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„Nicht jeder hat den Mut, über Neonazis zu berichten“

 

Christian BangelHaben auch die Medien im Umgang mit dem Rechtsextremismus versagt? Was können sie überhaupt tun? Christian Bangel, Chef vom Dienst bei ZEIT ONLINE, war bei der BKA-Herbsttagung in Wiesbaden als Redner geladen. Seinen Vortrag lesen Sie hier in ganzer Länge.

Hat sich eigentlich etwas verändert, seit der NSU und seine schrecklichen Mordtaten bekannt wurden? Natürlich, werden Sie sagen. Schließlich befinden wir uns hier auf einer bedeutenden Tagung, die allein den Rechtsextremismus zum Thema hat. Schließlich hat die Politik seit vergangenem November vielfältig reagiert, eine gemeinsame Rechtsextremismusdatei eingerichtet, mehrere Untersuchungsausschüsse ins Leben gerufen. Schließlich vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien nicht über Neonazis und das Versagen der Behörden berichten.

Ich aber bin mir nicht ganz sicher, ob sich soviel verändert hat. Schließlich befinden wir uns noch immer nur in einem der zwei Modi, die der Umgang mit dem Rechtsextremismus in Deutschland kennt: Der panischen Skandalisierung. Während es den Rechtsextremismus in dem einem Modus, dem Verschweigen, kaum zu geben scheint, ist er zurzeit wieder das Ziel leidenschaftlicher Repression. Jetzt und hier müssen Lösungen her, um die Neonazis, ja, was eigentlich? Zu verbieten? Einzusperren? Abzuschalten?

Viel zu lange hat sich unsere Auseinandersetzung mit dem Thema nach Art der Gezeiten abgespielt: Verschweigen – skandalisieren. Mit dem Unterschied, dass die diskursive Ebbe weit länger dauerte als die Flut. Was wir jetzt erleben, ist wohl die intensivste Auseinandersetzung, die die Bundesrepublik mit dem Thema bisher erlebt hat. Doch wird sie anhalten? Oder werden wir das Thema wieder in den Hintergrund stellen, wenn erstmal Beate Zschäpe verurteilt und die NPD verboten ist, wenn Bundestagswahl ist, wenn uns die Nazis den scheinbaren Gefallen tun, sich wieder einmal taktisch zurückzuhalten.

Verzeihen Sie mir diese Polemik, aber ich finde sie notwendig. Sie haben mich eingeladen, um über das Thema Rechtsextremismus und Medien zu sprechen. Und die erste Feststellung, die man dazu machen kann, ist: Journalisten sind Teil der deutschen Eliten. Viele von ihnen – nicht alle! – haben, wie andere auch, den Rechtsextremismus verniedlicht, relativiert, verschwiegen. Oder sie haben ihn dramatisiert, vereinfachend zugespitzt, übertrieben.

Wir alle haben das erlebt: Nach dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag 2004, Uwe-Karsten Heyes Warnung vor den No-Go-Areas 2006 oder, jetzt, nach der Aufdeckung des NSU im vergangenen November, schafft es das Thema auf Titelseiten und Aufmacher der Onlinemedien. Sicher kriegen sicher auch Sie, Herr Kuban, zurzeit weit mehr Aufträge aus den Redaktionen als noch vor einem Jahr. „Die Frau und der Terror“, „die braune Witwe“, „Labyrinth der Angst“ heißen jetzt unsere Überschriften.

In diesen Zeiten treten schmerzhafte und folgenreiche Vereinfachungen auf. Medien nehmen die Gelegenheit zur plakativen Zuspitzung natürlich gern wahr. Das zeigt sich in der immer noch beliebten Darstellung von Neonazis als glatzköpfige Dummköpfe mit Baseballschläger und Springerstiefel. Obgleich die allermeisten Rechtsextremisten längst nicht mehr so aussehen. Das betrifft übrigens nicht nur Medien: Erst am vergangenen Montag forderte der Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach in der Phoenixrunde die Behörden dazu auf, den Neonazis auf den Springerstiefeln zu stehen.

