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Nazis dürfen durch das „Kreuzberg“ Dresdens marschieren

 

Tausende Neonazis dürfen am 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens in der Stadt aufmarschieren. Das Gericht hob heute das Verbot der Stadt auf.

Es wird voraussichtlich der größte Naziaufmarsch Europas – und für Dresden einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte der Stadt. Etwa 8000 Neonazis und schätzungsweise doppelt so viele Gegendemonstranten werden am Samstag in der sächsischen Landeshauptstadt erwartet. Rund 8000 Polizisten aus ganz Deutschland sollen den Rechten die Straße freiräumen und Auseinandersetzungen mit Linken verhindern. 2000 Beamte mehr, als beim Dresden-Besuch von US-Präsident Barack Obama im Einsatz waren.

Heute entschied das Oberverwaltungsgericht Bautzen, dass die Rechten ausgerechnet durch Dresden-Neustadt marschieren dürfen. Der Bezirk gilt als links-alternative Hochburg. Bis zuletzt hatte die Stadt gehofft, dass mithilfe des neuen Versammlungsgesetzes wegen eines „polizeilichen Notstands“ nur eine Kundgebung erlauben könnte. Schon vor einer Woche war sie jedoch mit dem Verbot des Demonstrationsmarsches in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Dresden gescheitert.

Am 13. und 14. Februar vor 65 Jahren starben durch Bombardierungen der Alliierten rund 25.000 Menschen in Dresden. Seit einigen Jahren versuchen Neonazis, das Gedenken an die Opfer für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Mehrere Tausend Rechtsextremisten pilgern Jahr für Jahr in die Stadt, um unter dem Deckmantel eines „Trauermarsches“ die NS-Diktatur zu verherrlichen. Von rechtsextremen Parteien wie NPD und DVU bis hin zu militanten Kameradschaften zeigt sich das ansonsten zerstrittene europäische Neonazispektrum an diesem Tag vereint. Das sächsische Innenministerium rechnet damit, dass in diesem Jahr der bisherige traurige Rekord von 7000 rechten Demonstranten überschritten wird.

Doch auch die Zahl der Gegner wird diesmal wohl weit höher sein als in all den Jahren zuvor. Gleich drei Bündnisse wollen zeigen, dass die Rechten in der Elbstadt nicht erwünscht sind. Dass es keinen gemeinsamen Protest gibt, liegt daran, dass die Zivilgesellschaft in Dresden tief gespalten ist. Verhältnismäßig wenige Dresdner und kaum Landespolitiker beteiligten sich in den letzten Jahren an den Protesten gegen die Naziaufmärsche. Viele Bewohner sehen das eigene Gedenken an die Bombenopfer von Neonazis und linken Autonomen gleichermaßen bedroht.

Das größte Problem dürften für die Polizei die geplanten Sitzblockaden des Bündnisses „Dresden nazifrei“ werden. Schon ab dem frühen Morgen wollen die im ihm vereinten Gruppen mit „massenhaftem zivilem Ungehorsam“ den Aufmarsch stoppen. Vorbild ist die erfolgreiche Verhinderung eines Kongress von Rechtsextremen im Jahr 2008 in Köln. Politiker von Linkspartei, SPD und Grünen sowie zahlreiche Künstler, Initiativen und Antifagruppen haben sich dem Aufruf angeschlossen. „Von uns wird keine Eskalation ausgehen“, betont Bündnis-Sprecher Henning Jansen immer wieder. Trotzdem sei klar, dass man sich von der Polizei nicht alles gefallen lassen werde.

Das von den linken Aktivisten beanspruchte „demokratische Recht auf Blockaden“ sieht der Dresdner Staatsanwalt Christian Avenarius jedoch als „Aufruf zu Straftaten“. Er ließ vor zwei Wochen kurzerhand Tausende Plakate mit dem Slogan „Gemeinsam blockieren“ beschlagnahmen. Ein Laden in Berlin und das Landesbüro der Linkspartei in Dresden wurden durchsucht. Wenige Tage später wurde die Webseite www.dresden-nazifrei.de gesperrt. Doch anstatt sich von den „illegalen“ Sitzblockaden zu distanzieren, setzten sich reihenweise empörte Politiker, Musiker und Einzelpersonen für das Bündnis ein. Aus den ursprünglich 900 Unterzeichnern des Aufrufs wurden innerhalb einer Woche weit über 2000. Statt 80 Bussen mit Gegendemonstranten aus ganz Deutschland werden nun mehr als 120 kommen.

Prominente Unterstützung bekommen die Blockierer von den Toten Hosen. „Ich halte Sitzblockaden für eine sehr gute Form des Protests, auch wenn sie per Gesetz vielleicht nicht vorgesehen sind“, sagt Gitarrist Michael Breitkopf. „Es geht bei dem Nazimarsch um die Verbreitung menschenverachtender, antidemokratischer Propaganda, da muss man auch zu einem Mittel greifen dürfen, das streng genommen vielleicht illegal ist.“ Auch Ärzte-Schlagzeuger Bela B. ruft zum Blockieren auf und ließ sich dazu mit dem beschlagnahmten Plakat fotografieren.

Mit etwa 10.000 Teilnehmern rechnet das Bündnis. Der Verfassungsschutz befürchtet, dass darunter mindestens 1000 militante Autonome sein werden. Der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP) kündigte vorsorglich „eine niedrige Einschreitschwelle“ der Polizei an. 80 Zellen werden in den Dresdner Gefängnissen vorsorglich freigehalten. Ein Staatsanwalt und mehrere Richter werden bereitstehen, um Gewalttäter schnell zu verurteilen.

Friedlich wird es bei dem von der Stadt organisierten Protest in Form einer Menschenkette zugehen. „Gedenken, Mahnung und Widerstand in einem“, soll laut Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) das Ziel der Aktion sein. Symbolisch will man ab 13.30 Uhr die Dresdner Innenstadt vor dem Eindringen Rechtsextremer schützen. Mit einer weißen Rose als Anstecker soll „ein Zeichen für die Überwindung von Krieg, Rassismus und Gewalt“ gesetzt werden. Allerdings erst zwei Stunden nach dem geplanten Beginn der rechten Kundgebung.

Das dritte Bündnis ist ein christliches. Mit einem Friedensgebet für „alle Menschen guten Willens“ wollen zahlreiche Vertreter der Kirchen sowie RBB-Intendantin Dagmar Reim, der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) protestieren – „in Sicht- und Hörweite der Nazis“, wie sie betonen.

Die Neonazis haben sich auf die breiten Proteste eingestellt. Vorsorglich haben sie ihren Aufzug bis in die späten Abendstunden angemeldet. Danach wird die Polizei noch mal alle Hände von zu tun haben, um Auseinandersetzungen zu verhindern. Im letzten Jahr griffen einige Neonazi-Gruppen auf der Heimreise Gegendemonstranten an. An einem Rastplatz in Thüringen überfielen Rechtsextreme einen Gewerkschaftsbus und traten so lange auf einen Gewerkschafter ein, bis der lebensgefährlich verletzt liegen blieb. Zwar nahm die Polizei anschließend die Personalien der 37 Neonazis auf. Wie jetzt bekannt wurde, sind aber alle Verfahren eingestellt worden.