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Wenn die Polizei zur Gefahr wird

 

Gewalt statt Kommunikation - das war offenbar die Devise der Polizei vor dem Flüchtlingslager in Köln-Ehrenfeld © M. P.
Gewalt statt Kommunikation – das war offenbar die Devise der Polizei vor dem Flüchtlingslager in Köln-Ehrenfeld © M. P.

Als die Flüchtlinge und Unterstützer der ‚Refugee Revolution Bustour’ am Sonntagnachmittag das Flüchtlingslager in der Geisselstraße in Köln besucht haben, war das keine Demonstration. Im Rahmen ihres deutschlandweiten Protests haben sie Flyer über ihre Forderungen und die geplante Kundgebung am Kölner Dom um 17.30 Uhr verteilt. Sie kamen auf Einladung einiger Bewohner des Lagers zu Besuch – weshalb man wohl kaum von Hausfriedensbruch sprechen kann.

Weder ein Sicherheitsdienst noch ein Hausmeister noch die Polizei haben der Gruppe den Eintritt in das Lager zuvor verweigert, währenddessen verboten oder sie zu irgendeinem Zeitpunkt der Aktion hinaus gebeten. Erst als die etwa zehn Aktivisten das Haus und den Hof nach ihrer zehnminütigen Flyer-Verteilaktion verlassen haben, war die Polizei vor Ort. Mit etwa fünfzehn Einsatzwagen.

Natürlich kann man es dem Kölner Sicherheitsdienst Adlerwache nicht verübeln, dass er das Flüchtlingslager beschützen will. Jedoch frage ich mich, warum keiner der Sicherheitskräfte während des Besuchs der Aktivisten auf ein Zutritts-Verbot aufmerksam gemacht hat.

Ein völlig überzogener Polizeieinsatz - ohne den Versuch eines Gesprächs mit den Beschuldigten © M. P.
Ein völlig überzogener Polizeieinsatz – ohne den Versuch eines Gesprächs mit den Beschuldigten © M. P.

Auch die Polizeibeamten sind nur einem Auftrag, einem Hilferuf des Sicherheitsdienstes nachgegangen – aber warum sind nicht nur Ehrenfelder Polizisten, sondern sofort fast fünfzig Beamte aus ganz Köln eingetroffen, um sich um zehn „Hausfriedensbrecher“ zu kümmern?

Fraglich ist zudem noch, warum die Polizisten vor Ort nicht zunächst ein Gespräch mit den Aktivisten gesucht haben. Zu keinem Zeitpunkt hat einer der Beamten diese gefragt, warum sie in dem Flüchtlingslager waren und was sie dort getan haben. Die Flüchtlinge und Unterstützer wussten erst auf der Polizeiwache, dass ihnen Hausfriedensbruch vorgeworfen wird.

Natürlich will die Polizei bei einem solchen Vorwurf immer die Personalien der möglichen Straftäter aufnehmen. Dafür ist sie aber nicht normal vorgegangen und hat erst einmal über den Grund des Einsatzes informiert. Im Gegenteil: Gezielt wurde sofort ein Schwarzer, nämlich einer der Flüchtlinge, aus der Gruppe herausgerissen und von zwei Beamten gegen den Polizeibus gedrückt. Als der Flüchtling nicht sofort Papiere zeigen konnte, wurden ihm Mund und Nase zugehalten und sein Kopf nach hinten gezogen.

Außenstehende werden grundlos von Polizisten immer wieder zur Seite gestoßen - so auch ich von der Polizistin mit Hund © M. P.
Außenstehende werden grundlos von Polizisten immer wieder zur Seite gestoßen – so auch ich von der Polizistin mit Hund © M. P.

Ich dachte, der bekannte ‚Polizeigriff‘ sähe anders aus. Dass eine Gruppe, die für die Menschenrechte der Flüchtlinge in Deutschland protestiert, in so einem Moment eingreifen will, ist dann nicht verwunderlich. Immer wieder schrien sie „Keine Gewalt!“ zu den Polizisten.

Kurz hat sich die Situation immer wieder beruhigt, die Aktivisten standen herum und fragten, was überhaupt der Grund für den Einsatz sei. Auf Nachfrage reagierten die Beamten nur mit Ignoranz. Die Lage eskalierte dann heftig, als ein sehr aggressiver Polizist, der zuvor schon mit seinem Schlagstock drohte, einen völlig friedlichen Unterstützer von außerhalb zu sich riss. Auch hier wieder der neue ‚Polizeigriff‘ – Mund und Nase zuhalten und Kopf nach hinten ziehen – diesmal bei einer Frau, die ebenfalls tatenlos am Rand der Menge stand. Wie können solche Methoden gerechtfertigt werden?

