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Der 1. Mai in Rostock

 

1. Mai 2014 Rostock, Foto: H. Schlechtenberg
Rostocker Neonazis am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: H. Schlechtenberg

Nur knapp 350 Neonazis konnte Anmelder David Petereit (NPD) am 1. Mai dazu bewegen in Rostock aufzumarschieren, deutlich weniger als befürchtet. Gegendemonstranten zwangen die NPD mit Blockaden erst in ein anderes Stadtviertel, verzögerten den Aufmarsch und die Abreise um mehrere Stunden und erreichten schließlich den vorzeitigen Abbruch der Demonstration. Voraus gegangen war ein juristisches Tauziehen um die Gegenproteste.

David Petereit (NPD) am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Presseservice-Rathenow
David Petereit (NPD) am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Presseservice-Rathenow

Kurze Rückblende: Rostock im 1. Mai 2010. Bis zu 600 Neonazis zogen auf einer Ausweichstrecke durch den Stadtteil Groß Klein. Sie feierten die Demo als vollen Erfolg, und dies nicht zu Unrecht. Die großzügige Route führte durch Plattenbauten, in denen sie nahezu ungestört von Protest demonstrieren konnten, denn die Polizei hatte das Viertel vollständig abgeriegelt und niemanden hinein gelassen.

So sollte es dieses Jahr wieder sein. Zwar plante Petereit ursprünglich eine Wegstrecke durch Dierkow und Toitenwinkel, verlegte sie aber wegen einer Vielzahl an angemeldeten Gegenkundgebungen nach Groß Klein. Vorläufig kam es jedoch anders. Mit 350 blieb die Anzahl der rechten Teilnehmer deutlich unter den befürchteten 500 – 600 Neonazis. Und anders als 2010 folgten diesmal 2000 Menschen dem Aufruf zweier Bündnisse, die Neonazis zu blockieren und direkt an deren Route zu protestieren. Ab dem späten Vormittag blockierten sie die S-Bahnhöfe Lichtenhagen und Lütten Klein. Unbekannte setzten Güterwaggons auf der S-Bahnstrecke in Brand, so dass der Bahnverkehr eingestellt wurde. Spätestens da war klar: In Groß Klein würden heute keine Nazis laufen.

Ausweichstrecke im Nordosten

1. Mai 2014 Rostock, Foto: Sören Kohlhuber
1. Mai 2014 Rostock, Foto: Sören Kohlhuber

Die verhandelten unterdessen am Hauptbahnhof mit der Polizei über eine Alternativroute, die sie dann in Dierkow bekamen. Es sah aus, als ob die alte Route auch die neue sein würde. In Straßenbahnen gepfercht wurden die Rassisten in den Nordosten Rostocks gefahren. In Dierkow angekommen durften sie eine Straße hinab laufen, die links von Straßenbahngleisen, rechts von kleinen Einfamilienhäuschen aus DDR-Zeiten gesäumt ist. Kein Plattenbau und kein wohlwollendes Publikum. Dabei wurden sie immer wieder von kleinen Sitzblockaden aufgehalten. An der Bundesstraße B 105, die hier Rövershäger Chaussee heißt, angekommen, durften sie nicht in Richtung des dicht bebauten Wohnviertels abbiegen, sondern nur in Richtung Innenstadt. Ein Straßenabschnitt, der durch grüne Wiesen führt. Wieder kein Publikum.

Der Großteil ihrer Gegner war in der Zwischenzeit an den Polizeiabsperrungen angekommen, mit denen Dierkow abgeriegelt worden war. Durch Blockaden und unfreiwillig durch die Polizei unterstützt brach ein Verkehrschaos aus, dessen Auswirkungen in der ganzen Stadt zu spüren waren und die Einsatzkräfte zusätzlich unter Druck setzte. Der Weg der Neonazis zurück zum Bahnhof war versperrt.