Arg vereinfachend ist auch die Auswahl der Orte, an denen der Rechtsextremismus immer wieder dargestellt wird. Etwa Dortmund, als scheinbar einziger Ort im Westen, an dem Neonazis funktionale Strukturen aufgebaut haben. Oder Anklam, als unverzichtbarer Vertreter der ostdeutschen, depressiven Kleinstadt. Auch ich habe Anklam besucht und festgestellt, dass sich dort schon fast eine Abwehrroutine eingestellt hat. Lokalpolitiker und -journalisten, aber auch normale Bürger gehen gemeinsam in Trotzhaltung, weil sie spüren, dass die Medienmeute von außerhalb ihre Heimat ins Visier genommen hat. Vor wenigen Monaten traf ich den Redaktionsleiter der Anklamer Lokalzeitung. Einige Stunden lang diskutierten wir über den Rechtsextremismus und die Berichterstattung darüber. Am nächsten Tag veröffentlichte er einen Kommentar mit der Warnung, dass nun schon wieder ein Reporter aus der Großstadt in Anklam unterwegs sei.

Plakative, mediale Zuspitzung vernachlässigt auch, dass der Rechtsextremismus an vielen Orten auftaucht, in vollkommen unterschiedlichen Facetten. Der Rechtsextremismus wird so in ein Gruselbuch gesteckt, das wohlig-schauernd von jedem betrachtet werden kann, der nicht in Dortmund, Anklam oder ähnlichen Orten wohnt. Dabei wissen wir, dass Neonazis überall in Deutschland mehr oder weniger starke Strukturen aufgebaut haben. Wir wissen, dass rechtsextreme Musikbands inzwischen erfolgreich um den jungen Mainstream buhlen.

Wir wissen auch, dass nicht nur Neonazis unser Problem sind, sondern verstärkt auch das, was der Soziologe Wilhelm Heitmeyer als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kennzeichnet. Der Hass auf Schwule, Migranten, Juden, Muslime, Arme, generell die Schwachen in unserer Gesellschaft nimmt zu – beileibe nicht nur in den unteren sozialen Schichten, sondern auch in der Mittelschicht und ganz oben. Das aber wird auch heute kaum in den Zeitungen und Onlinemedien angesprochen.

Die panische Skandalisierung ist ein Problem, schlimmer aber ist der zweite Modus der Berichterstattung über den Rechtsextremismus: Das Wegschauen. Unter Journalisten findet seit einiger Zeit durchaus eine Debatte darüber statt, ob und wie sie versagt haben bei der Beobachtung der NSU-Morde. „Wir waren alle blind“, bilanzierte kürzlich der Buchautor und Journalist Christian Fuchs. Nie hätte man den Informationen der Behörden so blind vertrauen dürfen. Nie hätte man mit Begriffen wie Döner-Morde gesellschaftliche Stigmata gegen die Migranten noch anheizen dürfen.

Es ist richtig, dass auch die Qualitätspresse auf schwere Art versagt hat, als sie die Mutmaßungen aus den Behörden übernahm und in den Indikativ setzte. Als sie die Verschwiegenheit der Opferangehörigen zur Konspiration krimineller Seilschaften umdeutete. Dahinter steckte zum Teil nicht weniger als ein Ausläufer jenes Rassismus, der vielen Migranten in Behörden und auf der Straße täglich begegnet.

Doch dass es keinem Journalisten gelungen ist, dem NSU auf die Spur zu kommen, das will ich nicht verurteilen. Es gab und gibt  Investigativjournalisten, die sich des Themas unter hohen persönlichen Risiken annehmen. Die weit mehr Informationen aus der Szene an die Öffentlichkeit brachten als so manches Landesverfassungsschutzamt. Einer ist Thomas Kuban, der eben zu ihnen sprach. Andere sind Toralf Staud, Andrea Röpke oder Patrick Gensing.

Journalisten haben nicht die Aufgabe, den Job der Sicherheitsbehörden zu erledigen. Aufdecken und enthüllen – das ist wichtig. Wichtiger aber noch wäre es gewesen, das Offenkundige in aller notwendigen Breite darzustellen.

