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Mandat zu Provokation

 

Die letzte BVV-Sitzung in Berlin-Lichtenberg wurde von Protesten begleitet © Matthias Zickrow

Die Waffen-SS sei „bis zum letzten Tag ihrer Pflicht nachgekommen“, lobt NPD-Parteichef Udo Voigt im März 2010 in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Treptow-Köpenick Hitlers Elitetruppe. Die demokratischen Parteien reagieren empört, die Linksfraktion stellt Anzeige. Es ist ein typisches Beispiel für die Auftritte der Rechtsextremen in den BVVen von Lichtenberg, Neukölln, Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf. Sie setzen neben kommunalpolitischen Anträgen vor allem auf Provokation.

2006 zogen überraschend elf NPD-Kandidaten in die vier Bezirke ein. Mit 6,4 Prozent der Stimmen in Marzahn-Hellersdorf und 5,9 in Lichtenberg lagen sie noch vor FDP und Grünen. Nur in Neukölln konnte die für den Fraktionsstatus nötige Anzahl von drei Verordneten nicht erreicht werden. In Pankow schaffte es zudem ein Mitglied der Republikaner in die BVV.

Fünf Jahre danach ist der Landesverband eine Trümmertruppe – heillos zerstritten und personell desolat. Bei den Wahlen werden es die Rechtsextremen ungleich schwerer haben als in Mecklenburg-Vorpommern, wo die NPD am Sonntag mit sechs Prozent erneut in den Landtag einzog.

Bei der letzten Lichtenberger Bezirksverordnetenversammlung (BVV) vor zwei Wochen sitzt die einzige von drei NPD-Verordneten weit ab von den demokratischen Parteien an ihrem Tisch. Die 1952 geborene Manuela Tönhardt ist eine der wenigen aktiven Frauen in der Berliner NPD. Daran, dass die Rechtsextremen in der BVV von den anderen Parteien meist ignoriert werden, hat sie sich gewöhnt.Trotzdem gibt Tönhardt sich für den 18. September siegessicher. Auf ihren Wahlplakaten posiert die blonde Frau mit einem Schäferhund und dem Slogan „Ein Herz für Mensch und Tier“.

Trotz sinkender Umfragewerte, gibt sich Tönhardt siegessicher © Screenshot Youtube

„Als Kommunalpolitiker haben die völlig versagt“, sagt die Bezirksbürgermeisterin von Lichtenberg, Christina Emmrich (Linke). Die von allen Parteien beschlossene Ausgrenzung der Rechtsextremen habe gut funktioniert. „Es ist der NPD nicht gelungen sich als normale Partei darstellen“. Nach dem vereinbarten „Demokratischen Konsens“ werden in allen BVVs die NPD-Anträge grundsätzlich abgelehnt, eine Antwort kommt jeweils nur von einer demokratischen Partei, um den Rechten nicht zu viel Aufmerksamkeit zu widmen.

„Ja, wir brauchen breite Schultern und einen unerschütterlichen Glauben an unser Tun im Interesse unseres Vaterlandes“, schreibt Tönhardt trotzig auf der NPD-Webseite. Als sich alle Köpfe drehen, weil knapp 20 linke Aktivisten in den Saal kommen liest sie angestrengt weiter in ihren Unterlagen. Die jungen Leute halten ein Transparent mit der Aufschrift „Winke, Winke NPD!“. „Fünf Jahre NPD in der BVV sind genug“, steht auf ihren Flugblätter, die sie den Politikern auf die Tische legen. Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass die NPD ihr letztes Wahlergebnis von 2,6 Prozent halten kann. Möglicherweise wird sie in keiner BVV mehr eine Fraktion bilden, sondern nur einzelne Verordnete stellen.

