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Die NPD und militante Nazistrukturen in Rheinland-Pfalz

 

Safet Babic (NPD Trier) auf einer Solidaritätsdemonstration für das Aktionsbüro Mittelrhein im August 2012 © Fabian Boist

Verfolgt man die Strategie rheinland-pfälzischer Behörden im Umgang mit militanten Neonazi- Strukturen in den letzten Jahren, so erkennt man recht schnell, dass Informationen gezielt zurückgehalten und Aktivitäten lange Zeit geleugnet wurden. Ein Bericht über das „Aktionsbüro Mittelrhein“, ultrarechte Jugendkultur an der Mittelmosel sowie deren Verbindungen zur NPD Rheinland-Pfalz.
Repressionswelle in vier Bundesländern

Am 13. März 2012 durchsuchten über 300 Polizistinnen und Polizisten in Rheinland Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und Baden-Württemberg Wohnungen und Häuser von bekannten Neonazis. Der Schwerpunkt der Razzien lag dabei auf der rheinland-pfälzischen Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Das Resultat: 24 Haftbefehle gegen Mitglieder, Unterstützerinnen und Unterstützer der Kameradschaftsstruktur des „Aktionsbüros Mittelrhein“ (ABM). Ende August 2012 begann vor dem Landgericht Koblenz der Prozess.

Das „Aktionsbüro Mittelrhein“

Mit eigenem Wohnprojekt in Bad Neuenahr-Ahrweiler, das sie zynisch als „Braunes Haus“ bezeichneten, agierte bis zum 13. März genau diese Kameradschaft nahezu ungestört und von staatlicher Seite lange Zeit geleugnet. Das ABM, im Jahr 2004 gegründet als „Aktionsfront Mittelrhein“ entwickelte sich in den letzten Jahren zu einer der aktivsten Kameradschaften in Westdeutschland.

Seit 2009 organisierte das ABM in Remagen jährlich den größten Naziaufmarsch in Rheinland-Pfalz. Mit offenen Bezügen zum Nationalsozialismus, Verherrlichung der NSU-Morde, plumpem Antisemitismus und rassistischen Slogans hatte sich das ABM einen Namen in der westdeutschen Neonazisszene gemacht. So spielte das ABM über Bad Neuenahr-Ahrweiler und Remagen hinaus eine entscheidende Rolle in Rheinland-Pfalz, Hessen und Nordrhein-Westfalen durch die Unterstützung von Demonstrationen und Veranstaltungen.

Der staatliche Umgang mit dem „Aktionsbüro Mittelrhein“

Antifaschistische Gruppierungen wiesen in den vergangen Jahren mehrmals auf die Aktivitäten und das Bestehen des ABM hin. 2007 unterrichte der Verfassungsschutz die Landesregierung mit falschen Informationen, sodass das Innenministerium Rheinland-Pfalz ein Bestehen des ABM vor Ende 2007 leugnete, der Verfassungsschutz selbst erwähnte Neonazistrukturen rund um das ABM erstmals 2008 in seinem Bericht – allerdings mit nur zwei Sätzen und zudem wegen eines Outings eines ABM-Mitglieds durch Antifaschistinnen und Antifaschisten im sogenannten Bereich des „Linksextremismus“. Erst 2010 kam der Verfassungsschutz zu der Erkenntnis, dass sich „im nördlichen Rheinland-Pfalz […] das „Aktionsbüro Mittelrhein“ gebildet [hat], das über Kontakte in das südliche Nordrhein-Westfalen verfügt”, und 2011 wurde es dann als kriminelle Vereinigung eingestuft.

„Rheinland-pfälzische Linie“ bestätigt sich

Dass staatliche Behörden militante Neonazistrukturen in Rheinland-Pfalz leugnen und verschweigen, ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel ist die „Chaos Crew“ (CC), eine Gruppe, die sich an das in Deutschland verbotene „Blood & Honour“-Netzwerk anlehnt, in dieses international vernetzt ist und Neonazi-Konzerte im Kreis Bernkastel-Wittlich bei Trier sowie im angrenzenden Ausland organisiert.

