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UPDATE: Stadt diskutiert mit Neonazis über Erinnerungskultur

 

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Neonazistischer Geschichtsrevisionismus in Bad Nenndorf 2012

Update am Ende des Textes: Stellungnahme der Stadt

Seit Jahren versuchen Neonazis im thüringischen Nordhausen städtische Gedenkveranstaltungen für sich zu instrumentalisieren. Nun luden der Oberbürgermeister der Stadt und die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung gemeinsam zu einer Diskussionsveranstaltung ein. Mit am Tisch: stadtbekannte Neonazis.

Neonazis sind in Nordhausen – hier beim "Bombengedenken 2012 – ein großes Problem.
Neonazis beim städtischen Gedenken 2012, Foto: Kai Bulder

Die Stadt Nordhausen wurde im April 1945 von der englischen Luftwaffe zu großen Teilen zerstört. Jedes Jahr im April findet daher in der nordthüringischen Stadt eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestages der Bombardierung statt. Seit einigen Jahren hat auch die lokale Neonazisszene den Termin für sich entdeckt. Neben der regelmäßigen Organisation von Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen nehmen die regionalen Neonazis seit fast 10 Jahren auch an der städtischen Gedenkveranstaltung teil. 2012 kam es gar zu  einem Übergriff auf die ehemalige Oberbürgermeisterin der Stadt während der Veranstaltung. Im letzten Jahr meldete die Szene eine eigene Veranstaltung an, zu der Rund fünfzig extrem Rechte kamen. Da sich auch aufgrund dieser Vorkommnisse eine Diskussion über die Zukunft des Gedenkens in der Stadt entwickelt hat, lud nun der CDU-Oberbürgermeister, Dr. Klaus Zeh, alle Stadträte, die Schulleiter und das örtliche Bündnis gegen Rechts zu einer „Veranstaltung zum Thema ‚Gedenkkultur‘“ ein, wie es in der Einladung heißt. Nicht eingeladen waren Vertreter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, die vor den Toren der Stadt liegt und einer der wichtigsten Erinnerungsorte in der Region ist. Weiter heißt es in der Einladung der Stadt, man habe im letzten Jahr Kontakt zur Stadt Dresden aufgenommen, um sich „Anregungen für die Gedenkveranstaltung“ zu holen. Neben dem Oberbürgermeister war auch die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung an der Veranstaltung beteiligt.

Mit Neonazis diskutieren

Am Mittwochabend folgten rund 15 Personen der Einladung zur Diskussion. Unter ihnen auch drei stadtbekannte Neonazis. Als einige Besucher auf diesen Umstand hinwiesen und darauf aufmerksam machten, wer hier mit am Diskussionstisch sitze, wurden die Neonazis nicht von der Veranstaltung entfernt. Zeh berief sich auf demokratische Werte, welche auch die Anwesenheit der Neonazis rechtfertigten und kritisierte vielmehr die Entscheidung, nicht mit Neonazis diskutieren zu wollen. Ihm zur Seite stand Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.Auch Richter votierte für einen Verbleib der Neonazis bei der Diskussion, da man dies aushalten müsse, solange diese keine verfassungsfeindlichen Aussagen tätigen würden. Ein kleiner Teil der Besucher verließ daraufhin die Veranstaltung.

Bereits im vergangenen Jahr hatten die demokratischen Parteien im Stadtrat eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Diese war im Vorfeld zur Gedenkveranstaltung im April 2013 entstanden. Darin heißt es: „Wir wenden uns daher gegen eine Vereinnahmung des Gedenktages durch rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen. Die geistigen Erben des Nationalsozialismus nutzen den Gedenktag, um die Geschichte zu verfälschen, verhöhnen so die Opfer sowie das ehrliche Gedenken an sie.“ Wie diese Erklärung mit der gemeinsamen Diskussion mit Neonazis über das zukünftige Gedenken zusammen zu bringen ist, bleibt unklar. Die Mobile Beratung in Thüringen Für Demokratie – Gegen Rechtsextremismus (MOBIT) zeigt sich empört über das Verhalten der Veranstalter. „Es ist ein fatales Zeichen für die Zivilgesellschaft, wenn Neonazis als gleichberechtigte Gesprächspartner zum Thema ‚Erinnerungskultur‘ am Tisch willkommen sind“, sagte Katja Fiebiger von MOBIT. „Dass auf den Protest einiger eingeladener Gäste mit einem Verweis auf Demokratie reagiert wird, ist umso unverständlicher.“

