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Dresden: Räumung des Refugee Struggle Protestcamps nach Angriffen von PEGIDA

 

© Sylvio Hoffmann
© Sylvio Hoffmann

Das „Refugee Struggle Camp“, das seit Samstag auf dem Dresdner Theaterplatz stand, wurde heute geräumt. Um acht Uhr morgens verkündete die Polizei, was bereits gestern angekündigt und nur eine Frage der Zeit war. Ein Gericht hat nun darüber entschieden, dass die Versammlung als Kundgebung zwar genehmigt, das Schlafen in Zelten, die Dixi-Toiletten und das Equipment für Küche, Informationstisch und weiteres jedoch abtransportiert werden müsse. Damit verschwindet ein nur kurz sichtbares Zeichen der Solidarität mit Geflüchteten, das Aktivisten als Antwort auf Pegida und staatliche Asylpolitik aufgebaut haben.

von Sarah Ulrich (Text ) und  Sylvio Hoffmann (Bilder)

Am vergangenen Samstag kamen bei einer Demonstration zwischen 3500 (Polizeiangaben) und 5000 (Veranstalterangaben) Menschen zusammen, um unter dem Motto „Solidarität mit Geflüchteten“ zu demonstrieren. Im Anschluss an die Demonstration besetzten etwa 50 Aktivisten den Platz vor der Semperoper. Zelte wurden aufgebaut, eine Küche eingerichtet, Infozettel ausgelegt, eine Kommunikationsstruktur geschaffen. Viele Unterstützer kamen aus verschiedenen Städten, um mit den „Non-citizens“, den „Nicht-Bürgern“, zu protestieren. Die Legalität des Camps wurde verhandelt, die Polizeipräsenz war zunächst noch sehr marginal. „Wir haben so viele Probleme mit dem Asylprozess. Der ganze Prozess besteht darin, ewig auf eine Antwort zu warten, die dein komplettes Leben verändern kann. Die Menschen verlieren ihre Hoffnungen. Dagegen wollen wir protestieren“, erklärt eine Aktivistin. „Es ist besser auf der Straße zu sein und für etwas zu kämpfen als zurück in die Lager, in denen wir isoliert wohnen, zu gehen.“

Das sehen verschiedene Politiker anders. Von Seiten des CDU-Generalsekretärs Michael Kretschmer heißt es, man bringe in Sachsen „Flüchtlinge ordentlich in Häusern und Wohnungen unter.“ Von der Kritik an maroden Unterkünften, die viel zu überfüllt und isoliert an den Stadträndern oder in Dörfern sind, in denen es kaum soziale Betreuung gibt, will Kretschmer nichts wissen.

Und wie nicht anders zu erwarten reagiert auch die islamfeindliche Bewegung PEGIDA schnell auf die Besetzung. Ein Facebook-Post weist auf die vor einem Jahr stattgefundene Besetzung und gewaltvolle Räumung des Oranienplatzes in Berlin hin. Die Kommentare dazu lassen schon am Samstag vermuten, dass für das Camp in Dresden eine Gefahr von Seiten jener, denen das Camp ein Dorn im Auge ist, ausgeht. Doch die erste Nacht bleibt ruhig. Strom und Wasser bekommt das Camp von der Semperoper, auch eine Internetverbindung steht. Verhandlungen mit Ordnungsamt und Polizei laufen. Auf einer Pressekonferenz erklären die Non-Citizens, dass sie das Camp einen Monat aufrechterhalten wollen.

Doch der friedliche Protest verläuft nicht lange so reibungslos. Am Sonntagnachmittag beginnen Dynamo Dresden Hooligans das Camp anzugreifen. Gewaltvolle Angriffe ziehen sich durch die Nacht hindurch, immer wieder abgewehrt von Unterstützern des Camps oder der Polizei. Die Situation im Camp ist nervös, die Aktivisten rufen auf Twitter dazu auf, dass sie Unterstützung brauchen. Das Ordnungsamt fordert die Räumung des Camps, die Besetzenden legen Rechtsmittel dagegen ein. Plötzlich geht der Strom aus. Die Semperoper hat Elektrizität und Wasser gekappt, vermutlich auf Druck des Ordnungsamtes hin. Wie eine sarkastische Botschaft wehen die Flaggen der Semperoper über dem Camp: „Augen auf. Herzen auf. Türen auf.“

