfer abgehen können.“ Rudolf Augstein ging am 6. Oktober 1986 dennoch so weit, mit Blick auf Nolte von einer neuen „Auschwitzlüge“ zu sprechen. Seine Einordnung als „Revisionist“ wurde nicht zuletzt dadurch verstärkt, dass er in späteren Werken dazu überging, auch die Arbeiten so genannter „Negationisten“, also radikaler Holocaustleugner, wissenschaftlichen Analysen zu unterziehen. Einen letzten großen Schlag gegen Nolte führte dann schließlich im Jahr 1999 der Literaturkritiker und FAZ-Autor Marcel Reich-Ranicki in seiner Autobiografie „Mein Leben“. Der Literaturpapst warf Nolte nicht nur vor, den „Nationalsozialismus zu verteidigen“ und Artikel mit „antisemitischen Akzente(n)“ veröffentlicht zu haben, sondern erklärte ihn letztlich gar zu einer „verächtlichen Figur der deutschen Zeitgeschichte“.

Nur wenige Diskutanten zeigten seinerzeit, dass es auch anders geht. Noch im Jahr 1986 lud, was heute kaum vorstellbar erscheint, bspw. die SPD unter Beteiligung Peter Glotzens Nolte zu einer Diskussion ins Ollenhauer-Haus, woran dieser sich jedoch nach eigenen Angaben „nicht sehr gern“ erinnert. Zehn Jahre später führten Nolte und der bereits erwähnte Kommunismusforscher François Furet außerdem einen umfangreichen und respektvollen Briefwechsel zu den Kernfragen des „kausalen Nexus“, der im Jahr 1998 unter dem Titel „Feindliche Nähe“ gar als Buch veröffentlicht wurde. Furet trat dabei Nolte sachlich-wohlwollend gegenüber, ohne jedoch aus seiner grundsätzlichen Ablehnung der historisch-genetischen Totalitarismustheorie ein Geheimnis zu machen. Furet konzentrierte sich insbesondere auf jene Teile in Noltes Theorie, die in der Tat schwer verdaulich erscheinen. Denn trotz seiner beharrlichen Unterscheidung zwischen dem „Verstehbaren“ und dem „Verständlichen“ (Letzterem haftet nach Angaben Noltes ein Aspekt des Zustimmungswürdigen an), behauptet er nicht nur einen verstehbaren „kausalen Nexus“ zwischen Bolschewismus und Nationalsozialismus, sondern spricht Letzterem sogar ein gewisses historisches Recht, in seiner Motivation ein „Stück des Richtigen“ zu. Nolte spielt damit auf die Tatsache an, dass nach gängiger Interpretation in den Führungsetagen der Bolschewiki in erheblichem Umfang „Juden“ gesessen und sich so auch an Terror und Vernichtungsmaßnahmen beteiligt hätten – ein Hinweis, der im Jahr 2003 dem CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann zum Verhängnis werden sollte. Insofern also „Juden“ zu den erklärten politischen Gegnern der Nationalsozialisten gehört hätten, sei es nicht nur verstehbar, sondern letztlich auch – zumindest in gewissem Umfang – „verständlich“, dass diese aus Angst vor dem „roten Terror“ selbst zu einer rassistischen Vernichtungslogik ausgeholt hätten.

Erst jüngst betonte dabei Nolte in einem Vorwort zum wohl erfolgreichsten Buche aus dem Hause Antaios „Jüdischer Bolschewismus“ (2003) von Johannes Rogalla von Bieberstein – eben jenem Buch, auf das sich auch Hohmann bezog -, dass nicht nur die Nationalsozialisten, sondern zahlreiche Juden selbst davon ausgegangen seien, das Judentum verfüge über ein „jüdisches Wesen“. Indem der Antisemitismus der Nationalsozialisten somit zur bloßen und teils berechtigten Reaktion auf den „jüdischen Messianismus“ erklärt wird, erhält der „kausale Nexus“ eine doppelte Wendung: Auschwitz erscheint nicht nur als Antwort auf den Archipel GULag, sondern vor allem tendenziell als Produkt der Juden selbst. Und genau dieses „Argument“ stößt auf den vehementen argumentativen Widerstand Furets, weil es in plumper Fassung strukturell identisch mit zahlreichen Antisemitismen ist. Gerade weil die Motive der Nazis nach Furet am Ende „irrational“, also nicht rational zu rechtfertigen seien, könne es auch keine kausale Beziehung zwischen Gulag und Auschwitz geben, die den Holocaust zumindest teilweise „verständlich“ macht, weil sie zumindest in gewissem Umfang als „berechtigt“ erscheint. „Die Behauptung, daß ‚der Gulag vor Auschwitz existiert hat’, ist nicht falsch, und sie ist auch nicht irrelevant, aber sie hat nicht die Bedeutung einer Beziehung von Ursache und Wirkung.“, schreibt Furet am 3. April 1996 an Nolte. Wenig später präzisiert er dieses Argument dahingehend, dass Nolte „eine Unterscheidung chronologischer Art“ einführe, ihr „jedoch eine kausale Bedeutung“ zumesse.

Selbst dann also, wenn bestimmte „Juden“ sich ein „Jüdisches Wesen“ zuschreiben würden und sich als ethnische Entität begriffen, rechtfertigte dies nicht, sie als metaphysische Entität im Sinne einer Kollektivhaftung in Anspruch zu nehmen – ganz zu schweigen von der Frage der moralischen Legitimation der angeblichen „Reaktion“ der Nationalsozialisten. Indem Nolte diese Unterscheidung verwischt, wird er nicht zum Antisemiten, sondern begeht einen fundamentalen Fehler in der Theorie der Kausalität. Er scheitert damit genau an dem, worin innerhalb der Geschichtswissenschaft für gewöhnlich seine große Stärke gesehen wird: an einer im Grunde simplen philosophischen Unterscheidung. Dies verweist implizit auf wesentliche Voraussetzungen in seinem Denken, das sich letztlich als ethnisch motiviert erweist und ihn daher auf Seiten der Rechten verortet. So gesehen findet sich auch in Habermas’ Kritik, Nolte und Co. würden in Wahrheit an einer Rehabilitierung eines unbekümmerten Nationalbewusstseins arbeiten, ein „Stück des Richtigen“. Ein unkritischer und naiver Nationalismus ist indes trotzdem nicht seine Sache: „Zu denen, die (…) von Liebe zum deutschen Volk sprechen, zähle ich mich nicht. Ich wüßte nicht, aus welchem Grund ich die gegenwärtigen Deutschen, nur weil sie ebenfalls deutsch sprechen, lieben sollte.“ Nolte sieht sich daher als Historiker „zwischen den Fronten“.

ER
weitere Informationen: http://www.endstation-rechts.de