Dutzende Polizisten waren bei diesem Einsatz vor Ort – und trotzdem schien die Polizei völlig überfordert, wie sie mit der Lage umgehen sollte. Ein ruhiges Gespräch zu Beginn des Einsatzes hätte wahrscheinlich Wunder gewirkt. Aber offenbar zogen die Beamten den brutalen Weg vor. Zur Abschreckung orderten sie noch eine Hundestaffel an, die zwei Stunden lang durchbellte.

Schlagstöcke und Pfefferspray besitzen Polizisten, um sich im Notfall bei einem Angriff wehren zu können. Doch in diesem Fall ging von den Aktivisten keine Gefahr aus. Sie waren nicht gewalttätig – ihre einzige Handlung waren Sprechchöre, mit denen sie ihre Forderungen deutlich machten.

Umso unverständlicher, dass einer der Flüchtlinge nach dem Körpereinsatz von etwa fünf Polizisten bewusstlos war und in diesem Zustand in ein Polizeiauto geschleift wurde. Weder ein Krankenwagen noch erste Hilfe hielten die Beamten für nötig. Diesen Straftatbestand nennt man dann wohl unterlassene Hilfeleistung.

Laut einem der Anwälte der Gruppe war es auch unverhältnismäßig, dass sich alle in Gewahrsam genommenen auf der Polizeiwache nackt ausziehen und die Frauen ihren BH bis zu ihrer Freilassung abgeben mussten. Von etwa 17 Uhr am Sonntagabend bis 5 Uhr am Montagmorgen mussten neunzehn Aktivisten ohne Essen und Trinken in Einzelzellen sitzen. Natürlich wurden sie nicht darüber informiert, wie es weiter geht.

Im bewusstlosen Zustand wurde einer der Flüchtlinge mit den Beinen über den Boden geschleift - davon trägt er jetzt eine Verletzung © M. P.
Im bewusstlosen Zustand wurde einer der Flüchtlinge mit den Beinen über den Boden geschleift – davon trägt er jetzt eine Verletzung © M. P.

Der Flüchtling, der bewusstlos mitgenommen wurde und am Bein verletzt war, wurde im Krankenhaus nicht behandelt, da er keine Papiere hatte. Unbehandelt brachten ihn die Beamten auf die Wache. Laut des Verletzten zwangen vier Polizisten ihn auf der Wache, Dokumente zu unterschreiben, die ihm nicht übersetzt wurden. Auch Fingerabdrücke habe er gegen seinen Willen abgeben müssen.

Es ist eine Willkür der Polizeibeamten, die von keiner Instanz bei ihren Vorgehensweisen kontrolliert werden. Die Gefahr, dass etwaige Methoden an die Öffentlichkeit kommen, macht ihnen aber offenbar Angst. Gegenseitig wiesen sie immer wieder auf mich und meine Kamera hin, hielten die Hand davor oder stießen mich zurück. Von Pressefreiheit kann da keine Rede sein.

Blamabel war es zudem, dass die Polizisten den ganzen Abend über kaum Informationen über den Zustand der Festgenommenen oder den Grund des Einsatzes geben konnten. „Meine Schicht hat gerade erst begonnen“ oder „Dafür bin ich nicht zuständig“ waren gern gewählte Ausreden. Ebenso unglaubwürdig war die Aussage „Es ist Wochenende, das ist eine Ausnahmesituation, da dauert alles etwas länger“ einer Polizeibeamtin.

Da stellt sich doch die Frage, warum die Beamten am Wochenende in einer solch großen Zahl in wenigen Minuten am Einsatzort auftauchen können, es dann aber an der Informationspolitik und einem erreichbaren Pressesprecher hapert. Selbst der Einsatzleiter war nicht in der Lage, Anwälten und Pressevertretern Informationen zu liefern. Er wusste dann noch nicht einmal, wie man sich an den zuständigen Funktionär wenden kann.

Die drei Verletzten, entsprechende Videos sowie Beobachtungen der Augenzeugen zeigen deutlich, dass dieser Polizeieinsatz völlig überzogen war. Eigentlich müsste es doch die Polizei sein, die geduldig und vernünftig bleibt, um die Situation ruhig zu halten. Doch auch diesen Einsatz mit wirklich fraglichen Methoden werden die Beamten während der Ermittlungen wieder rechtfertigen können. Schließlich ermitteln auch in diesem Fall wieder Kollegen gegen Kollegen.

Das war der 7. Teil meiner Artikel-Serie über das Refugee Camp Berlin.