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Gefährliche Netzwerke – Neonazis in Burschenschaften

 

Burschenschafter mit schwarz-weiß-rot als Verbindungsfarbe © Timo Müller

Das Verbot des Kameradschafts-Netzwerks „Freies Netz Süd“ (FNS) und der NSU- Prozess werfen ein neues Licht auf einen bisher wenig beachteten Trend: immer mehr Rechtsextreme haben nicht nur Kontakte zu Burschenschaften, sondern sind zum Teil selbst Mitglied in Burschenschaften. Ein FNS-Aktivist ist beispielsweise auch Mitglied einer bayerischen Burschenschaft. Der Zeuge im NSU-Prozess und Chef der NSU-Vorstufe Thüringer Heimatschutz, Tino Brandt, bewegte sich im Umfeld einer Burschenschaft. Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Gansel ist „Alter Herr“ der Burschenschaft Dresdensia-Rugia zu Gießen.

Von Christian J. Becker

Die Bundesregierung sieht nach eigener Aussage bislang keine Gefahr und nur „vereinzelte Kontakte“ von extrem Rechten und Burschenschaften. Experten sehen das anders. Die Thüringer Abgeordnete Katharina König zeigt sich im Gespräch mit dem Störungsmelder „irritiert“ über das „immer wieder nicht vorhandene Wissen zu Burschenschaften bei Sicherheitsbehörden und Politik“. Ihr Urteil“: „Die Gefahr der Unterwanderung wird nicht erkannt“. Sie fordert „mehr Sensibilität im Vorfeld, mehr Aufklärung und mehr Thematisierung der Gefahr durch rechte Burschenschaften und neonazistische Kameradschaften.“ Der Politologe Dr. Bernhard Weidinger von der Uni Wien hat gerade eine Studie über extrem Rechte in Burschenschaften abgeschlossen. Er sieht als mögliche Gefahren, dass „Burschenschaften Neonazis mitunter in Positionen bringen, in denen sie gesellschaftlich eher Gehör für ihre Anliegen finden, als dies bei proletarischen Neonazigruppierungen der Fall wäre.“ Auf diesem diesem Weg könnten „die Normalisierung und die Einspeisung rechtsextremer Ideologiebestandteile in den öffentlichen Diskurs vorangetrieben werden.“

Seit 90ern immer mehr extrem rechte Burschen

Mehrfach vorbestraft: Thorsten Heise, Foto: Kai Budler
Früher Burschenschafter, heute im NPD-Vorstand: Neonazi Thorsten Heise, Foto: Kai Budler

Bereits in den 90er Jahren gab es eine erste Welle von Neonazis in Burschenschaften. So war der langjährige Kameradschaftsführer und NPD-Vorstandsmitglied Thorsten Heise auch Burschenschafter bei der pennalen Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg. Norbert Weidner, ehemaliger Kader der als Partei getarnten Kameradschaft Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), wurde nach dem Verbot der Gruppe Burschenschafter bei den Raczeks in Bonn und machte bis 2012  Karriere im Verband Deutsche Burschenschaft. Sein Verbandsbruder Rigolf Hennig von Rugia Greifswald führt den deutschen Ableger der extrem rechten „Europäischen Aktion“, vor der der Innenminister warnt.

In den 2000er Jahren kamen weitere Rechtsextreme in die Burschenschaften. Das Vorstandsmitglied der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) Michael Schäfer ist Burschenschafter in Sachsen-Anhalt. Der NPD-Chef in Jena, Rick Wedow, ist Mitglied einer thüringischen Burschenschaft. Pierre Pauly war Aktivist der Kameradschaft München und DB-Burschenschafter bei Danubia München. In Sachsen ist ein Kameradschafter der kürzlich verbotenen „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ auch Mitglied einer Burschenschaft. In Hessen ist ein Kameradschafter des „Nationalen Widerstandes Unna“ ebenfalls Burschenschafter. Ein Aktivist der Lumdataler Naziszene ist Mitglied einer vom Verfassungsschutz beobachteten hessischen Burschenschaft. Ein ehemaliger rheinischer Burschenschafter stand im Aktionsbüro Mittelrhein-Prozess in Koblenz mit über zwanzig Neonazis vor Gericht. Ein niedersächsischer Burschenschafter versorgt die Kameraden über seinen CD-Versand mit Rechtsrock-CDs. Ein bayerischer Burschenschafter organisierte NPD-Demos zum 1. Mai.

Masterplan für Rechtsruck

Burschenschaften bieten extrem Rechten interessante Infrastrukturen und haben eine „Schutzraumfunktion“, sagt Politologe Weidinger. Er nennt als Vorteile das Verbindungshaus als Begegnungs- und Veranstaltungsstätte sowie als Wohnraum, die von den Alten Herren zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel, Kontakte zu anderen Verbindungen und rechten Organisationen, Abgeschlossenheit nach außen, relative Salonfähigkeit der Verbindungen als akademische Vereinigungen.
Das Einfallen von extrem Rechten in Burschenschaften ab den 90ern war kein Zufall. Der ehemalige NPD-Chefideologe und Burschenschafter Jürgen Schwab veröffentlichte 1996 in der rechten Zeitschrift „Staatsbriefe“ einen Aufruf an Rechte. „Nationale Oppositionelle“ sollten Burschenschaften und deren Veranstaltungen für sich nutzen. In „nahezu allen DB- Verbindungen“ wären „Verbandsbrüder anzutreffen, die in irgendeiner Form national oppositionell“ seien. Hintergrund waren Verbote von rechtsextremen Organisationen wie Wikingjugend oder FAP in den 90ern. Darauf suchten offenbar viele Rechtsextreme neue Strukturen. Einige Burschenschaften nahmen sie mit offenen Armen auf.

Entwicklung schwappte aus Österreich nach Deutschland 

Vorreiter für dieses Szenario war die rechte Szene in Österreich. Schon in den 80ern organisierte sich die rechte Szene in der Kameradschaftsorganisation „Volkstreue Außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) und parallel oft auch in Studentenverbindungen, besonders Burschenschaften. VAPO-Chef war der momentan inhaftierte ex-Verbindungsstudent Gottfried Küssel. „Die Burschenschaften in Österreich stehen traditionell rechts vom Mainstream der bundesdeutschen Bünde, was personelle und ideologische Überschneidungen mit dem organisierten Neonazismus zwangsläufig macht“, sagt Politologe Weidinger.

Zivilgesellschaft wehrt sich

Auf den Rechtsruck reagieren Landespolitik und Zivilgesellschaft. In Eisenach darf die Deutsche Burschaft nicht mehr die Wartburg für ihre Treffen nutzen. In Wien protestieren regelmäßig tausende Antifaschisten gegen die ganz rechten DB-Burschen. In Marburg wehrt sich erstmals auch der bürgerliche Mittelstand gegen die rechten Burschen: der Veranstalter des traditionellen Bürgerfestes „Marktfrühschoppen“ verkündete vor kurzem, dass er der Deutschen Burschenschaft ab 2015 zum ersten Mal seit über 50 Jahren die Teilnahme am Fest verweigere. In seiner Begründung verweist der Bürgerverein auf mehrere DB-Bünde, die wegen rechten Personals vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Experten sind gespannt, wie lange die Bundesregierung die realitätsferne Argumentationslinie, es gäbe nur „vereinzelte Kontakte“ zwischen extrem Rechten und Burschenschaften noch aufrecht erhalten kann. Die Liste von Rechtsextremen als Burschenschafter ließe sich mit vielen Beispielen aus Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen, Hessen, Hamburg, Bayern und anderen Bundesländern fortführen.