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Bürger und Neonazis gemeinsam – NPD-Demonstration in Stendal

 

Seit Monaten ist das Dorf Insel in Sachsen-Anhalt in den Medien. Der Grund sind zwei Sexualstraftäter, die in das Dorf gezogen sind. Auch Rechtsextreme nutzen das Reizthema für sich und springen auf den Protestzug mit auf. Nun marschierten in Stendal sogar einige Inseler bei einem Aufmarsch Seite an Seite mit den Neonazis.

zuerst veröffentlicht bei publikative.org

Bereits zwei Stunden vor Beginn des Aufmarsches bauen die ersten Neonazis den Lautsprecherwagen vor dem Hauptbahnhof in Stendal auf. Nach und nach treffen rund 200 Rechtsextreme in der Stadt ein. Die meisten von ihnen kommen aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Als 15 Bürgerinnen und Bürger aus Insel zur Demonstration stoßen, werden diese von den Neonazis mit Applaus begrüßt. Das Konzept ist aufgegangen und wird es an diesem Tag in Stendal auch weiter. Der unweigerliche „Stargast“ der Veranstaltung trifft kurz vor Beginn der Demonstration ein: Udo Pastörs aus Mecklenburg-Vorpommern. Ein krudes Bild entsteht, als sich jüngere Demonstrationsteilnehmer mit „ihrem Udo“ zusammen fotografieren lassen. Udo Pastörs als „Star“ für den Nachwuchs – ganz weit rechts eben.

Nach einer kurzen Kundgebung am Bahnhof beginnt der Demonstrationszug durch die Stadt, abgesehen von einigen Transparenten wird kaum klar, worum es geht. Plärrender Rechtsrock erklingt über die Lautsprecher des Demowagens, Parolen grölend ziehen die Neonazis durch die Straßen: „Frei, Sozial und national“ oder „Nationaler Sozialismus – jetzt, jetzt, jetzt“ ertönt es aus der Demonstration heraus. Mitten in dem Demonstrationszug tragen die Bürger aus Insel ihr Transparent durch Stendal. Direkt hinter ihnen läuft die angereiste NPD-Prominenz: Udo Pastörs mit seiner Frau Marianne, Sigrid Schüßler (Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen)  und eine aus England angereiste Aktivistin der National Front, Bernadette Jaggers. Erst nach einiger Zeit ergreift Pastörs das Mikrofon und schwenkt langsam auf das angemeldete Motto um. Doch eben so schnell wie der Neonazi das Thema Kindesmissbrauch anspricht, zieht er rhetorisch weiter: Vom „Parteienstaat“, „Polizeistaat“ ist kurz darauf die Rede und vom „Missbrauch des deutschen Erbgutes“. Wie wenig sich Pastörs anscheinend für das Dorf Insel interessiert, wird ebenfalls schnell klar. Man sei hier gemeinsam angetreten, auch mit „Einwohnern eines Dorfes […] in dessen Dorf sich Kindesmissbrauch abgespielt hat“. Doch gegen „Kindesmissbrauch“ gehen die Menschen in Insel nicht auf die Straße. Denn die beiden im Dorf unterbrachten Männer haben keine Kinder missbraucht. Kindesmissbrauch gab es in Insel zuletzt 2005. Durch einen Einheimischen, worüber heute aber kaum noch jemand sprechen will.


Als die Demonstration in Stendal-Stadtsee, einem Plattenbauviertel ankommt, stehen dutzende Menschen am Straßenrand. Gegendemonstranten sind es nicht, aber die meisten richten ihre Handykamera auf die Neonazi-Demonstration. Endlich etwas los in Stendal. Und wieder wird klar, den meisten rechtsextremen Demonstranten scheint es nicht um die angemeldeten Inhalte der Demonstration zu gehen. „Linkes Gezeter…9 Millimeter“ rufen die Teilnehmer, als sie eine Handvoll Gegendemonstranten am Wegesrand entdecken. All das scheint einige Stendaler nicht abzuschrecken. Immer wieder reihen sich Menschen in die Demonstration ein, die nur von wenigen Polizisten begleitet wird: Eine Mutter mit drei Kindern, eine junge Frau, die anscheinend gerade mit dem Hund Gassi gegangen ist. Hier geschieht, was die Rechtsextremen sich so gern herbeifantasieren. Mittlerweile hat auch die Parole „Todesstrafe…für Kinderschänder“ vermehrt Eingang in das Repertoire der grölenden Neonazis gefunden. Immer noch unterlegt mit plärrendem Rechtsrock vom Lautsprecherwagen.

Als die Demonstration nach einer Zwischenkundgebung und fast 3 Stunden Fußweg wieder am Bahnhof eintrifft, schlägt erneut Udo Pastörs Stunde. Er ergreift das Mikrofon und verspricht, er wolle nun 15 Minuten reden. Er wird sein Versprechen nicht halten. Nach einigen Wiederholungen schwenkt Pastörs wieder schnell vom Thema ab. Erneut geht es um „den Staat“, das „liberal-kapitalistische System“ und sogar noch um den „Nationalsozialistischen Untergrund“. Nach diesen Exkursen, räumt Pastörs ein, er komme nun zurück zum eigentlichen Thema. Ihm scheinen nun die plausiblen Übergänge zwischen den immer wieder eingeflochtenen Themen und dem Demonstrationsmotto zu fehlen. Doch die Rückkehr hält nur kurz an. Der völlig zusammenhangslosen Rede ist schwer zu folgen. Immer wieder stechen Schlagworte hervor, die den Zuhörern den Weg durch das rhetorische Gewühl weisen. Von der „Rettung Europas für die weißen Menschen“ ist nun die Rede. Die „Bundesrepublik Deutschland ist nicht reformierbar, so wie die DDR ab einem gewissen Zeitpunkt nicht reformierbar war“ führt der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD am Ende seiner Rede aus. Die Nachricht ist angekommen. Rund um den Versammlungsort, außerhalb der Absperrgitter, klatschen wieder einige Stendaler Beifall. Die Show ist vorbei.