Nach der vergangenen Wahl zeigte sich schnell, dass die NPD neben kommunalpolitischen Anträgen vor allem auf Provokationen setzt. Gleich zu Beginn stellte sie in allen Bezirken den wortgleichen Antrag einen „Ausländerrückführungsbeauftragten“ zu benennen. Empörung und Presseberichte waren den Rechten sicher. 2007 bezeichnete der Lichtenberger NPD-Abgeordnete Jörg Hähnel die Erschießung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als „Akt des Demokratieerhalts“. Die NPD beantragte einen Platz nach Waldemar Pabst, dem Auftraggeber der Morde, zu benennen. „Das war eine richtige Unverschämtheit“, erinnert sich Emmrich. Nach einer Anzeige wurde Hähnel zu einer Geldstrafe wegen „Belohnung und Billigung von Straftaten“ verurteilt.

„Es geht ihnen mehr um die eigene Inszenierung, als um kleinteilige kommunale Arbeit“, sagt Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. In den Ausschüssen seien die Neonazis kaum aktiv, wichtig sei ihnen medienwirksame Provokation in den öffentlichen Sitzungen. „Es bleibt deshalb wichtig, nicht nur gegen die NPD zu stimmen, sondern sich auch immer wieder aufs Neue mit deren Ideologie auseinanderzusetzen“, sagt Eckel.

Doch am Häufigsten scheitern die NPD-Politiker an sich selbst. Zwei der drei Fraktionen brachen schnell auseinander. 2008 verließ der NPD-Verordnete Wolfgang-Dieter Chieduch wegen interner Streitigkeiten die NPD-Fraktion in Marzahn-Hellersdorf, 2010 folgte ihm das damalige DVU-Mitglied Torsten Meyer in Lichtenberg. Jetzt treten Chieduch und Meyer für die ultrarechte Partei Pro Deutschland an, die sich sonst immer öffentlich von der Neonaziszene distanziert.

Auch die zwei NPD-Verordneten in Neukölln schafften es in den vergangenen fünf Jahren kaum Akzente zu setzen. Der begeisterte Motorradfahrer und NPD-Politiker Jan Sturm, der im Internet gerne mit Ninja-Schwertern und anderen Waffen posiert, steht Beispielhaft für das Personalproblem der Partei. Sturm kann in der BVV kaum einen geraden Satz sprechen, obwohl er fast alle Anträge vom Blatt abliest. Mit seiner langen Lockenfrisur und der Lederweste wirkt er wie eine Mischung aus Schlagerstar und Motorradrocker. Sein Parteikollege Thomas Vierk ist inzwischen aus der NPD ausgetreten, so dass Sturm meist alleine in der BVV sitzt.

Nach internen Streitigkeiten haben sich auch die beiden früheren NPD-Landesvorsitzenden Eckart Bräuniger und Jörg Hähnel enttäuscht aus der Landespolitik zurückgezogen. Dem nachgerückten Verlagskaufmann und seit kurzem Geschäftsführer des NPD-eigenen Deutsch Stimme-Verlags, Uwe Meenen, fehlt es jedoch an Ausstrahlungskraft und Rückhalt in der Szene. Er gilt als Hardliner und überzeugter Antisemit. Von Berlin spricht er gerne als „Reichshauptstadt“.

Die größte Gefahr für die NPD kommt bei dieser Wahl jedoch nicht aus dem demokratischen Lager, sondern aus der rechten Ecke. Die Partei „Die Freiheit“ und „Pro Deutschland“ drohen der NPD wichtige Wähler abzuziehen, denen der offen neonazistische Kurs der Partei zu extrem ist.

Eine Wahlniederlage in Berlin könnte auch weitreichende Auswirkungen auf die Bundes-NPD haben. Sollte es dem langjährigen Parteichef Udo Voigt nicht gelingen erneut in Fraktionsstärke in das Rathaus Treptow-Köpenick einzuziehen, kommt er gegenüber der Parteibasis in Erklärungsnot. Auf dem nächsten Bundesparteitag wird es dann für Voigt eng. Das Gerangel im Bundesvorstand um seine Nachfolge hat bereits begonnen.