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Nach Dresden-Blockaden – Hausdurchsuchung bei Pfarrer in Jena

 

10 Stunden saßen die Sitzblockierer im vergangenen Jahr bei Minusgraden auf der Straße um den Aufmarsch zu stoppen Foto: Matthias Zickrow

Die Ermittlungen der Polizei wegen der Sitzblockaden gegen den Naziaufmarsch Anfang des Jahres nehmen immer absurdere Züge an. Jetzt hat die Polizei die Wohnung eines Jugendpfarrers in Jena gestürmt  und durchsucht, weil er zu Blockaden aufgerufen haben soll. Mehrere Bündnisse, Kirchen und Politiker protestieren gegen die Kriminalisierung der Proteste.

Hier das Statement von „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“:

Am heutigen Dienstag, den 9. August 2011, wurde die Wohnung und das Dienstzimmer des Stadtrates und Stadtjugendpfarrers Lothar König von der Staatsanwaltschaft Dresden durchsucht. Lothar König hatte sich gemeinsam mit Mitgliedern seiner Gemeinde und dem Jenaer Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD) an Protesten gegen Nazidemonstrationen am 19. Februar 2011 beteiligt. Jetzt wird ihm aufwieglerischer Landfriedensbruch vorgeworfen. Bereits vorher hatte der Spiegel berichtet, dass gegen Lothar König ein Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ läuft.

Das Bündnis „Nazifrei! – Dresden stellt sich quer“ verurteilt diesen erneuten massiven Einschüchterungsversuch gegen zivilgesellschaftliches Engagement. Bündnissprecherin Franziska Radtke dazu: „Offensichtlich ist den sächsischen Ermittlungsbehörden nichts mehr heilig. Nach illegalen Stürmungen von Partei- und Anwaltsbüros in Dresden trifft es nun auch Kirchenräume in anderen Bundesländern. Der Kreuzzug gegen vermeintliche Linksextreme wird in Richtung Westen ausgeweitet, ohne die zuständigen Behörden in Thüringen zu informieren.“

Weder das Thüringer Innenministerium noch die Polizei vor Ort wurden durch die sächsischen Behörden über den Einsatz in Kenntnis gesetzt. Unklar ist bisher, ob Beamte der sächsischen Polizei ohne Amtshilfegesuch gehandelt haben. „Sollte sich herausstellen, dass die sächsische Polizei ihre Kompetenzen überschritten hat, muss das in Sachsen und Thüringen Konsequenzen nach sich ziehen. Wir fordern daher schnellstmögliche Aufklärung. ‚Sächsische Demokratie’ darf jetzt nicht auch in anderen Bundesländern Schule machen!“, so Radtke weiter.

Lothar König engagiert sich seit Jahren für Integration benachteiligter Menschen, setzt sich aktiv gegen Nazis ein und genießt bundesweite Anerkennung. „Die Nervosität der sächsischen Ermittlungsbehörden ist spürbar. Noch immer haben sie nichts vorzuweisen, so dass nun auch die aberwitzigsten Anschuldigungen konstruiert werden, Gesetze und Verfahrenswege übergangen sowie Mandatsträger ihrer demokratischen Rechte beraubt werden.“, ergänzte Radtke.

Und ein zweites Statement von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus (BAGKR):

Der Sprecher_innenrat der BAGK verurteilt die heutige polizeiliche Durchsuchung kirchlicher Amtsräume bei Jugendpfarrer Lothar König in Jena scharf. Die sächsische Polizei und Staatsanwaltschaft werfen Pfarrer König vor, im Zuge der Proteste gegen einen Neonaziaufmarsch im Februar 2011 in Dresden in die Planung von Straftaten verwickelt gewesen zu sein, an denen sich tausende von Menschen auf vielfältigste und erfolgreiche Weise beteiligt haben.