Das größte Versagen vieler Journalisten liegt in dem Gleichmut, mit der sie abseits der Erregungsphasen dem Rechtsextremismus begegneten. In den vergangenen zwanzig Jahren konnte jeder, der wollte, erfahren, dass es rechtsextreme Morde in Deutschland gibt. Dass Neonazis Zonen schafften, in denen de facto niemand außer ihnen mehr politisch auftreten kann. Dass einige sich Waffen besorgten, um endlich loszuschlagen.

Doch nur wenige haben abseits der großen Empörungswellen regelmäßig berichtet. Warum fand das Thema so wenig grundlegende Berichterstattung? Weil die meisten Journalisten der überregionalen Medien Teil unseres politischen Mainstreams sind. Sie sind meist männlich, selten aus der Unterschicht, selten ostdeutsch und noch seltener stammen sie aus Migrantenfamilien. War es wirklich zu erwarten, dass dieses Milieu gegen ein gesellschaftliches Klima angeht, das sorglos mit Neonazis, aber auch Alltagsrassismus umging? Journalisten prägten dieses Klima und wurden von ihm geprägt.

Erinnern wir uns an die Stimmung, die am Vorabend der NSU-Aufdeckung herrschte: Der Rechtsextremismus war ein hochideologisiertes Thema. Das betrifft nicht nur, aber besonders den konservativen Teil des politischen Spektrums: Dort konnte er selten unbestritten als eigenes Phänomen mit eigenen Ursachen und Auswirkungen betrachtet werden, sondern wurde fast immer im Zusammenhang mit dem Linksextremismus behandelt. Einem gänzlich anderen Gegenstand, was Gewaltbereitschaft, Opferzahlen, ideologische Ausrichtung angeht.

Dennoch gab es in diesen Kreisen den Rechtsextremismus kaum für sich allein. Politisch bekämpft wurde der Extremismus, dessen hauptsächliches Merkmal seine Entfernung von der politischen Mitte war. Diese politische Vereinfachung war nicht nur ungeheuer oberflächlich, sondern verhinderte auch ein wirksames gemeinsames Vorgehen gegen den Rechtsextremismus.

Die Familienministerin Kristina Schröder ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Auseinandersetzung mit dem Thema politisiert wurde. Sie half einst mit, die Mittel gegen den Linksextremismus auf Kosten derer gegen den Rechtsextremismus zu erhöhen. Vor der Aufdeckung des NSU warnte sie vor zunehmender Deutschenfeindlichkeit unter Migranten und vor einem Linksextremismus, der schon in der SPD begänne.

Sie stellte Initiativen gegen Neonazis mittels ihrer Extremismusklausel unter den Generalverdacht, selbst verfassungsfeindlich zu sein – obgleich auch ihr Ministerium damals keinen Fall vorweisen konnte, in dem Verfassungsfeinde staatliche Förderung erhalten hatten. Wo ist das Problem, werden nun viele fragen. Warum sollte man nicht auch wachsam gegenüber linken Verfassungsfeinden sein? Das Problem ist, dass der Widerstand gegen den Rechtsextremismus auf diese Art systematisch aus der demokratischen Mitte herausgelöst wurde, dass er zu einer Sache der Linken gemacht wurde.

Professor Pfahl-Traughber hat gestern gezeigt, dass es durchaus Sinn machen kann, Strategien, Taktiken und operatives Auftreten von Rechts- und Linksextremisten zu vergleichen. Die politische Gleichsetzung aber, wie sie jahrelang geschah, brachte eine Sichtweise auf die bundespolitische Ebene, die sich im Lokalen längst manifestiert hatte: Dort weigerten sich viele Konservative schon lange, gegen Neonazis zu demonstrieren, solange die Linken dabei waren. Zur großen Freude der Rechtsextremisten, die es vielerorts lange nur mit linken Gegendemonstranten zu tun hatten – und nicht mit einem breiten Bündnis der Demokraten.

Das Extremismus-Paradigma wirkt bis in die heutigen Tage: Kürzlich erst entzog die schwarz-gelbe sächsische Regierungsmehrheit mit den Stimmen der NPD dem Linken-Fraktionschef die parlamentarische Immunität. Er soll als Rädelsführer an einer Sitzblockade gegen Neonazis teilgenommen haben soll. Im Jahr 2011, während eines Verfahrens gegen einen Sitzblockierer bei einer Neonazi-Demo, verstieg sich ein Dresdner Amtsrichter zu dem Satz: „Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Minderheiten nicht geschützt werden.“ Wen wundert es eigentlich, dass in einer solchen Atmosphäre mancher Bürger die Schlussfolgerung zog, dass Neonazis nur eine politische Kraft von vielen waren?

