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Antirassistische Solidaritätsdemonstration und Neonaziaufmarsch in Merseburg

 

Antirassistische Demonstration Merseburg 03-2014 1

In Reaktion auf die Solidaritätsdemonstration “Flüchtlinge bleiben! Rassismus aus den Köpfen treiben!” versammelten sich am Samstagvormittag in der Kreisstadt Merseburg 85 Personen zu einer Gegenveranstaltung, angemeldet von NPD-Mann Rolf Dietrich. Durch den Protest von etwa 500 Teilnehmern und einer Blockade der antirassistischen Demonstration musste der rechte Aufmarsch nach kurzer Zeit wieder umkehren.

In Folge der drei rassistischen Übergriffe auf Geflüchtete in den letzten zwei Wochen hatte das Merseburger Bündnis gegen Rechts zu einer Solidaritätsdemonstration aufgerufen. Diese richtete sich aber nicht nur gegen die rechte Gewalt, sondern auch gegen die „in Teilen rassistische und diskriminierende Gesetzgebung, Aufenthaltsbeschränkungen, zentrale Unterbringung, „Racial Profiling“ und das „Abschiebungsregime“. Die parallel dazu angemeldete Demonstration unter dem Motto „Gegen linke Hetze – Asylflut stoppen!“ kann dabei nur als Verhöhnung der Betroffenen rechter Gewalt und Provokation durch die Neonazis gesehen werden.

Unter lautstarkem Protest startet die Neonaziaufmarsch am Bahnhof  © D. Lima/ visual-change
Unter lautstarkem Protest startete der Neonaziaufmarsch am Bahnhof  © D. Lima/ visual-change

Am Samstagvormittag versammelten sich auf dem Bahnhofsvorplatz die Teilnehmer, die sich mit den Betroffenen der rassistischen Übergriffe solidarisierten. Die Demonstration begann mit einer Kundgebung und ersten Redebeiträgen von Landrat Frank Bannert (CDU) und den Anmeldern. Eine halbe Stunde später fanden sich die ersten Neonazis in unmittelbarer Nähe vor dem Bahnhof ein. Sie wurden dabei durch Hamburger Gitter und Einsatzfahrzeuge der Bereitschaftspolizei abgeschirmt. Nichtsdestotrotz kam es zu einem dokumentierten tätlichen Übergriff eines Neonazis gegen einen Antifaschisten, der daraufhin im Krankenhaus behandelt werden musste. Des Weiteren sollen unter den Teilnehmern auch die Tatverdächtigen der verübten Angriffe gegen Asylsuchende gewesen sein. Nachdem sich die 85 Vertreter „Freier Kameradschaften“ und „Freier Kräfte“ aus Sachsen-Anhalt und Thüringen in Aufmarschformation begeben hatten, begannen sie kurz nach 12 Uhr ihre Demonstration und skandierten Parolen gegen eine vermeintliche „Asylflut“ und gegen „Deutschenfeindlichkeit“. Ihre Unterstellungen bezüglich einer „Ausländerkriminalität“ und „Überfremdung“ konnten sie ab dem Bahnhofsvorplatz unwidersprochen durch leere Gassen in der Merseburger Innenstadt verbreiten. Eine halbe Stunde später erreichte der rechte Aufmarsch die Kreuzung Apothekerstraße/ Burgstraße. Erst infolge von Hinweisen durch anwesende Beobachter stellten die Polizei und das Ordnungsamt fest, dass sich die Neonazis direkt auf dem Grundstück der alten Synagoge befanden. Das jüdische Gotteshaus befand sich bis zum 16. Jahrhundert an diesem Ort.

Kundgebung der Neonazis an dem ehemaligen Standort einer Synagoge  © D. Lima/ visual-chang
Kundgebung der Neonazis an dem ehemaligen Standort einer Synagoge  © D. Lima/ visual-change