Dennoch bleibt das Camp bestehen. Am Montag spannt sich die Stimmung wieder an. Denn Montag ist in Dresden PEGIDA-Tag, und diese wollen sich nur wenige Meter entfernt treffen. Das Ordnungsamt fordert die Räumung des Camps bis 20.00 Uhr, erneut werden Rechtsmittel dagegen eingelegt. Das wöchentlich stattfindende „Postplatzkonzert“ gegen Pegida wird auf den Theaterplatz verlegt, hunderte Menschen finden sich am Abend vor der Semperoper ein. Sie sind entspannt, tanzen mit Tee und Suppe auf die Lieder der Bands. Zwei Non-Citizens sprechen auf der Bühne. Gleichzeitig „spazieren“ etwa 6000 PEGIDA-Anhänger durch die Stadt, nur wenige hundert Meter vom Camp entfernt. Dennoch scheint die Lage des Camps unproblematisch. Das Asylum Seekers Movement schätzt die Zahl der Unterstützenden am Abend auf 1000 Menschen.

Doch während das Konzert auf dem Theaterplatz zu Ende geht, ist auch der PEGIDA Marsch vorbei. Laute Rufe lassen die Menschen aufschrecken. Etwa 150 PEGIDA-Anhänger greifen von allen Seiten das Camp an. Die Situation eskaliert, als Feuerwerkskörper von Seiten der Angreifer auf das Camp geworfen werden. Schnell rücken Polizeikräfte an und versuchen sie vom Camp fernzuhalten. Die Unterstützenden bilden eine Kette rund um die Zelte. Auf den Seiten der Angreifer sind vor allem Hooligans und Neonazis zu sehen. Lauthals skandieren sie neben Räumungsaufforderungen auch bekannte Naziparolen wie „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“ und rassistische Beleidigungen. Immer wieder hört man laute Explosionen von Böllern. Vom Camp aus wird die seit einigen Tagen vorherrschende Botschaft gerufen: „Say it loud, say it clear. Refugees are Welcome here.“

Die Situation dauert etwa eine halbe Stunde, immer wieder versuchen Kleingruppen durch Lücken ins Camp zu kommen. Die Polizei fordert die PEGIDA-Anhänger mehrfach auf, den Platz zu verlassen und filmt die Angreifer ebenso wie die Beschützer des Camps. Schließlich verschwinden die meisten, vereinzelte Personengruppen laufen jedoch noch weiter um das Camp herum. Angriffe gibt es keine mehr.

Dienstagmorgen um halb neun kommt dann die ernüchternde Botschaft: das Camp muss geräumt werden, man wartet nicht mehr auf den richterlichen Beschluss. Polizeiwagen fahren heran, sogar eine Hundestaffel hat man mitgebracht. Die Einsatzkräfte beginnen, die Zelte abzubauen. Vom Camp geht kein Widerstand aus, stattdessen bauen sie nun selbst ab. Meter für Meter wird eingepackt. Ein Zelt nach dem anderen. Schlafsäcke werden zusammengerollt, Paletten gestapelt. Dennoch ist für die Besetzenden klar, dass sie bleiben. „Wir packen zusammen, aber wir bleiben hier bis zum 25.03., das ist unser Recht“, verkünden sie via Twitter. Verboten werden ihnen nicht nur die Zelte und Toiletten, sondern auch Stühle. Die Semperoper lässt die Aktivisten nicht auf den Treppenstufen sitzen.

Wie lange es die Non-Citizens und ihre Unterstützer noch aushalten, wird sich zeigen. Ohne Zelte, Kochmöglichkeiten und Toiletten stellt sich die Lage jedoch als äußerst prekär dar. Die Aktivisten sehen in der Räumung durch die Polizei eine Kontinuität, die sich durch PEGIDA aufgebaut hat. Sie werfen ihnen vor, dass zwar Platz für PEGIDA und ihr „rassistisches Gedankengut“ sei, nicht jedoch für „Menschen die Rassismus und Diskriminierung seitens des Staates“ benennen. Auf Twitter verkünden sie: „Die Polizei bringt zu Ende, was der wütende Nazimob gestern forderte.“