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Antifaschisten erstreiten Freispruch vor Landgericht

 

Inzwischen ein seltener Anblick in Remagen: Protest aus dem Antifa-Spektrum © Max Bassin
Inzwischen ein seltener Anblick in Remagen: Protest aus dem Antifa-Spektrum © Max Bassin

Ein Berufungsprozess gegen sechs Antifaschisten vor dem Landgericht Koblenz endete im März mit einem Freispruch. Ihnen wurde Landfriedensbruch am Rande einer Demonstration der inzwischen verbotenen Kameradschaft „Aktionsbüro Mittelrhein“ (AB-M) in Remagen vorgeworfen. Beobachter halten die Anklage der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen die Antifaschisten für politisch motiviert. Zeitgleich zu diesem Prozess mussten sich auch Mitglieder des ehemaligen AB-M vor dem Landgericht Koblenz in einem der größten Neonazi-Prozesse der Republik verantworten.

Ein Bericht von Max Bassin und Fabian Boist

Hintergründe der Anklage

Das Aktionsbüro organisierte bis zu ihrem Verbot im Jahr 2012 jährlich in Remagen die größte Neonazidemonstration in Rheinland-Pfalz. Im Zuge einer antifaschistischen Protestveranstaltung 2010 begab sich eine Gruppe von ca. 30-50 Personen auf die Aufzugsstrecke der Rechten. Einige Teilnehmer zogen Hamburger Gitter und Garagentore, von einem parkendem Anhänger, auf die Straße. Als sich ein Streifenpolizist mit Pfefferspray und gezücktem Schlagstock der Großgruppe in den Weg stellte, verletze ihn ein Gruppenmitglied durch einen gefüllten Leinenrucksack am Kopf. Der Haupttäter wurde rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft erhob gegen sechs Personen der Gruppe zunächst Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Verlauf der erstinstanzlichen Verhandlung änderte sie den Vorwurf jedoch in Landfriedensbruch. Das zuständige Amtsgericht in Sinzig befand die Angeklagten einer psychischen Unterstützung der sogenannten Haupttäter für schuldig und verurteilte sie zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen unterschiedlicher Höhe, je nach Einkommensverhältnissen.

Vor dem Landgericht Koblenz konnte in zweiter Instanz keine Tatbeteiligung der Angeklagten festgestellt werden. Dies lag unter anderem daran, dass der geschädigte Polizist erst zwei Monate später Angeklagte auf Fotos wiedererkannt haben will. Bei einer Gegenüberstellung am Tattag konnte der Kommissar keinen der Angeklagten identifizieren. Um sie des Landfriedensbruchs zu überführen, hätte man ihnen zudem eine Solidarisierung mit den Haupttätern nachweisen müssen. Die Beweisaufnahme ließ jedoch nur den Schluss einer passiven Beteiligung der Angeklagten in der Gruppe zu. Die Staatsanwaltschaft Koblenz legte keine Revision gegen die Freisprüche ein, obwohl sie in beiden Instanzen eine Verurteilung zu 90 Tagessätzen gefordert hatte. Das Urteil ist damit rechtskräftig.

Staatsanwaltschaft: politisch motivierte Anklage?

„Ziel ist weniger die rechtskräftige Bestrafung, sondern eher die Angeklagten und deren politische Mitstreiter zu verunsichern, damit diese sich in Zukunft bei Protesten zurückhalten“, meint Rechtsanwalt Tom Siebert, der einen der sechs Antifaschisten vertrat. Dies glaubt ein Angeklagter bestätigen zu können. Als er nach seiner Ingewahrsamnahme die Polizeistation verlassen durfte, habe ihn ein Beamter gefragt: „Nächstes Jahr kommst Du dann aber nicht mehr, oder?“ Tatsächlich kam es in den Folgejahren kaum noch zu Gegenprotesten aus dem Antifa-Spektrum.

Eine Verurteilung wäre weit über den konkreten Fall hinaus bedeutsam gewesen. „Wäre es bei der Verurteilung der Angeklagten geblieben, dann hätte dies für zukünftige potenzielle Demonstrationsteilnehmer abschreckende Wirkung. Jeder einzelne Demonstrationsteilnehmer müsste dann befürchten, bei plötzlichen gewalttätigen Ausschreitungen in seiner unmittelbaren Nähe dafür mitverantwortlich gemacht und strafrechtlich belangt zu werden“, schlussfolgert Rechtsanwalt Thomas Ehrmann. Die Versammlungsfreiheit und das Recht auf kollektive Meinungsäußerung seien grundgesetzlich geschützt. Deswegen dürfe der Wesenskern der Grundrechte nicht durch nachgeordnete Gesetze tangiert werden.

Landgericht: fehlendes Fingerspitzengefühl? 

Besorgnis erregte der parallel laufende Prozess gegen 26 mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des neonazistischen AB-M. Ein Sprecher des Gerichts bestätigte, dass die parallele Terminierung beider Prozesse dem Gericht bekannt, aber organisatorisch unumgänglich gewesen sei. „Ich glaube, dass im Vorfeld des Prozesses das Gericht die Bedeutung der parallel zum AB-M Prozess stattfindenden Verhandlung massiv unterschätzt hat“, sagte Siebert. Besonders pikant: Ein Teil der angeklagten Neonazis hatte die erstinstanzliche Verhandlung gegen die Antifaschisten beobachtet, möglicherweise um persönliche Daten der Betroffenen in Erfahrung zu bringen. Zu einer Konfrontation zwischen Linken und Neonazis kam es im Landgericht trotz unmittelbarer räumlicher Nähe und zeitgleicher Verhandlungspausen nicht. Besondere Sicherheitsvorkehrungen waren nicht zu erkennen. Der Sprecher erklärte auf Aufrage, in „gebotener Weise“ auf Sicherungsbedarf zu reagieren. Nähere Angaben konnte er dazu allerdings nicht machen.