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Wie Neonazis Hardcore-Musik nutzen

 

Vergangenen Mittwoch saßen 150 Zuhörer im Berliner Klub SO 36 auf Bierbänken, wo sonst hunderte von HC-Anhängern die großen Hardcore Shows besuchen. Diesmal gab es keine Musik sondern einen „Informations- und Diskussionsveranstaltung zu Neonazis auf HC-Konzerten, Grauzonenproblematik und NSHC-Bands“. Eingeladen hatten die Helle Panke e.V., das Antifaschistische Infoblatt und die Kampagne Kein Bock auf Nazis.

Der Referent Tom Krämer von der Initiative „NSHC ausschalten“ konnte leicht nachvollziehbar den Werdegang des White Power HC beziehungsweise NSHC, so die selbstgewählte Bezeichnung von Neonazis für ihre Musik, nachzeichnen. Von rumpeligem Sound und klischeehaftem Auftreten, welches stark an die Musik der Naziskins erinnert, bis hin zu Bands, die von Ästhetik und Sound nicht vom Hardcore Mainstream zu unterscheiden sind.

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum, warum Neonazis auf HC abfahren, kam aber nicht so recht in Gang. Dabei hatte Krämer auf mehren Folien zum Ende seines Vortrags „Anknüpfungspunkte“ von rechter Ideologie in Texten von bekannten HC-Bands mitgebracht. Er verwendet bewusst nicht den in der HC-Szene umstrittenen Begriff „Grauzone“, sondern spricht von „Anküpfungspunkten“, also „Elemente rechter Weltbilder, die Leute noch nicht per se zu Nazis machen, die aber trotzdem reaktionär und anschlussfähig sind für Nazis. Von daher als Anknüpfungspunkte verstanden werden können, die es möglich machen, dass auch Nazis Hardcore cool finden“. Als „Anknüpfungspunkte“ im Hardcore nennt Krämer Nationalismus, Sozialdarwinismus, Homophobie, Naturverliebtheit und eine bestimmte Interpretation von Straight Edge.

Um eine Debatte der dunklen Seiten des Hardcore geht es auch dem Autor Ingo Taler. Nun ist sein seit langem erwartetes Buch „Out of Step – Hardcore-Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption“ erschienen. In dem 350 Seiten dickem Wälzer zäumt er das auch von Krämer behandelte Thema von hinten auf.

Zweidrittel von Talers Buch behandeln reaktionäre und menschenverachtende Weltbilder und Songtexte von akzeptierten Hardcore-Bands sowie „Uneindeutigkeiten“ der Szene diesen gegenüber, bevor er im letzten Drittel sich der Geschichte des reinen White Power Hardcore widmet. Er schreibt so eine Geschichte des Hardcore von der dunklen Seite dieser eigentlich fortschrittlichen Jugendkultur aus, welche spätestens mit dem einsetzen des Crossovers zu einer kommerziell vermarkteten Spartenmusik wird. Taler geht hierbei sehr ins Detail. Was die Stärke des Bandes ist, zum Teil aber ermüdend beim Lesen wirkt, wenn ein Bandzitat und noch ein Interview aus den 1980er und 1990er Jahren aneinander gereiht wird. Hier ist anzumerken, wie sehr sich der Autor in das Thema gekniet hat. Anderseits ist die Frage, ob einer Band noch ihre Aussagen von vor zwanzig Jahren vorgehalten werden müssen.

Trotzdem sollte kein linker HC-Anhänger an diesem Buch einfach vorbei gehen. Genauso wie alle aktiven Neonazigegner, welche nicht direkt aus der Hardcore Subkultur stammen, dieses Werk zum Nachschlagen in ihrem Bücherregal stehen haben sollte. Neonazis und Hardcore werden für antifaschistische Praxis noch länger eine gewisse Brisanz besitzen.

Ingo Taler (2012): „Out of Step – Hardcore-Punk zwischen Rollback und neonazistischer Adaption“. Unrast Verlag, 350 Seiten. 18 Euro