Hilfe bei der Normalisierung

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Dr. Klaus Zeh beim städtischen Gedenken 2013

Die Sächsische Landeszentrale hatte vor kurzem bereits mit einem ähnlichen Vorgehen für einen Skandal gesorgt, als sie zu einer Podiumsdiskussion neben den demokratischen Parteien auch die NPD als gleichberechtigten Podiumsteilnehmer einlud. Der Grünen-Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn kritisierte Frank Richter  wegen seines Verhaltens. Jennerjahn warf Richter vor, er habe in einem Interview den Eindruck gemacht, „die NPD sei eine normale Partei unter anderen“, berichtete der MDR. Für das Vorgehen in Nordhausen hat auch der stellvertretende Leiter der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung, Peter Reif-Spirek, kein Verständnis. „Wir lehnen die Einbeziehung von extrem Rechten in Veranstaltungsformate der politischen Bildung ab“, sagte Reif-Spirek dem Störungsmelder. Für den Politikwissenschaftler ist die Nordhäuser Veranstaltungskonzeption und das Verhalten seines Kollegen völlig unverständlich: „Über Fragen der Gedenkkultur, also der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus, diskutiert man nicht mit Neonazis, die in der politischen Tradition der Täter stehen.“ Er verweist außerdem auf die rassistischen Plakate der NPD, mit welcher im vergangenen Jahr die Zufahrtsstraßen zur KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora plakatiert wurden. Die Gedenkstättenleitung hatte daraufhin Anzeige erstattet.

Auf Nachfrage von ZEIT ONLINE zu den Geschehnissen reagierte die Stadt Nordhausen am Freitagabend (nach der Erstveröffentlichung dieses Artikels) mit einer Stellungnahme des Oberbürgermeisters:

Verfassungsfeinde und Rechtsradikale sind keine Gesprächspartner

Nordhausen (psv) „Neonazis sind und waren keine Gesprächspartner, vor allem nicht in Nordhausen und natürlich nicht in Fragen der Gedenk-Kultur.“ Das hat jetzt Nordhausen Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeh klar gestellt.

Im Einladungsverteiler war auch der NPD-Stadtrat aufgeführt und wurde leider damit zu dieser Veranstaltung eingeladen. Der entsprechende Stadtrat ist allerdings zu Veranstaltung nicht erschienen. Diese Einladung war falsch! Geschah aber irrtümlich. Es ist absurd, jene einzuladen, die mehrfach die Gedenkkultur genutzt haben, um die Opfer für ihre Zwecke zu missbrauchen und zu instrumentalisieren.

Ich habe diese Einladung als Behördenleiter zu vertreten und tue dies auch. Die handelnden Mitarbeiter trifft keine Schuld. Sie haben mein volles Vertrauen.

Mit Blick auf die von ihm initiierte Veranstaltung zum Thema „Gedenkkultur in Nordhausen“ sagte Dr. Klaus Zeh: „Ich habe während des Treffens klar gestellt: Kommt es im Verlauf der Veranstaltung nur ansatzweise zu Äußerungen, die dem Grundgesetz widersprechen, die extremistisch sind, ausländerfeindlich, antisemtisch oder in irgendeiner Art und Weise die Opfer des Nationalsozialismus oder deren Andenken verunglimpfen, werde ich vom Hausrecht Gebrauch machen und die entsprechenden Personen von der Veranstaltung ausschließen. Dies habe ich auch im Gespräch mit jenen Vertretern des „Bündnis gegen Rechts“ klar gestellt, die die Veranstaltung verlassen hatten. Dass sie die Veranstaltung verlassen haben, habe ich bedauert.

Ich weise entschieden zurück, grenzwertige Äußerungen zugelassen zu haben.
Ich teilte und teile allerdings die Auffassung u.a. der beiden Stadträte Dr. Manfred Schröter und Gisela Hartmann – aufgrund ihrer Biografie, ihrer klaren antifaschistischen Einstellung und ihres aktiven Engagements in diesem Sinne über den Verdacht einer zu weit gehenden Toleranz erhaben -, dem Gespräch mit den anwesenden Jugendlichen nicht auszuweichen, sondern im Gegenteil den Diskurs, soweit inhaltlich vertretbar, zu führen. Und vor allem deren Fragen zu beantworten, sofern sie nicht einem provokativen Zwecke dienen.

Ich will Menschen- vor allem junge – nicht zu schnell den Verführern verloren geben.