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Judenhass auf Facebook

 

... und Facebook ermöglicht es dir auch, unbehelligt deine antisemitischen Äußerungen zu verbreiten © dpa

Eine neue Welle von Antisemitismus verbreitet sich auf Facebook und anderen Netzwerken. Nun macht eine Anwendung die rechtsextremen Botschaften sichtbar … und Facebook ermöglicht es dir auch, unbehelligt deine antisemitischen Äußerungen zu verbreiten.

Von Tina Klopp

Bilal La-Fares sieht ganz gewiss nicht aus wie der nette Junge von nebenan. Mit dunkler Sonnenbrille und einem Messer in der Hand posiert er auf seinem Facebook-Profilbild. „ICH WÜNSCHE MIR SO SEHR DAS DIE JUDEN ALLE STERBEN (DOCH VORHER SOLLEN IHRE FRAUEN VON 10.000.000 SChwarzen mit 23 Cm STANGEN durch genommen werden !“ schreibt er am Mittwoch für alle Welt sichtbar auf seine digitale Pinnwand.

Facebook Antisemitismus

"Ich wünsche mir so sehr, dass die Juden alle sterben": Screenshot eines Facebook-Profils am Mittwoch, 16 Uhr.

© Screenshot/Facebook/ZEIT ONLINE

„Ich wünsche mir so sehr, dass die Juden alle sterben“: Screenshot eines Facebook-Profils am Mittwoch, 16 Uhr.

Die Zahl rechtsextremer Parteien, radikaler Organisationen und faschistischer Gruppen, die das Netz für sich zu nutzen verstehen, ist groß. Der Facebook-Gruppe „We respect you hitler“ traten zahlreiche Holocaust-Leugner bei. Fast 50.000 Mitglieder hatte einst eine Initiative namens „Israel is not a country!“. Sie forderte Facebook dazu auf, Israel aus den Ländereinstellungen zu löschen.

Die Gegenwehr bestand bislang hauptsächlich darin, eine noch viel größere Gegenbewegung zu gründen. (Etwa: Group against all groups against Israel). Um im Detail zu sehen, was innerhalb der NPD auf Facebook passierte, musste man zudem selbst Mitglied sein – wenn man denn aufgenommen wurde.

Das ändert sich jetzt durch eine Anwendung, die Openbook heißt. Sie macht öffentlich, worüber sich Mitglieder von Facebook auslassen. Von „Hühneraugen“ bis „Holocaust“, was immer auch Facebook-Mitglieder von sich geben, Openbook wirft es mit einer Suchanfrage aus. Wer nach „Juden“ sucht, bekommt eine besonders lange Liste von Einträgen. Vieles davon lässt einem die Haare zu Berge stehen.

antisemitismus

Profil eines Antisemiten, bislang wurde der Eintrag nicht gelöscht

© Screenshot/Facebook/ZEIT ONLINE

Profil eines Antisemiten, bislang wurde der Eintrag nicht gelöscht

Bülent Bozkurt etwa schreibt: „scheiss juden, am besten alle vergasen…“ Trabzon sähe gerne „Bomben regnen auf Tel Aviv“ und schreibt: „ich glaub die juden wollen wieder eine abreibung wie vor 65-70 jahren aber diesmal gibt es kein entkommen ;-)“ Unter dem Namen Nihat Karakas zitiert ein Mitglied aus Mein Kampf, S. 334 „Der Jude ist und bleibt der typische Parasit, ein Schmarotzer, der wie ein schädlicher Bazillus sich immer mehr ausbreitet, sowie nur ein günster Nährboden dazu einlädt.“ Als Profilbild hat er eine Titanic-Satire auf eine Werbung der Bild-Zeitung gewählt: „Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“ Mit einem Bild von Joseph Goebbels.

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Facebook-Profil eines Antisemiten

© Screenshot/Facebook/ZEIT ONLINE

Facebook-Profil eines Antisemiten

„Grundsätzlich ist es so, dass Facebook natürlich alle Inhalte, die gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen, umgehend löscht und ein eigenes Team arbeitet hart daran, diese Inhalte so schnell wie möglich zu identifizieren“, sagt ein Facebook-Sprecher dazu.

„Natürlich sind diese Äußerungen in Deutschland ein Straftatbestand“, sagt Jörg Nabert, der auch ZEIT ONLINE in Rechtsfragen berät. Aber es sei nicht so einfach, ein amerikanisches Unternehmen für solche Inhalte haftbar zu machen. Und das nicht nur, weil viele Unternehmen versuchten zu verhindern, dass sie auch in anderen Ländern juristisch für Inhalte geradestehen müssten. Google etwa habe lange in Deutschland nur ein kleines Büro unterhalten. Das war zudem nur für das Marketing zuständig, um nicht als Niederlassung gezählt zu werden. „In den USA hat man auch eine völlig andere Tradition in Fragen der öffentlichen Meinung“, sagt der Rechtsexperte. Viel einfacher wäre eine Anklage, wenn ein deutsches Netzwerk wie StudiVZ betroffen ist, sagt Nabert. (Die VZ-Gruppe gehört wie Teile der ZEIT zur Verlagsgruppe Georg v. Holtzbrinck)

Das heißt jedoch noch lange nicht, dass man auf diesen Netzwerken vor ähnlichen Sätzen gefeit wäre. Allein StudiVZ hat sieben Millionen Mitglieder. Die permanent zu überwachen ist eine schwer lösbare Aufgabe. Mit seiner schieren Masse hat auch Facebook zu kämpfen. Jeden Tag aktualisieren die Nutzer 55-Millionen-mal ihren Status, jede Woche werden 3,5 Milliarden Fotos, Videos und Links getauscht. „Es gilt natürlich immer der Aufruf an alle User, entsprechende Inhalte/Gruppen/Pages umgehend zu melden, oder besser noch: aktiv dagegen vorzugehen und selbst eine entsprechende Gruppe oder Aktion zu starten“, appelliert Facebook an die Hilfe der Mitglieder.