Weniger ideologisch, aber genauso denkfaul war die populäre Vorstellung, das Thema Rechtsextremismus werde sich irgendwann von selbst erledigen, wenn sich die wirtschaftliche Lage bessert; wenn also die organisierten Neonazis endlich Arbeitsplätze hätten. Ähnlich hanebüchen folgendes Argument: Deutschland hat Neonazis wie jedes andere europäische Land auch. Das akzeptieren zu lernen, gehört zu einer erwachsenen Nation.

Das war die Atmosphäre bis zum letzten November. Sie kam aus den Redaktionen heraus, wirkte aber natürlich auch in sie hinein. Redakteure, die sich explizit mit Neonazis befassten, galten als eher links. Häufig mussten sie die Frage beantworten, ob sie die Neonazis durch Berichterstattung nicht erst aufwerten würden. Freie Autoren, die in der Szene recherchierten, standen manchmal unter dem Verdacht, aus eigenen ökonomischen Motiven immer ein zu wenig zu übertreiben. Rechtsextremismus, das war für Journalisten beileibe kein Gewinnerthema.

Ich will die Presse nicht in Schutz nehmen. Viele Medien haben nicht ausdauernd, präzise und sachlich genug über Neonazis informiert. Man kann und man soll über journalistische Tugenden, staatsbürgerliche Verantwortung, Konformismus und Opportunismus in der Presse diskutieren. Doch man kann das Verhalten der Medien nicht deuten, ohne auch den weit verbreiteten gesellschaftlichen Unwillen zu benennen, sich mit dem Thema Rechtsextremismus zu befassen. Wollen wir hoffen, dass der Schock über die Aufdeckung des NSU tief genug sitzt – bei uns allen.

Denn, und damit möchte ich meinen zweiten Punkt einleiten, es betrifft ja nicht nur uns, die politische und mediale Elite, wenn wir den Rechtsextremismus verschweigen oder dramatisieren. Es hat vor allem dort Auswirkungen, wo die Neonazis am häufigsten und am erfolgreichsten in die Mitte drängen: In der Provinz.

Kleinstädte und Dörfer sind die Frontlinie des Kampfes mit den Neonazis – besonders in strukturschwachen Regionen, in denen es an stabilisierenden Institutionen der Mitte fehlt, an Vereinen, Kirchen, Verbänden; wo sich Nazis mit Kinderfesten, nationalen Bibliotheken und öffentlichen Sonnenwendfeiern als zivilgesellschaftliche Akteure in Szene setzen. Lokalmedien gehören hier zu den manchmal letzten demokratischen Akteuren, die Maß und Mitte einer Stadt mitbestimmen – oder auch nicht.

Vor einigen Monaten kam es in Dessau zu einer ziemlich gespenstischen Ereigniskette. Am Beginn stand ein furchtbares Verbrechen: Ein senegalesischer Asylbewerber hatte einen Mann auf offener Straße mutmaßlich tätlich angegriffen. Als ein anderer Mann, ein Fußballspieler, zur Hilfe eilte, griff der Senegalese auch ihn an – mit einem Messer stach er ihm nach Augenzeugenberichten in den Kopf. Der Fußballer wurde lebensgefährlich verletzt.

Kein Zweifel: So ein Vorfall hätte in jeder Stadt aggressive, auch rassistische Verallgemeinerungen ausgelöst. In Dessau aber ging es weiter. Noch am Nachmittag fand ein Demonstrationszug zu Ehren des Verletzten statt, mehrere Hundert Menschen nahmen teil. Der lokale Fernsehsender und eine Regionalzeitung berichteten intensiv über den Vorfall und den anschließenden Spontanaufzug. Empathisch beschrieben sie die Ergriffenheit unter den demonstrierenden Bürgern und lobten ihre Friedfertigkeit.