„Die Vorwürfe gegen Pfarrer König sind absurd und stellen eine willkürliche Kriminalisierung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus dar,“ sagt ein Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche gegen Rechtsextremismus. „Wir kennen und schätzen Lothar Königs Engagement für Demokratie und Toleranz, gegen Rechtsextremismus und Rassismus seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die Unterstellungen der Behörden der Jenaer Jugendpfarrer habe mit vermeintlich kriminellen Methoden gegen Neonazis protestiert, sind ungeheuerlich und ehrenrührig.“

Pfarrer König bezeugt mit seiner mehr als vierzig Jahre währenden Verkündigungsarbeit in Kirche und Gesellschaft und seinem in der DDR-Oppositionsbewegung gewachsenen und in dieser Traditionslinie verwurzelten  Einsatz für Demokratie und Menschenrechte die Kontinuität geistlicher und gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme.

Die Umstände der Durchsuchung der Privat- und Amtsräume von Lothar König durch Polizei und Staatsanwaltschaft erinnern an das Vorgehen der DDR Staatsmacht gegen oppositionelle kirchliche Gruppen in der DDR und sind durch nichts zu rechtfertigen. Pfarrer König und die Junge Gemeinde Jena können sich unserer Solidarität gewiss sein.

„Wir fordern die Einstellung der Ermittlungen gegen Pfarrer Lothar König, ein Ende der Kriminalisierungen der Proteste gegen neonazistische Aktivitäten durch die sächsischen Behörden sowie die Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien durch die sächsische Justiz und Polizei,“so der Sprecher_innenrat der BAGKR.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus wurde im Februar 2010 im Vorfeld des damaligen Neonazi-Aufmarsches in Dresden gegründet. In der BAGKR sind drei Dutzend kirchliche und kirchennahe Institutionen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen.

Auch Kerstin Köditz, Obfrau der Linksfraktion im Innenausschuss, äußerte sich zu der Durchsuchung:

Das Verhalten der Polizei in Zusammenhang mit der Verfolgung von Straftaten bei den Demonstrationen am 19. Februar in Dresden nimmt inzwischen immer abstrusere und geradezu wahnwitzige Züge an. Dafür spricht, dass die Polizeidirektion Dresden unter dem Vorwurf des aufwieglerischen Landfriedensbruchs eine Razzia in kirchlichen Räumen vornehmen lässt, ohne ihre thüringischen Kollegen auch nur im Vorfeld darüber zu informieren. Als Begründung werden ermittlungstaktische Gründe vorgeschoben. Für den entsprechenden §125 StGB ist es notwendig, dass die Beschuldigten die Ausschreitungen absichtlich aktiv gefördert haben. Wer Jugendpfarrer König kennt, weiß wie unsinnig eine solche Annahme in Bezug auf seine Person ist. Als fragwürdig und befremdlich muss es angesehen werden, dass anwesenden Bundes- und Landtagsabgeordneten der LINKEN und der Grünen vor Ort der Zugang verweigert wird.

Entweder diese Aktion hat mit Wissen und Billigung des sächsischen Innenministers stattgefunden. Dann wird er sich in der nächsten Sitzung des Innenausschusses einer Reihe unbequemer Frage stellen müssen, da seine bisherigen Erklärungen zum Vorgehen der sächsischen Behörden gegen Demonstrierende und Unbeteiligte am 19. Februar (Handygate, angebliche kriminelle Vereinigung) immer fragwürdiger und fadenscheiniger werden. Oder aber die Polizeidirektion Dresden hat eigenmächtig gehandelt. Dann hat mit dem Austausch des Polizeipräsidenten ein Wechsel von Teufel zu Beelzebub stattgefunden und Innenminister Ulbig muss sich vorwerfen lassen, dass er sein Haus in keiner Weise mehr im Griff hat. Beides wäre gleichermaßen fatal und stellt einen Schaden für die Demokratie dar. Von den Antworten des Innenministers machen wir es abhängig, auf welche Weise wir parlamentarisch reagieren werden. Bleibe ich in der Logik des Innenministeriums, dann müsste ich Ermittlungen gegen die Polizeidirektion Dresden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung fordern.