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Nordhausen als Tummelplatz der militanten Naziszenen

 

Vorläufige Festnahme von Roy Elbert (NPD)
Vorläufige Festnahme von Roy Elbert (NPD) am Rande der Gedenkfeier © Kai Budler

Seit der Aufdeckung der Taten rund um den „Nationalsozialistischen Untergrund“ geraten besonders die Thüringer Sicherheitsbehörden immer wieder in die Kritik. Als Antwort auf eine kleine Anfrage der Partei „Die Linke“ zum Thema „Autonome Nationalisten“ zeigte sich im Mai erneut, wie schwer sich die Behörden im Freistaat bei der Beobachtung rechtsextremer Strukturen tun. Besonders für den Bereich Nordthüringen sind die Antworten der Landesregierung äußerst lückenhaft. So heißt es in der Antwort des Innenministers schlicht: „In Nordthüringen agieren Angehörige der rechtsextremistischen Szene unter der Bezeichnung ‚Autonome Nationalisten Nordthüringen‘ vorrangig über das Internet.“

Bereits mehrfach wurde in der Vergangenheit über die Nordthüringische Stadt Nordhausen berichtet. Zuletzt als mehrere Personen der rechtsextremen Szene im April während einer Gedenkveranstaltung gegenüber der Oberbürgermeisterin gewalttätig wurden.

Rückblick

Rechtsextreme sind in Nordhausen kein neues Thema: seit 2006 gab es immer wieder Gruppen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind und teilweise Überschneidungen zur Hooligan-Szene des örtlichen Fußballvereins aufweisen. Besonders augenfällig ist dabei ihre Militanz. So kam es im Dezember 2010 durch Mitglieder der Gruppe „NDH-City“ sogar zu Übergriffen auf drei Polizeibeamte, die teils erhebliche Verletzungen davontrugen. Teilweise existierten in Nordhausen bis zu drei rechtsextreme Gruppierungen parallel zueinander. Nachdem sich der öffentliche Druck 2010 erhöhte, sammelte sich die regionale Szene unter dem Namen „Autonome Nationalisten Nordthüringen“.

Die „Autonomen Nationalisten Nordthüringen“ fielen in Nordhausen vor allem durch provokative öffentliche Auftritte auf, bei denen sie immer wieder die Konfrontation auch mit den Sicherheitsbehörden suchten. Außerdem veröffentlichte die Gruppe auf ihrer Homepage regelmäßig Fotos und Namen von politischen Gegnern, um diese einzuschüchtern. Zu einem festen Termin wurde das gemeinsame Auftreten der „Autonomen Nationalisten Nordthüringen“ und der NPD-Nordhausen bei den jährlichen Kranzniederlegungen zum Gedenken an die Bombenopfer der Stadt Nordhausen. Hierbei traten Mitglieder der Gruppe teils offen mit nationalsozialistischer Symbolik auf und versuchten mehrfach Gegendemonstranten einzuschüchtern. Immer dabei: die Vertreter der NPD-Nordhausen. Die Beziehung zwischen den neonazistischen „freien Kräften“ und der NPD in Nordhausen scheint dabei deutlich enger als in anderen Regionen. Scheinbar wird sogar der offizielle Facebook-Account der NPD-Nordhausen durch Personen aus der „freien Szene“ genutzt, wie sich rund um die diesjährige Kranzniederlegung zeigte.

Im April 2012 verkündeten die „Autonomen Nationalisten Nordthüringen“ dann auf ihrer Homepage einen Serverumzug und machten erneut ihre menschenverachtende Weltsicht deutlich, indem sie Paulchen Panther als Logo ihres Abschieds verwendeten und mit der Trickfilmfigur einen klaren Bezug zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ herstellen. Neben dem Serverumzug folgte offensichtlich auch eine erneute Umbenennung: eine Homepage mit nahezu deckungsgleichen Inhalten findet sich nun unter der Bezeichnung „Aktionsgruppe Nordhausen“. Trotz der Umbenennung zeigt sich eine Kontinuität der rechtsextremen Aktivitäten. So organisiert die Gruppe – noch unter ihrem alten Namen – für Samstag, den 16.06.2012, einen „Nationalen Selbstverteidigungskurs“ in der Nordthüringischen Stadt. Das Plakat ist beschriftet mit „White Pride“ („Weißer Stolz“) und macht unmissverständlich die rassistische Ausrichtung der Gruppe deutlich. Angesichts derartiger Aktivitäten sind Zweifel an der Einschätzung des Thüringischen Innenministers durchaus angebracht, der die Relevanz der Gruppe „vorrangig im Internet“ verortet.

Angriff auf den Bürgermeister

Nur eine Woche nach der jüngsten Umbenennung der neonazistischen Gruppe folgte ein erneutes Auftreten in der Öffentlichkeit. Verkleidet im Stil der „Unsterblichen“, zog ein Teil der Gruppe während eines Volksfestes durch Nordhausen und verteilte Flugblätter rassistischen Inhalts. Diese öffentliche Aktion zeigt nicht zuletzt das große Selbstbewusstsein der Gruppe vor Ort. Als der Bürgermeister der Stadt, Matthias Jendricke, einen der Rechtsextremen wegen Verstoßes gegen das Versammlungs- und Presserecht aufhalten wollte, kam diesem ein weiterer Maskierter zur Hilfe. Beide schlugen und traten auf den Bürgermeister ein, der dabei leichte Verletzungen erlitt. Die Täter entkamen unerkannt und konnten bisher noch nicht ermittelt werden. Bei der Suche nach Zeugen des Vorgangs fiel dem Bürgermeister ein Angehöriger der rechtsextremen Szene Nordhausens mit Kamera auf. Dieser versuchte sich ebenfalls einer Personalienfeststellung zu entziehen und übergab die Kamera schlussendlich dem in der Nähe befindlichen Vorsitzenden der NPD-Nordhausen, Roy Elbert. Dieser behauptete Eigentümer der Kamera zu sein und verweigerte ebenfalls die Herausgabe der Kamera zur Beweissicherung. Dies habe eine sofortige Fahndung nach den Tätern verhindert, wirft Bürgermeister Jendricke dem NPD-Chef vor. Die Polizei ermittelt unter anderem wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Verstoß gegen das Thüringer Presserecht und schwerer Körperverletzung.

Antisemitische Propaganda

Nur zwei Tage nach dem Vorfall in Nordhausen führte die NPD-Nordhausen in einem Nachbarort eine Verteilaktion zur aktuellen „Anti-Euro-Kampagne“ der Partei durch. Während der Verteilung trugen die Rechtsextremen Eselsmasken und Plakate mit der Aufschrift: „Ich Esel glaube, dass der Euro uns Deutschen nutzt.“ Das Tragen von Eselsmasken hat in der rechtsextremen Szene eine lange Tradition und ist eine Anspielung auf eine Aktion norddeutscher Neonazis um Michael Kühnen, die 1978 mit eben solchen Masken durch Hamburg liefen. Damals trugen sie Schilder, auf denen zu lesen war: „Ich Esel glaube immer noch, dass in deutschen KZ´s Juden ‚vergast‘ wurden“. Dass die NPD für ihre Propaganda diese Art von Aktionen nutzt, zeigt deutlich, in welcher ideologischen Tradition sich die Partei selbst verortet. Besonders erschreckend ist, dass neben den Vertretern der NPD auch ein 16-jähriger an der Verteilaktion beteiligt war. Die rechtsextremen Führungskader in Nordhausen scheinen offensichtlich auch gezielt Jugendliche in ihre Aktivitäten einzubinden.