Facebook bietet die Möglichkeit, zu Hassreden neigende Mitglieder mit einem recht einfachen Klick auf der Seite zu melden. Das Menü unterscheidet etwa die Rubriken „Nacktheit oder Pornografie“ oder auch „Rassistisch/Hetzrede“ oder etwa „Bedroht mich oder andere Mitglieder“. Anschließend kann man das betreffende Posting auswählen und den Betreffenden beim Administrator anschwärzen.

Da jedes Mitglied diese Meldungen anonym und auch einfach nur zum Spaß abgeben kann, wird das Team, das Facebook zu diesem Zweck eingestellt hat, alle Hände voll zu tun haben. So erklärt sich vielleicht, warum am nächsten Morgen die meisten der Kommentare weiterhin online sind.

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Antisemitistische Äußerungen auf Facebook, trotz mehrfacher Meldung bis jetzt nicht gelöscht (Stand: 4.6.2010, 8 Uhr 30)

© Screenshot/Facebook/ZEIT ONLINE

Antisemitistische Äußerungen auf Facebook, trotz mehrfacher Meldung bis jetzt nicht gelöscht (Stand: 4.6.2010, 8 Uhr 30)

Manchmal entscheidet Facebook aber auch, kritische Inhalte einfach stehen zu lassen. Jedes Land habe da andere Vorstellungen, heißt es dazu. „Es kann zum Beispiel in einigen Ländern verboten sein, homosexuelle Inhalte zu verbreiten, das heißt aber noch lange nicht, dass wir diese Inhalte aus Facebook entfernen sollten.“ Man blockiere diese Inhalte daher in den Ländern, in denen die Inhalte illegal sind. Dazu gehören auch die Inhalte von Nazi-Seiten oder Holocaust-Leugnern in einigen europäischen Ländern.

Wenn Facebook selbst nicht löscht, bleibt nur die Strafanzeige. Hieran haben aber offenbar die deutschen Staatsanwaltschaften ein eher geringes Interesse. „Da legt man nicht alles so auf die Goldwaage“, sagt der Anwalt Nabert. Viele Gerichte neigten zu der Ansicht, dass „Im Internet eh so viel Unsinn verbreitet“ werde, weshalb man nicht in jedem Einzelfall aktiv werden könne. Für Nabert zeigt sich an solchen Beispielen auch das Dilemma zwischen Zensurvorwürfen zum einen und dem Wunsch nach dem Guten im Netz zum anderen. „Wer auf der einen Seite verlangt, dass das Internet frei und unreguliert bleiben soll, der muss sich überlegen, ob er dann auch mit antisemitischen Sprüchen und Morddrohungen im Netz leben kann.“

„Das sind Straftaten“, ärgert sich auch der Berliner Rechtsanwalt und Internet-Experte Niko Härting. Seiner Meinung nach wären die Staatsanwaltschaften hier auf jeden Fall gefragt. Er glaubt auch, dass man mittelfristig gute Chance haben wird, das – amerikanische – Unternehmen Facebook hierzulande zu belangen. „Auch wenn man in diesen Fällen ein bisschen aufwendiger argumentieren müsste.“ Von den technischen Lösungen wie dem Meldesystem hält der Anwalt indes nicht sehr viel. Er würde einen entsprechenden Brief verschicken und Facebook eine „angemessene“ Frist zur Löschung setzen. „Angemessen wäre bei einem so klaren Fall beispielsweise: bis morgen zwölf Uhr.“

Immerhin, erste Erfolge sind am nächsten Tag ja auch doch zu vermelden. Bilgin Özi wurde inzwischen offensichtlich vom Facebook Admin-Team informiert. Er verkündet auf seiner Pinnwand: „VON MİR AUS KÖNNT İHR MİCH LÖSCHEN.FACEBOOK İST MİR NİCHT LEBENSWİCHTİG…İHR BRİNGT MİR AUCH KEİN GELD..İM GEGENTEİL.İCH MUSS JEDEN TAG FÜRS İNTERNETCAFE GELD ZAHLEN UM AUF FACE ZU SCHAUEN WAS LOS İST.ABER İCH VERZİCHTE AUCH GERNE DRAUF“

Und der Rest der erwähnten User? Der darf seinen Hass bis auf weiteres verbreiten. Kadir Sert zum Beispiel „zitiert“ immer noch Adolf Hitler: „Es wird der Tag kommen, an dem ihr mich verfluchen werdet, weil ich nicht jeden Juden umgebracht habe (Zitat von A. Hitler)“. Was dabei noch auffällt: Unter den deutschsprachigen Postings finden sich fast nur ausländisch klingende Namen. Vermutlich sind viele deutsche Nazis geübter darin, ihre Stellungnahmen zu verschlüsseln und auf versteckten Seiten zu verbreiten. Sie können besser mit den Einstellungen zum Schutz der Privatsphäre umgehen und sind über Openbook daher nicht zu finden.

Und noch etwas: Wenn man die hasserfüllten Kommentare liest, und dabei einen kleinen Ausschnitt erhascht vom Zorn und vielleicht auch vom Leben der Mitglieder, dann wird man den Eindruck nicht los, dass man sich um diese Menschen kümmern sollte. Dringend. Vielleicht gar nicht vorrangig, indem man ihnen einen Anwaltsbrief schickt. Sondern viel grundsätzlicher.