Wie wir inzwischen wissen, nahmen viele bekannte Neonazis an dem Zug teil. Handyvideos zeigen, wie in dem angeblich friedlichen Marsch mehrmals der Chor „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ oder der NPD-Slogan „Kriminelle Ausländer raus“ ertönte. Anmelder des Aufzuges war ein Mann mit mehreren Vorstrafen und rechtsextremen Ansichten. Doch davon war zunächst nichts in der Lokalpresse zu lesen.

Einige Tage später gründete sich auf Facebook eine Gruppe, die unpolitisch daherkam und zu einer Demonstration gegen jedwede Gewalt in Dessau aufforderte. Der Versuch von Behörden, mit den Initiatoren der Gruppe Kontakt aufzunehmen, scheiterte. Rechtsextreme Netzwerke mobilisierten via Twitter zur Teilnahme und die NPD auf ihrer Site. Lokalen Bürgerinitiativen war schnell klar, dass hinter dem Facebookaufruf Neonazis stecken. Sie organisierten eine Mahnwache gegen Rechtsextremismus für Tag der Demo.

Aus Angst vor Ausschreitungen aber rief der Bürgermeister alle Bürger der Stadt auf, jedweder Demonstration fernzubleiben. Das Ergebnis: Hunderte Neonazis marschierten gemeinsam mit äußerlich unscheinbaren Bürgern durch die Stadt. Der Redner, ein wegen lebensgefährlicher Körperverletzung vorbestrafter Neonazi, rief unter donnerndem Beifall zum Kampf gegen Medienhetze auf. Am selben Abend wurden fünfzig Neonazis festgenommen, weil sie in einem lokalen Einkaufszentrum „Sieg Heil“ skandierten.

Ich finde, dass dieser Fall auf anschauliche Art illustriert, wie weit Neonazis in Klein- und Mittelstädten mit ihrem Versuch sind, die gesellschaftliche Mitte zu erreichen. Wie geschickt sie im Umgang mit neuen Medien hantieren. Und wie wenig ihnen Behörden und auch Medien mancherorts entgegensetzen – sei es aus Unwissen, Angst oder Bequemlichkeit.

Wir haben viele Fälle in Erinnerung, in denen Polizei, Bürgermeister oder Gerichte in Kleinstädten ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden – Mügeln war wohl der einprägsamste. Selten aber fragt jemand nach der Rolle des örtlichen Mediums. Dabei gibt es weitere Beispiele, in denen die Lokalpresse schlecht abschnitt im Umgang mit Neonazis. Nicht aufführbar ist zudem jene Berichterstattung über Naziüberfälle, die deswegen keinen Anstoß erregt, weil sie gar nicht erst stattfindet.

Sie werden Schwierigkeiten haben, Journalisten zu finden, die mit den Neonazis sympathisieren. Und auch im Lokalen gibt es viele couragierte Redakteure, die den Neonazis auf der Fährte bleiben. Doch natürlich wirken auch hier die Gezeiten der Neonazi-Berichterstattung. In Kleinstädten und ländlichen Räumen kommt aber noch etwas hinzu: Die Journalisten leben mit den Objekten ihrer Berichterstattung oft Tür an Tür.

Es ist für mich und meine Berliner Kollegen bei ZEIT ONLINE vergleichsweise sehr leicht, das Agieren der Neonazis zu beschreiben, die Bundesregierung zu kritisieren, größere Wachsamkeit zu verlangen. Etwas anderes ist es, Neonazi-Aktivitäten in Dessau, Wunsiedel oder Bitterfeld anzuprangern. Niemand würde das zugeben, aber nicht jeder bringt den Mut auf, über Neonazis zu berichten, wenn sie anschließend vor der Haustür oder in den Redaktionsräumen auftauchen – wie es oft genug geschehen ist.

