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Erfasst und durchsucht – Journalisten in Bad Nenndorf

 

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In Bad Nenndorf haben hunderte Menschen durch eine Blockade einen Neonazi-Aufmarsch verhindert. Viele Journalisten waren vor Ort und berichten nun von Verstößen gegen das Presserecht seitens der Polizei: Namen wurden erfasst und Autos durchsucht. Die Deutsche Journalisten Union kritisiert das Verhalten der Polizei scharf.

Von Felix M. Steiner für Publikative.org und Zeit-Online-Störungsmelder

Die kleine Stadt Bad Nenndorf gleicht am ersten Augustwochenende seit mehreren Jahren einer Festung. Hunderte Neonazis reisen seit 2006 in die niedersächsische Stadt, um dort ihren geschichtsrevisionistischen „Trauermarsch“ durchzuführen. Hunderte Menschen demonstrierten die letzten Jahre gegen den Aufmarsch und konnten die Abschlusskundgebung der extrem rechten Veranstaltung in diesem Jahr sogar blockieren. Jedes Jahr kommen auch zahlreiche Journalisten nach Bad Nenndorf, um über die Ereignisse zu berichten. In diesem Jahr kam es allerdings zu zahlreichen Verstößen gegen das Presserecht und teils zur Behinderung der Berichterstattung. Das Vorgehen wirft Fragen auf und die Polizeiführung scheint teils nichts vom Agieren ihrer Beamten vor Ort zu wissen.

Namen für die Statistik erfassen?

Eigentlich sollten sich ausgewiesene Journalisten frei auf Veranstaltungen bewegen können.

Rund 1.800 Polizeibeamte waren auch in diesem Jahr vor Ort, um die Sicherheit der Veranstaltungen zu gewährleisten. Hierzu gehört auch eine weiträumige Absperrung der jeweiligen Veranstaltungsorte, um die verschiedenen politischen Lager zu trennen. Für die Berichterstattung ist es für ausgewiesene Journalisten völlig legitim, sich zwischen diesen Bereichen zu bewegen. Doch viele Medienvertreter berichten von der Erfassung ihrer Namen an einzelnen Kontrollpunkten: Beim Passieren sei es nicht nur zur Kontrolle der Presseausweise sondern auch zur Erfassung ihrer Namen gekommen. Mehrfach begründeten Beamte diese Aufforderung mit der angeblichen Erstellung einer Medienstatistik. Auch der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam war in Bad Nenndorf und berichtet über das Vorgehen der Beamten. „Als ein Journalist am Bahnhof die Absperrungen durchqueren wollte, verlangte der Polizeibeamte die Herausgabe seines Namens, sonst dürfe er ihn nicht passieren lassen“, so Rechtsanwalt Adam. „Auf Nachfrage erklärte der Beamte, dies sei zur Erstellung einer Medienstatistik und von der Polizeiführung angeordnet“, berichtet der Göttinger Anwalt weiter. Kein Einzelfall, wie mehrere anwesende Journalisten vor Ort übereinstimmend berichten. Doch von all dem will die Polizeiführung nichts wissen. Auf Nachfrage erklärt Gabriela Mielke, Pressesprecherin der zuständigen Polizeiinspektion Nienburg/Schaumburg: „Nein. So eine Anweisung gab es nicht. Eine Medienstatistik ist nicht existent und wurde/wird – wie in keinem der Einsätze in Bad Nenndorf zuvor – geführt.“ Das Verhalten der Beamten vor Ort könne man sich deshalb auch nicht erklären, teilt die Pressestelle weiter mit. Auch die Deutsche Journalisteninnen- und Journalisten Union (DJU) sieht den Fall kritisch. „Es ist immer problematisch, wenn Daten wie Namen oder Anschriften von Journalistinnen und Journalisten von staatlicher Seite erhoben werden“, heißt es von der Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß. „Die Polizei müsste um die Sensibilität solcher Erhebungen wissen und lückenlos offen legen können, was damit geschieht. Das scheint mir im vorliegenden Fall nicht hinlänglich erfolgt zu sein und lässt sich offenbar im Nachhinein auch nicht klären“, so Haß weiter.

Presserecht egal?

Die Erfassung der Namen scheint jedoch nicht der einzige Verstoß gegen geltendes Presserecht gewesen zu sein. Schon bei der Anreise wurden mehrere Autos von Journalisten durchsucht. Der freie Fotograf Christian Jäger reiste mit zwei weiteren Kollegen nach Bad Nenndorf. Um sich als Journalisten kenntlich zu machen, war das Auto mit einem Presseschild

Zahlreiche Journalisten waren für eine Berichterstattung vor Ort.
Zahlreiche Journalisten waren für eine Berichterstattung vor Ort.

der DJU gekennzeichnet. Nach der Kontrolle der Presse- und Personalausweise wollten die Beamten dann das Auto durchsuchen, erklärt der Fotograf. Mit Verweis auf geltendes Presserecht verweigerte Jäger die Durchsuchung. „Daraufhin erklärte der Einsatzleiter, dies sei ihm egal“, berichtet Jäger. Die Journalisten verlangten daher den Hundertschaftsführer zu sprechen. „Der erschien dann auch und erklärte, ihm wäre das Presserecht egal, man wolle ja nur mal schauen“, erinnert sich der Fotograf. Da die Beamten den Fotografen eine Einfahrt nach Bad Nenndorf ohne Kontrolle verweigerten, stimmten die Journalisten einem Blick in den Kofferraum zu, woraus eine Durchsuchung wurde, wie Christian Jäger meint. Im Zuge der Maßnahme wurden dann ein Motorrad-Helmunterzieher und ein Pfefferspray sichergestellt und Personalien der Journalisten notiert. Auch die Pressestelle der zuständigen Polizeiinspektion bestätigt diesen Vorgang und die Verweigerung gegen die Maßnahme durch die Journalisten. Doch in der Stellungnahme der Polizeidirektion klingt der Vorfall deutlich anders: „Nach einem Gespräch mit dem Einsatzleiter willigten die Personen der Personenüberprüfung und der Nachschau (nicht Durchsuchung) im PKW ein.“, teilt Gabriela Mielke von der Pressestelle mit. Dass dies keineswegs legitim war, meint auch Cornelia Haß von der DJU: „Durchsuchungen können nicht unter Missachtung geltender Gesetze ohne rechtliche Grundlage „erzwungen“ werden.“ Über die berichteten Äußerungen der Beamten zum Presserecht ist auch Haß empört: „Wenn sich das so abgespielt hat, ist das ein handfester Skandal.“ Christian Jäger hat sich mittlerweile an eine Anwältin gewandt und plant rechtliche Schritte gegen die Maßnahme. Außerdem erwägt er Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die an der Durchsuchung beteiligten Polizeibeamten.