Allein in den Jahren von 2008 bis 2010 veranstaltete die CC mindestens acht konspirativ organisierte Konzerte – zwei davon wurden durch die Polizei aufgelöst. Dies zeigt deutlich, dass die Behörden von den Konzerten im Vorhinein informiert waren, Informationen bezüglich einer regional-gefestigten Gruppe wurden aber nicht veröffentlicht. Hingegen wurden die Konzerte zu Einzelfällen stilisiert.

Die antifaschistische Zeitung „Lotta“ veröffentlichte 2010 ausführliche Informationen über die CC, Hauptakteurinnen und Akteure wurden sogar namentlich genannt. Erst Ende 2011 räumte ein Staatsschützer aus der Region die Existenz der aus „50-60 Anhänger[n] [bestehenden] Chaos Crew“ ein, die „international gut vernetzt“ sei.

Diese Vernetzung in das internationale „Blood & Honour“-Netzwerk zeigt sich daran, dass sie auf dem für die Szene bedeutendsten Konzert in London ein eigenes Transparent mit der Aufschrift ihres Gruppennamens zur Schau stellen durfte und an ein Konzert in Spanien mit nur 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchte.

Die Chaos-Crew und das Aktionsbüro Mittelrhein

Ein Indiz für eine Verbindung zwischen ABM und CC bildet die Rechtsrockband Exitus, die dem direkten Umfeld des ABM zuzuordnen ist. In der Vergangenheit spielte sie auf mehreren Konzerten der CC. Ein weiteres und bedeutsameres Indiz ist die Tatsache, dass im Oktober 2010 acht Neonazis einen Aussteiger aus der Neonaziszene nach Höhr-Grenzhausen zu einer Grillhütte lockten und ihn fast zu Tode schlugen. Ein Beteiligter des Angriffs wohnte eine Zeit lang im „Braunen Haus“ und stand dem ABM somit nahe. Unter den Haupttätern, die teils zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, befindet sich einer der Hauptakteure der CC. Somit sitzen derzeit neben Neonazis des ABM auch Mitglieder der CC hinter Gittern.

Verbindungen zur NPD

Die NPD Trier mit ihrem Vorsitzenden Safet Babic, der ebenso stellvertretender Landesvorsitzende der NPD Rheinland-Pfalz ist, fiel besonders in den Jahren 2010 und 2011 durch gezielte Annäherungsversuche an die CC auf. Ein von der Polizei unterbundenes Konzert der CC konnte nur wenige Wochen später unter dem Deckmantel einer Wahlkampfveranstaltung der NPD nachgeholt werden. Babic lobte sogar die gute Zusammenarbeit mit der CC auf der Internetseite der NPD Trier.

Profitiert haben sowohl die NPD als auch die CC. Einerseits erhoffte sich Babic wohl potenzielle Wählerinnen und Wähler und gefestigte Strukturen im ländlichen Raum, der CC eröffnete sich ein legaler Rahmen zur Durchführung ihrer Konzerte. Dass das Abkommen funktionierte, zeigte sich nicht nur an den nachgeholten Konzerten, sondern ebenso daran, dass an mindestens zwei Demonstrationen der NPD Trier im Jahr 2011 Mitglieder der CC anwesend waren.

Eine Verbindung von ABM und NPD Rheinland-Pfalz findet sich ebenfalls. So ist ABM-Führungsmitglied Sven Lobeck – seit der Verhaftungswelle ebenso im Gefängnis – Vorsitzender der NPD Koblenz und Beisitzer im Landesvorstand der NPD Rheinland-Pfalz.

Auch Babic, der in der Vergangenheit Demonstrationen des ABM besuchte, bedauerte, dass ihm die Mitglieder des ABM auf Demonstrationen „jetzt zum Teil wohl fehlen [werden]“. Auf einer Solidaritätsdemonstration im August 2012 in Koblenz, kurz vor Beginn des Prozesses gegen das ABM, nahmen auch mehrere Mitglieder des NPD Kreisverbands Trier teil – mehr noch: Babic hielt sogar die Abschlussrede.

Eine Distanzierung von militanten Kräften wie der CC oder des ABM schwebt dem NPD Landesvize und dem Rest der Partei wohl nicht vor. Ebenso hat sich durch viel zu spätes Reagieren der Behörden sowie Verschweigen und Leugnen neonazistischer Aktivitäten gezeigt, dass staatliche Organisationen keine effiziente Arbeit leisten. Umso nötiger sind daher Bildungs- und Informationsarbeit antifaschistischer Strukturen.