Einschüchterung von Journalisten ist fester Bestandteil der rechtsextremen, so genannten Anti-Antifa-Arbeit. Eines Morgens vor wenigen Monaten fand die Lokalredaktion der Lausitzer Rundschau in Spremberg an ihrer Fassade rechtsextreme Plakate und Graffitis. „Lügenpresse, halt die Fresse“ hieß es darauf. Noch in der darauffolgenden Nacht hängten Unbekannte die Gedärme eines frisch geschlachteten Schweins über das Logo an ihrer Fassade – Welch eine Machtdemonstration! In Pasewalk drangen Neonazis in die Redaktionsräume des Nordkurier ein. Ein Redakteur in Anklam fand vor Jahren das Todesurteil eines selbsternannten Volksgerichtshofs in seinem Briefkasten. Ein anderer wurde mit einem Elektroschocker überfallen. Über Neonazis berichten, das erfordert in den Regionen mehr Courage als in den überregionalen Medien.

Zur Furcht vor solcher Repression kommt oft die vor dem Nestbeschmutzer-Vorwurf. Wer den Rechtsextremismus in strukturschwachen Regionen regelmäßig zum Thema macht, sieht sich nicht selten der Mahnung ausgesetzt, die eigene Region nicht zu stigmatisieren oder gar Investoren abzuschrecken – wenn er sich mit diesem Argument nicht schon selbst gebremst hat. Ein Redaktionsleiter brachte das mal so auf den Punkt: „Wir müssen über den Rechtsextremismus berichten, ohne die Mehrheit damit zu nerven.“

Lange hielt sich nicht nur, aber besonders in den Medien des Ostens zudem ein rein technisches Demokratieverständnis: Solange die NPD nicht verboten ist, ist sie eine Partei wie jede andere. Welches Recht habe ich als Redakteur, die NPD anders zu behandeln als andere Parteien? Zumal, wenn sie zwanzig Prozent der Bürger wählen?

Ein weiteres Problem des Lokalredakteurs sind juristische Unsicherheiten. Gegen jede noch so kleine Anfechtbarkeit gehen Neonazis mit rechtlichen Mitteln vor. Große Medien verfügen über Rechtsabteilungen, die die Redaktionen absichern können. Kleine verzichten manchmal im Zweifel lieber auf die Klarheit, die dem Thema angemessen wäre. Oder manchmal sogar auf den ganzen Bericht.

Und schließlich erfordern die klandestinen Strukturen von rechtsextremen Kameradschaften Rechercheaufwand. Das wiederum kostet Geld, weil Lokalredakteure, die sonst über kommunale Haushaltsbeschlüsse und Stadtfeste berichten, natürlich selten Experten in dem Thema sind.

Vor Jahren gab der Anklamer Redaktionsleiter Siegfried Denzel seinen Job auf, weil „wir nicht mehr adäquat über die Neonazis berichten konnten.“ Die Presse, sagt er, habe wegen vieler Kürzungen und Zusammenlegungen ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen können. Ein anderer Journalist, der früher intensiv über die Szene in Sachsen-Anhalt berichtet hatte, verlegte sich auf den Verkauf von Computersoftware, weil ihm Chefs vorwarfen, zu viel zu recherchieren.

Meine Damen und Herren, ich möchte wiederholen, dass es im Lokalen viele couragierte Journalisten gibt. Nach der Aufdeckung des NSU ist das Problembewusstsein deutlich gestiegen, es gibt Workshops zum Umgang mit Neonazis, in vielen Regionalblättern gibt es nun Experten für das Thema. Die Kollegen der Lausitzer Rundschau veröffentlichten nach dem Neonazi-Angriff eine ermutigende, trotzige Reaktion: Nun, schrieb der Chefredakteur, werden wir noch intensiver recherchieren und noch engagierter schreiben und kommentieren. Seitdem befassen sich dort immer mehrere Kollegen mit dem Thema, um nicht Einzelne den Attacken der Neonazis auszusetzen. Der Nebeneffekt: Das Wissen in der gesamten Redaktion wächst.

Lassen Sie uns hoffen, dass diese kämpferische Auseinandersetzung mit dem Thema Schule macht. Denn noch immer gilt: Je kleiner die Stadt, desto größer die Beißhemmung des Journalisten. Noch immer wirken Faktoren wie Angst und Konformismus – nicht nur auf die Presse, sondern auch auf Polizei und Behörden. Und noch immer versuchen Neonazis mit eigenen Kostenlospublikationen in die Lücke zu schlüpfen, die Lokalblätter und überregionale Medien hinterlassen.

