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Nazi-Gegner drohen mit Autobahnblockaden um Dresden

 

2010 verhinderten Massenblockaden erstmals den Dresdner Naziaufmarsch © Matthias Zickrow

Rund 20.000 Nazi-Gegner erwartet die Polizei am Sonnabend in Dresden. Sie wollen Europas größten Naziaufmarsch in der Landeshauptstadt um jeden Preis mit friedlichen Sitzblockaden verhindern. Da sie befürchten, dass die Polizei ihre Reisebusse nicht in die Stadt lassen wird, kündigten die Aktivisten am Freitagnachmittag eine drastische Reaktion an. Sollten die Buskonvois aus allen Teilen Deutschlands gestoppt werden, würden die Blockierer direkt auf der Autobahn aussteigen und den Verkehr lahm legen, sagte ein Sprecher dem Störungsmelder. Die Dresdner Polizei reagierte überrascht auf die Ankündigung. Offenbar ist sie auf dieses Szenario nicht vorbereitet. Erklärtes Ziel der Einsatzkräfte ist es, mit umfangreichen Kontrollen die Demonstranten davon abzuhalten in die Nähe des Naziaufmarsches zu gelangen. Was die Beamten tun werden, wenn tatsächlich Tausende Menschen auf der Autobahn stehen, werde man aus taktischen Gründen nicht sagen.

Seit Monaten bereiten sich bundesweit Tausende Menschen auf die Blockadeaktionen vor. Die Organisatoren sprechen von der größten Mobilisierung, die es in Deutschland jemals gegen einen Naziaufmarsch gab. Die Polizei rechnet mit  fast doppelt so viel Blockierern, wie im vergangenen Jahr. Sie werden laut Verfassungsschutzangaben bis zu 6400 Neonazis gegenüberstehen, die angekündigt haben auf jeden Fall marschieren zu wollen. Am Donnerstag untersagte die Stadt den Rechten überraschend die Marschrouten und genehmigte nur eine stationäre Kundgebung. Die Veranstalter klagen vor Gericht gegen die Entscheidung. Am Freitag wurden dann alle drei von den Neonazis angemeldeten Aufmärsche wieder erlaubt. Wie die Stadt darauf reagiert ist bisher unklar.

Mittwochabend im legendären Festsaal Kreuzberg in Berlin: Bis zum letzten Winkel ist der Club gefüllt. Rund 400 junge Leute sind gekommen. Viele haben keine Sitzplätze mehr gefunden und drängen sich in den engen Gängen und an der Theke des Clubs. Gemeinsam mit mehreren Tausend anderen Berlinern und Brandenburgern wollen sie am Sonnabend nach Dresden fahren, um den europaweit größten Naziaufmarsch zu verhindern. Jetzt soll es die letzten Informationen zu den geplanten Protesten und zur Route der Neonazis geben. Im vergangenen Jahr war es rund 12. 000 Demonstranten erstmals gelungen, den jährlichen Marsch der Neonazis durch Sitzblockaden zu stoppen.

„2010 bin ich auch schon mitgefahren und war sehr beeindruckt von den friedlichen Aktionen“, sagt die 25-jährige Annabelle. Für Sonnabend stellt sie sich mit zwei Freundinnen zusammen wieder auf stundenlanges Sitzen bei Minustemperaturen ein. An der Wand hängt ein Demotransparent: „Schnee und Eis in Dresden – die Blockade sitzt“.

Am Büchertisch kauft sich Annabelle noch die von den Organisatoren produzierten Schaumstoffsitzkissen mit dem Aufdruck „Dresden stellt sich quer“ gegen die Kälte. Auf der Bühne erteilen währenddessen fünf Vertreter vom Bündnis „Dresden-Nazifrei“ hilfreiche Tipps für die Proteste. „Denkt an warme Kleidung und Essen, es wird ein sehr langer Tag für uns.“ Auch Wasser zum Spülen der Augen, falls die Polizei Pfefferspray einsetzt, soll mitgebracht werden.

Das Bündnis „Dresden-Nazifrei“ ist bunt gemischt. Von Antifagruppen über Gewerkschaften, bis hin zu Grünen, Linken und SPD werden alle gemeinsam auf der Straße sitzen. Unterstützt werden die Sitzblockaden von zahlreichen Prominenten wie die Toten Hosen, Konstantin Wecker, Fettes Brot, die Ärzte, MTV-Moderator Markus Kavka und weiteren.

Abfahrt für die Berliner ist am Samstagmorgen um fünf Uhr. Über 30 Reisebusse fahren von dort aus los und vereinen sich auf der Autobahn mit weiteren Bussen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Polen. Am Ende wird es ein Konvoi von mehr als 50 Bussen über zwei Kilometer Länge sein. Gleichzeitig werden aus anderen Teilen Deutschlands vier ähnlich große Bus-Konvois Richtung Dresden unterwegs sein. 260 Busse sollen es laut Dresden-Nazifrei werden. Wo genau sich in der Stadt die geplanten Blockadepunkte befinden, wird bis zum letzten Moment geheim gehalten. Polizeiabsperrungen wollen die Aktivisten, wie beim Castortransport, mit ihrer Fingertaktik friedlich „durchfließen“ oder geschickt umgehen.

Ihre größte Sorge ist, dass die Polizei versuchen könnte, die Busse so lange aufzuhalten, dass die Blockierer nicht rechtzeitig in Dresden eintreffen. Aber auch für diesen Fall haben die Organisatoren vorgesorgt: „Wir haben in fast allen Bussen Anwälte oder Bundestagsabgeordnete, die uns bei Problemen helfen werden“, heißt es von der Bühne. Das wegen der Sitzblockaden vom letzten Jahr gegen einige Politiker ermittelt wird, schreckt hier niemanden ab. „Ich werde mich am Samstag natürlich wieder an den Blockaden beteiligen“, sagt Clara Herrmann, die für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt.

Ob der rechtsextreme Aufmarsch am Ende genehmigt ist oder nicht, ist den Gegendemonstranten nach eigener Aussage egal. Sie wollen in jedem Fall nach Dresden fahren. Eine Sprecherin gibt sich am Freitag optimistisch: „Unsere Empfehlung an alle Nazis da draußen: Bleibt lieber zu Hause. In Dresden geht ihr keinen Meter!“