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Blockadebündnis bricht den Nazi-Mythos Dresden

 

Stundenlang wurden die Straßen blockiert - die Polizei schaffte es nicht zu räumen   Foto: dpa
Stundenlang wurden die Straßen blockiert - die Polizei schaffte es nicht zu räumen Foto: dpa

Ein Jahr gezielte Vorbereitung und stundenlanges Sitzen bei Minusgeraden auf der Straße – das Bündnis „Dresden Nazifrei“ hat das geschafft, was bislang kaum jemand für möglich gehalten hat: Der alljährlich größte Naziaufmarsch in Europa am Jahrestag der Bombardierung Dresdens wurde erstmals erfolgreiche blockiert. Das schreckliche Ritual der Rechtsextremisten, diesen Gedenktag mit ihren braunen Parolen zu missbrauchen, wurde durchbrochen. Vielleicht auf Dauer.

Kaum sind die Türen der 32 Busse aufgegangen, eilen die rund 1500 Berliner Nazigegner am Samstagmorgen auf die Straße. Viele können es gar nicht glauben, dass der riesige Konvoi ohne Kontrollen bis in die Dresdner Neustadt, dem angekündigten Aufmarschgebiet der Nazis, fahren konnte. „Wir hatten eigentlich befürchtet, dass wir auf der Autobahn für Stunden festgesetzt werden“, sagt ein junger Mann mit einer Ver.di-Fahne. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. So wurde es auf der Fahrt erklärt: Zügig und vor allem friedlich zum Blockadepunkt laufen. Der ist rund 1,5 Kilometer entfernt.

Blitzschnell teilen sich die 1500 Menschen in zwei Gruppen auf. Die einen laufen schnellen Schrittes geradeaus, die anderen biegen in eine Seitenstraße ab. Die Polizei ist völlig überfordert. Beamte in Kampfmontur bilden eilig eine Kette, versuchen, die Nazigegner mit Schlagstöcken aufzuhalten. Doch immer mehr Menschen gelingt es, durch die Lücken zu rennen. Nach zehn Minuten gibt die Polizei auf und lässt alle Übrigen ebenfalls durch.

Es ist kurz vor 10 Uhr. Die erste der insgesamt fünf Blockaden um den Neustädter Bahnhof steht. Sieben Stunden lang werden die Menschen hier auf der Straße sitzen, bis der geplante Marsch der Neonazis endgültig verhindert ist, ohne dass dies sich auch nur einen Meter in Bewegung setzen konnten. Als am späten Nachmittag die Nachricht über den Lautsprecher durchgesagt wird, dass die Polizei die Nazis nach Hause schickt, bricht Jubel aus. Hunderte tanzen und singen. „Ich bin unglaublich müde, kaputt und durchgefroren“, sagt eine Frau, die auf einer Isomatte im Schnee sitzt. „Aber dafür, dass die Rassisten nicht laufen konnten, hat es sich gelohnt.“

„Es ist ein großer Erfolg für alle, die sich aktiv den Neonazis in den Weg gestellt haben“, sagt Lena Roth, Sprecherin des Bündnisses „Dresden-Nazifrei“. Ein Jahr haben hunderte Initiativen gegen Rechts, Antifagruppen und Einzelpersonen das ausgeklügelte Blockadekonzept organisiert. Unterstützt wurde das Bündnis auch von Politikern von SPD ,Grünen und Linke und Künstlern wie Konstantin Wecker und den Toten Hosen. Rund 15.000 Menschen folgten dem Aufruf und beteiligen sich an den Sitzblockaden. Mit mehr als 120 Bussen aus ganz Deutschland waren die Aktivisten angereist.

Erfolgreich war das Bündnis nicht nur, weil der Aufmarsch tatsächlich zum ersten Mal gestoppt wurde, sondern auch weil die verabredete Gewaltfreiheit bei allen Blockadepunkten eingehalten wurde. Außer einigen Schneebälle, die in Richtung Polizei flogen, blieb es den ganzen Tag weitgehend friedlich. Diejenigen Linkradikalen, die brennende Barrikaden bauten und Autos von Neonazis umkippten, konnten dies nur weit ab von den friedlichen Protesten tun. Dabei wurden nach Angaben der Polizei 27 Menschen verletzt, darunter 15 Beamte. 29 Demonstranten kamen vorübergehend in Gewahrsam. Acht Personen wurden wegen Sachbeschädigung festgenommen.

Dass Bürgermeisterin Helma Orosz und Ministerpräsident Stanislav Tillich (beide CDU) die Niederlage der aus halb Europa angereisten Rechtsextremisten als Erfolg der von der Stadt organisierten Menschenkette mit 10.000 Teilnehmern in der Altstadt zuschrieben, ärgert an diesem Tag viele der linken Demonstranten. „Es ist doch absurd: die Menschenkette war auf der anderen Seite der Elbe. Die haben nicht einen einzigen Nazis zu Gesicht bekommen“, sagt ein Blockierer. „Hätten wir hier nicht stundenlang in der Kälte gesessen, wären die Nazis ganz normal losgelaufen“, fügt ein älterer Mann aus Potsdam hinzu.

Gegen Abend ziehen dann rund 10.000 Menschen auf die andere Seite der Elbe, um mit ihren Reisebussen nach Hause zu fahren. Weil im Dunkeln Übergriffe wütender Neonazis befürchtet werden, hat man allen eingeschärft nur in großen Gruppen durch die Stadt zu gehen. Auf der Kundgebung der Rechtsextremisten hatte Thomas Wulff, einer ihrer Anführer, zuvor gedroht: „Um 18 Uhr fahren unsere Busse ab. Wenn man uns nicht zu ihnen durchlässt, werden unsere Kameraden ausschwärmen und dafür sorgen, dass die Polizei hier in Dresden heute Nacht keine Ruhe hat.“

Auf der Heimreise sorgen Neonazis dann andernorts für Krawalle. In Gera unterband die Polizei einen spontanen Aufmarsch von Rechtsextremen. Dabei überrannten die Polizeibeamte, zerbeulten Polizeifahrzeuge und beschädigten eine Skulptur vor dem Stadtmuseum. 183 Randalierer wurden wegen Landfriedensbruchs vorläufig festgenommen. Im sächsischen Pirna versammelten sich etwa 400 Rechtsextreme. Dabei sei es ebenfalls zu Sachbeschädigungen gekommen, teilte die Polizei am Sonntag mit. Bereits im Vorjahr hatten Neonazis auf der Rückfahrt einen Bus mit Gegendemonstranten überfallen und fünf Insassen verletzt.

„Wir kommen wieder“, skandiderten die Gegendemonstranten, bevor sie nach Hause fuhren. Einige Anwohner stehen an den Fenstern und winken. Sie wissen, dass die Nazis auch im nächsten Jahr wieder versuchen werden, ihren Aufmarsch durchzuführen. Aber ob es wieder so viele werden und vor allem, ob die Stadt nach den Gewaltausbrüchen aus dem Zug der Nazis heraus die Veranstaltung überhaupt erlauben wird, ist jetzt fraglich.