Es gibt weitere ermutigende Beispiele für den Umgang der Medien mit dem Rechtsextremismus. Im Jahr 2000 etwa versuchte der Stern, das von mir eben beschriebene Gezeitenmuster der Berichterstattung zu durchbrechen, indem er das noch heute aktive Informationsprojekt Mut gegen rechte Gewalt startete. Die ZEIT ging im Jahr 2008 mit dem Portal Netz gegen Nazis online, an dem auch ich beteiligt war.

Partner waren auch solche Institutionen, an deren Basis Neonazis immer wieder versuchten, ihrer Ideologie Einfluss zu verschaffen, wie etwa der Deutsche Fußballbund oder der Deutsche Feuerwehrverband. Das Ziel war es, im Lokalen zu wirken, Vereinstrainern, Jugendpastoren, Lehrern und besorgten Eltern Handreichungen zu geben, mit Neonazis umzugehen, wenn sie versuchten, sich einzuschleichen. Woran erkennt man sie, was lesen sie, wie reagiere ich auf sie – das waren die Fragen, die viele Bürger hatten.

Beide Projekte beantworten diese Fragen bis heute. Interessanterweise sind daran nicht nur viele Autoren beteiligt, sondern auch die Bürger selbst. Es ist hier viel über die Bedrohung durch Neonazis im Netz gesprochen worden. Doch auf Netz gegen Nazis zeigte sich, dass das Internet und seine Interaktionsmöglichkeiten auch durchaus ein effektives Instrument des Kampfes gegen Neonazis sein kann. Hier geben Nutzer anderen Nutzern Ratschläge, teilen eigene Erfahrungen, weisen auf neue Strategien der Neonazis hin. Man kann diese gerade erst entstehende Interaktion zwischen Medien und Bürgern und den Bürgern untereinander kaum überschätzen.

Denn während bei uns vor einigen Jahren beim Thema Netz und Nazis noch Furcht vor gezielten Attacken vorherrschte – die es auch gibt –, zeigt sich nun: Neonazis zurückzudrängen, das gelingt viel besser, wenn das Wissen der Bürger vor Ort miteinbezogen wird. Das ist eine riesige Chance, nicht nur für überregionale Medien. Und welch eine schöne Pointe der Demokratie, dass es die Bürger selbst sind, die durch die Möglichkeiten der Medien und des Netzes gegen neonazistische Umtriebe vorgehen.

Meine Damen und Herren, ich habe versucht, einige der Probleme zu beschreiben, die die Medien bislang im Umgang mit dem Rechtsextremismus hatten. Konformismus, Kostenzwänge, Furcht vor Repression, das sind Faktoren, die wir wohl noch weiter feststellen werden.

Die wichtigste Aufgabe aber, die sich aus dem bisherigen Umgang der Presse mit den Neonazis ergibt, kostet weniger Geld als sie inhaltliche Konsequenz und kritische Distanz erfordert: Wir müssen das Berichterstatten über Neonazis dauerhaft aus der linken Ecke holen, wir müssen das Thema auch abseits der großen Empörungswellen im Auge behalten. Wir Journalisten müssen das Gezeitenhafte aus unserer Berichterstattung über den Rechtsextremismus nehmen und wir müssen ihn milieuübergreifend als Problem aller Demokraten begreifen.

Es wird aber nicht reichen, wenn sich die Medien ihrer Verantwortung bewusst werden. Wir alle – Politik, Behörden, Presse – müssen verstehen, dass der Rechtsextremismus zurzeit die größte Bedrohung durch politische Gewalt bedeutet. Dass nicht nur Neonazis unser Problem sind, sondern auch rassistische, antisemitische und generell menschenfeindliche Vorstellungen in allen Segmenten der Gesellschaft.

Es ist hier öfter angesprochen worden: Erst am Montag veröffentlichte die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Studie, nach der die Anzahl derer mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild erneut gestiegen ist – auf mittlerweile neun Prozent. Erst, wenn unser Blick auf diese Gefahr nicht mehr durch die verschmierte alte Rechts-Links-Brille getrübt wird, haben wir die Chance, den Neonazis die Aussichten zu nehmen. Dann – und erst dann – hätte sich nach der NSU-Aufdeckung wirklich etwas verändert.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen recht herzlich.