Wolfram Nahrath am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Presseservice-Rathenow
Wolfram Nahrath am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Presseservice-Rathenow

Die mehrstündige Wartezeit nutzten diese für mehrere Redebeiträge. Hervorzuheben ist hier die Rede Wolfram Nahraths. Der Rechtsanwalt war bis zu ihrem Verbot Bundesführer der Wiking Jugend (WJ), und später bei der mittlerweile ebenfalls verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) aktiv. Er bezeichnete die militärische Niederlage Deutschlands in beiden Weltkriegen als „Aderlass der Besten“ und Teil eines Plans zur Vernichtung der Deutschen, der heute mit anderen Mitteln, nämlich der Vergiftung eines „Jahrtausende“ alten deutschen „Blutbildes“ fortgeführt würde. Diejenigen, denen das „Volk der Deutschen“ am Herzen läge, müssten angesichts von angeblichen Bedrohungen wie Einwanderung von der „Heiligkeit“ des Volkes sprechen. Eine Rede, die sich ausschließlich an die Szene richtete, dort aber nicht auf ungeteilte Aufmerksamkeit stieß. Einige Neonazis spielten nebenbei Fußball, Michael Andrejewski (NPD) las lieber ein Buch.

Thomas „Steiner“ Wulff nimmt an NPD-Demo teil

Thomas Wulff (links) mit Michael Grewe (NPD) am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Sören Kohlhuber
Thomas Wulff (links) mit Michael Grewe (NPD) am 1. Mai 2014 in Rostock, Foto: Sören Kohlhuber

Unter den weiteren Teilnehmern des Aufmarsches war bis auf Udo Pastörs die gesamte NPD-Landtagsriege. Auch der vorbestrafte Michael Grewe, Frank Klawitter und Martin Götze waren anwesend. Aus Berlin war NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke angereist. Spannend ist die Teilnahme von Thomas „Steiner“ Wulff. Der Ex-Vorsitzende des Hamburger NPD-Landesverbands und bekennende „Nationalsozialist“ soll derzeit nach dem Willen des Bundesvorsitzenden Udo Pastörs aus der NPD ausgeschlossen werden. In einem Brief, abgeschickt an Hitlers Geburtstag am 20. April, wehrte er sich gegen die „weitere Entnazifizierung der NPD“. Im letzten Jahr konnte ein Auftritt Wulffs noch von der Parteiführung verhindert werden. Man könnte es als Provokation Wulffs werten, dass er ausgerechnet in Rostock mitmarschiert, während Pastörs, der auch Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern ist, auf einer NPD-Demo in Duisburg spricht.

Übergriffe und Auseinandersetzungen am Bahnhof

Nach mehrstündiger Wartezeit vor der Vorpommern-Brücke löste Petereit die Demo überraschend auf, woraufhin einige Neonazis sofort begannen eine Gruppe Nazigegner zu bedrängen. Nach Angaben von anwesenden Journalisten griff die Polizei erst auf Druck durch die Pressevertreter ein. Schließlich brachten die Einsatzkräfte die Demonstrationsteilnehmer im Wanderkessel zum einzigen erreichbaren Bahnhof – und mussten feststellen, dass dort Feiertags kein Zug hält. Daraufhin unternahmen die Neonazis einen Ausbruchsversuch, wurden jedoch wieder eingefangen. Auch der Versuch eine Spontandemonstration zum Hauptbahnhof anzumelden schlug fehl. Zur Abreise organisierte die Polizei einen Sonderzug, der die frustrierten Nazis zum Hauptbahnhof brachte. Dort kam es zu Übergriffen und hässlichen Szenen, da die plötzlich völlig überforderte Polizei die Nazis nicht von ebenfalls abreisenden Antifaschisten trennte. Es soll Verletzte gegeben haben. Schließlich wurden die Nazis teilweise zusammen mit Gegendemonstranten in die Züge gesetzt. Erst nach 21 Uhr waren die letzten angereisten Neonazis abgefahren.