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Tatmotiv: „Hass auf Linke“

 

Mit Gewalt gegen Demokraten - eindeutige Botschaft auf dem T-Shirt eines Neonazis

Am Freitag verurteilte die Jugendstrafkammer am Landgericht Hannover den einschlägig vorbestraften und überregional bekannten 29-jährigen Neonazi Marco Siedbürger. in einer Berufungsverhandlung wegen gefährlicher Körperverletzung zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung. Damit bestätigte sie das vor sieben Monaten gefällte erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Neustadt am Rübenberge. Am zweiten Prozesstag hatte das Gericht das Verfahren gegen den mitangeklagten 20-jährigen Neonazi Christian W. abtrennt, nachdem er nicht zum Prozess erschienen war. In erster Instanz war er zu einer neunmonatigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

Am Abend des 15. März 2009 fand im städtischen Jugendzentrum „Bauhof“ in Wunstorf (Region Hannover) die Geburtstagsfeier eines lokalen Neonazis statt. Unter den Gästen befanden sich auch zahlreiche weitere Rechte.
Kurz nach Mitternacht zog eine etwa 20-30köpfige Gruppe Rechter unter Rufen von Parolen wie „frei, sozial und national“ und „Hier regiert der nationale Widerstand!“ vor das selbstverwaltete Jugendzentrum „Wohnwelt“ am Wunstorfer Bahnhofsvorplatz. Dort traf die z.T. vermummte Gruppe auf zwei Besucherinnen der Wohnwelt. Sofort umringten sie eine damals 18-jährige Alternative. Mit den Worten „Jetzt kriegst du es so richtig!“ wurde die junge Frau zu Boden geschlagen. Dann traten mehrere Angreifer so massiv gegen ihren Körper und Kopf, dass sie das Bewusstsein verlor. Ihr Begleiter, dem es gelungen war zu flüchten, kam der Betroffenen zu Hilfe und versuchte, ihren Kopf zu schützen. Dabei wurde auch er angegriffen und verletzt.

Als sich die alarmierte Polizei näherte, flohen alle Angreifer bis auf Marco S., der weiter auf die Ohnmächtige eintrat und dabei Todesdrohungen brüllte..
Die Betroffene erlitt unter anderem eine Schädigung am Herzen, Kopfverletzungen sowie massive Schürfwunden und Prellungen.

Dieser Angriff stellt lediglich den traurigen Höhepunkt eines massiven Bedrohungs- und Angriffsszenarios von Marco S. und anderen Neonazis gegen die heute 20-Jährige dar. So geriet sie aufgrund ihres Engagements gegen neonazistische Aktivitäten bereits 2007 ins Visier der rechten Schlägerkameradschaft „Nationale Offensive Schaumburg“. Seitdem war sie immer wieder telefonischen Beleidigungen, Bedrohungen und auch körperlichen Angriffen ausgesetzt – mit bis heute anhaltenden körperlichen und psychischen Folgen.

Berufungsverhandlung

Wie bereits vor dem Amtsgericht verwickelten sich auch in zweiter Instanz die Zeugen aus der rechten Szene, denen eine Beteiligung an dem gezielten Angriff aufgrund der Vermummung der Täter nicht angelastet werden konnte in deutliche Widersprüche – zum spürbaren Unmut des Vorsitzenden Richters Löhr. Die Kammer bewertete ihre Aussagen ebenso wie die zentralen Einlassungen des Angeklagten als unglaubwürdig, Löhr bezeichnete Marco S: im mündlichen Urteil als „scheinbar unbelehrbar“ und lobte die differenzierten Aussagen der als Nebenklägerin auftretenden Betroffenen. Nebenklagevertreter Sebastian Nickel kritisierte die Versuche der Verteidigung, den Angriff zu entpolitisieren.

Einordnung der Angeklagten

Während Christian W. den „Freien Nationalisten Hannover Umland“ zuzurechnen ist und vorrangig im Bereich Hannover/Wunstorf agiert, fungierte Marco S. als Kader der Neonazikameradschaft „Nationale Offensive Schaumburg“, die sich 2007 selbst auflöste. Aufgrund mehrerer massiver Körperverletzungen, Holocaustleugnung und der Bedrohung von Personen, darunter Staatsanwalt Pfleiderer und Friedenspreisträger Frank Gockel, stand sie kurz vor einem Verbot durch die Bundesländer Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Marco S. ist unter anderem vorbestraft, weil er gemeinsam mit einem damaligen „Kameraden“ im August 1999 den als obdachlos geltenden Peter Deutschmann so mit Glasscherben mißhandelte und seinen Kehlkopf zertrümmerte, dass dieser qualvoll starb. Das Landgericht Lüneburg entschied auf gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge. Auch nach seiner Haftenlassung stand Siedbürger mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten vor Gericht, unter anderem wegen brutaler Delikte gegen Alternative – darunter mehrfach die Nebenklägerin. Vor Gericht beschrieb Marco S. sich als „Kein Kind von Traurigkeit“.

Christian W. wurde zuletzt im September 2010 vom Amtsgericht Hannover zu einer einjährigen Bewährungsstrafe für einen brutalen Angriff auf einen alternativen Schüler in der Silvesternacht 2009/2010 verurteilt. Nachdem er aus einer Gruppe heraus den Schüler bereits in einer U-Bahnstation mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte, konnte sich dieser in eine Bahn flüchten, in die W. Ihn verfolgte und dort erneut mehrfach zuschlug. Ob die Verurteilung rechtskräftig ist, ist nicht bekannt. Zuvor trat auch er mehrfach durch Körperverletzungen und Angriffe auf Andersdenkende und Journalisten strafrechtlich in Erscheinung.

Die Berufung von Christian W. ist somit noch nicht abgeschlossen., Marco S. bleibt nur noch das wenig erfolgversprechende Mittel der Revision.