Nach zwei Redebeiträgen wurde der Versammlungsleitung durch die Polizei mitgeteilt, dass deren ursprünglich geplante Route durch die Solidaritätsdemonstration blockiert sei. Dies sorgte bei den Neonazis für Kritik am Dulden eines, in ihren Augen, „strafbaren Zustandes“ durch die Polizei. Sie wollen notfalls bis 18 Uhr auf dem jetzigen Kundgebungspunkt bleiben. Schon aber nach 20 Minuten der Diskussion und der Debatte unter den Teilnehmern, ließ sich der Sprecher Michael Fischer auf das Angebot des Ordnungsamtes ein, einen Teil der bisherigen Route zurückzulaufen und danach einen kürzeren Weg zum Bahnhof zu nehmen. Die rechte Formation ging wieder Parolen rufend in Richtung ihres Startpunktes. Nach kurzer Zeit wurden sie abermals gestoppt, als wohl Gegendemonstrierende die neue Route blockieren wollten. Diese Pause nutzte der NPD-Barde und Kommunalpolitiker Hans Püschel zu einem spontanen Redebeitrag, welcher die „Ochsen-Haftigkeit“ der aktuellen deutschen Politik darzustellen versuchte. Im Anschluss daran setzten die beleidigenden und diskriminierenden Ausrufe durch die Neonazis wieder ein und verebbten erst am Bahnhof zum letzten Redebeitrag, in dem vom „Nationalen Sozialismus“ gesprochen und die Mär der „Überfremdung“ erneut bedient wurde.

Nachdem die rechte Demonstration beendet worden war, wurden die Teilnehmer des Solidaritätsbündnisses zu Gegendemonstrationen bezüglich des geplanten Aufmarsches rechter Kameradschaften am 21. Juni in Merseburg aufgerufen.

Auch einige Geflüchtete aus dem Lager Krumpa beteiligten sich an der antirassistischen Demonstration  © D. Lima/ visual-change
Auch Geflüchtete aus dem Lager Krumpa beteiligten sich an der Demonstration  © D. Lima/ visual-change

Neben den rassistischen Aktivitäten stand die Lebenssituation Geflüchteter im Mittelpunkt der Solidaritätsdemonstration. Bereits 2013 hatte es zwei Demonstrationen in Merseburg gegeben, die die Abschaffung des Flüchtlingslagers in Krumpa, welches sich 15 Kilometer von Merseburg entfernt befindet, und eine selbstbestimmte Unterbringung in Merseburg forderten. Besondere Kritik wurde dabei an der Betreiberfirma Betreuungs- u. Integrationshilfeverein e.V. (BIH) geäußert. Nach den Veränderungen seit den Protesten gefragt, antwortete der Sprecher der Saale-Landkreis-Refugee-Association (SARA), dass es zwar gewisse Verbesserungen in den sanitären Einrichtungen gäbe, die wesentlichen Kritikpunkte aber weiterhin bestünden. So müssten die Bewohner in Krumpa zu dritt oder zu viert in einem Zimmer leben und sollten dafür 160 € Miete pro Person mit zuzüglich 38 € Elektrizitätskosten bezahlen. Die auf der BIH-Homepage beworbene Ausstattung mit Fahrrädern stellt sich auf Nachfrage zudem als Unwahrheit dar. Die Fahrräder seien vielmehr weggeschlossen und könnten nicht von den Asylsuchenden benutzt werden. Ebenso finden die Deutschkurse nur einmal pro Woche für eine Stunde in Krumpa statt. Ein Lehrer bietet diese Unterrichtsstunde für die in Krumpa lebenden 280 Personen an. Weitere Kritik wird durch den SARA-Vertreter bezüglich der abgeschlossenen Fluchttüren und der mangelnden medizinischen Versorgung vor Ort geäußert. Angesichts der jüngsten Übergriffe haben die Asylsuchenden nach eigener Aussage Angst, sich allein in Merseburg zu bewegen. Um immer als Gruppe von Krumpa in die Kreisstadt zu gelangen, seien die Fahrtkosten zu hoch.

Mehr als 500 Menschen beteiligten sich an den antirassistischen Protesten in Merseburg © D. Lima/ visual-change
Mehr als 500 Menschen nahmen insgesamt an den antirassistischen Protesten teil  © D. Lima/ visual-change

Auch wenn es ein positives Zeichen ist, dass sich am Sonnabend viele Menschen an der antirassistischen Demonstration beteiligt haben, sollte das selbstbewusste Auftreten der anwesenden Neonazis zu denken geben, denn auch nach der medialen Aufmerksamkeit dieser Tage erscheint couragiertes Handeln in Merseburg und Umgebung weiterhin unbedingt notwendig.

Nachtrag:
Wie die Mitteldeutsche Zeitung berichtete, kam es bereits am Nachmittag des 1. März erneut zu rassistischen Beleidigungen gegenüber einem 45 Jahre alte Mann aus Sierra Leone am Merseburger Bahnhof durch zwei Personen. Umstehende Passanten griffen ein und verteidigten den Betroffenen. Die beiden Täter wurden aber nach der Ankunft der Polizei nicht sofort festgehalten, sondern konnten den Ort des Geschehnisses verlassen.