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„Oma, Opa und Hans-Peter“ – Unbehelligte NS-Täter?

 

Lautstarker Protest gegen NS-Kriegsverbrecher in Harsefeld © Arne Zillmer

Anfang Dezember fand im niedersächsischen Harsefeld eine Demonstration gegen einen in Italien als NS-Kriegsverbrecher verurteilten 87-jährigen Bewohner des Ortes statt. Die Demonstrierenden wollten auf den ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der maßgeblich an Massakern in Norditalien beteiligt gewesen sein soll, aufmerksam machen. Der Fall ist bezeichnend für die „Vergangenheitsbewältigung“ hierzulande und die viel zu späte Aufarbeitung der grausamen NS-Verbrechen.

„Oma, Opa und Hans-Peter, keine Opfer sondern Täter!“, diese Parole skandierten die Demonstrierenden immer wieder. Die Anwohner der Kleinstadt, die den Demonstrationszug beobachteten, reagierten gemischt. Einige zeigten großes Interesse, andere machten aus ihrer ablehnenden Haltung keinen Hehl. Wieder andere fragten die Demoleitung, was „der alte Mann“ ihnen denn getan habe, es sei ja alles „schon lange her“. Während der Demonstration wurden zahlreiche Flugblätter verteilt, um die Anwohner über den 87-jährigen Alfred L. und seine Rolle in der Panzer-Fallschirm-Division „Hermann Göring“ zu informieren. Diese Eliteeinheit der Wehrmacht verübte gegen Ende des Krieges mehrere Massaker an der italienischen Zivilbevölkerung, laut der nationalsozialistischen Propaganda dienten diese Gräueltaten zur Bekämpfung antifaschistischer Partisanen. Betroffen waren vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, insgesamt ermordete die Division schätzungsweise 1500 Menschen. Die Täter sollen teilweise mit Freude an den Massenerschießungen, Vergewaltigungen und Brandschatzungen teilgenommen haben. Beispielhaft für die grausamen Tötungsexzesse war das sogenannte „Tontaubenschießen“, bei dem die Wehrmachtssoldaten auf in die Luft geworfene Säuglinge schossen.

Im Juli 2011 wurden sieben ehemalige Angehörige der Division „Hermann Göring“, darunter auch Alfred L., wegen dieser Taten durch ein Militärgericht in Verona zu lebenslangen Haftstrafen und Entschädigungszahlungen verurteilt. Im Oktober diesen Jahres bestätigte ein Berufungsgericht das Urteil gegen den Harsefelder, der sich selbst als unschuldig darstellt und betont, er sei sich keiner Schuld bewusst. Von den Massakern habe er nach eigener Aussage nichts mitbekommen. Dagegen sprechen sichergestellte Aufzeichnungen, abgehörte Telefonate und Zeugenaussagen, die ihn stark belasten. Auch die Urteilsbegründung liest sich anders, demnach sei die Teilnahme L.s an den Massakern „zweifelsfrei“, er habe „effektiv dazu beigetragen, die Befehlskette einzuhalten“ und sei somit „beteiligt“ gewesen an der massenhaften Erschießung von Zivilpersonen. Für die italienische Justiz ist L. daher ein Kriegsverbrecher, in Deutschland dagegen müsste ihm die individuelle Tatbeteiligung nachgewiesen werden. Da das Verfahren noch in eine weitere Runde gehen wird, dürfte erst in einem Jahr mit einem endgültigen Urteil gerechnet werden. Doch die Zeit drängt.

Der niedersächsische Landtagsabgeordnete Helge Limburg (Bündnis 90/Grüne), welcher eine Kleine Anfrage zur Strafverfolgung von NS-Kriegsverbrechern gestellt hatte, sagte gegenüber Störungsmelder, dass die Justiz dem Thema nun „Priorität einräumen“ müsse, um die „letzten noch lebenden NS-Täter zur Verantwortung zu ziehen“. In den vergangenen Jahrzehnten seien seiner Meinung nach oft Ermittlungen nicht mit der nötigen Sorgfalt geführt worden.

Tatsächlich kommt die „Aufarbeitung“ der NS-Verbrechen durch die deutsche Justiz, wenn überhaupt, teils viel zu spät: Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnten ehemalige Nazi-Richter ihre Arbeit wieder aufnehmen, bedingt durch die personellen Kontinuitäten bestand damals häufig kaum der Wille dazu, die braune Vergangenheit aufzuklären und mutmaßlichen Tätern den Prozess zu machen. So lebten viele Altnazis ungestört weiter, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Des Weiteren wurde die BRD bedingt durch die Blockkonfrontation im Kalten Krieg wieder zum angesehenen westlichen Bündnispartner. Die wichtigen neuen diplomatischen Beziehungen wollte man nicht gefährden, so verschwanden beispielsweise fast 700 Akten der italienischen Justiz über deutsche Nazi-Verbrechen im sogenannten „Schrank der Schande“. Eine Anklage hätte damals zudem den öffentlichen Widerspruch gegen eine Wiederbewaffnung Westdeutschlands verstärkt, da dann auch auch die Nazi-Vergangenheit deutscher Soldaten thematisiert worden wäre. Erst Mitte der 90er Jahre tauchten die Akten wieder auf und sind nun auch die Grundlage im aktuellen Prozess. Mittlerweile jedoch ist der Großteil ehemaliger Wehrmachtssoldaten und NS-Funktionäre längst verstorben.

Ob die Betroffenen und Hinterbliebenen also jemals Entschädigung oder Anerkennung erhalten werden, ist mehr als fraglich. Eine umfangreiche Aufarbeitung der Verbrechen noch lebender NS-Täter sähe gewiss anders aus und würde nicht zu dem „Schlussstrich“ passen, den viele unter die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands setzen wollen. Hierzulande würde aktuell wohl nicht in sozial-chauvinistischer und rassistischer Manier gegen „faule Südländer“ und deren Staatsschulden gehetzt werden, hätte Deutschland in größerem Umfang für die im Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden in Italien und Griechenland aufkommen müssen.