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Das Problem heißt Rassismus

 

Teilnehmer einer NPD-Demonstration gegen eine Flüchtlingsunterkunft in Dresden © dpa

Der Anruf eines Bekannten war nur kurz „Die haben jetzt das Haus angezündet“. Mehr war nicht nötig in diesen Tagen im August 1992. Das Haus stand in Rostock-Lichtenhagen und „die“ waren ein Mob aus Neonazis, Rassisten und klatschenden Bürgern. Aus Schlagworten waren Brandsätze geworden, die den vietnamesischen Bewohnern des Sonnenblumenhauses das Leben gekostet hätten, wenn sie sich nicht selbst aus dem Haus befreit hätten.

Auch mehr als 20 Jahre später werden Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland wieder angegriffen und in Brand gesetzt, allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres zählten die Behörden so viele Angriffe wie im gesamten Vorjahr. Ein gegenläufiger Trend ist nicht in Sicht. Die Rassisten werden in den Medien als „Asylgegner“ verharmlost und unterstützen offen auftretende Neonazis bei ihren gewalttätigen Auftritten vor Unterkünften. Häuser, in denen Unterkünfte entstehen sollen, werden kurzerhand angezündet, nur durch Zufall ist bislang niemand umgekommen. Dass aber auch Todesopfer in Kauf genommen werden, zeigt die Brandstiftung an einer Unterkunft in Brandenburg in der Nacht zum 26. Juli 2015, in der eine vierköpfige Familie schlief. Auch die Unterstützer trifft es – wie den Freitaler Kommunalpolitiker Michael Richter, der sich vor Ort für Flüchtlinge einsetzt. Erst jüngst wurde sein Auto zum Ziel eines Sprengstoffanschlags.

Analog zu den rassistischen Pogromen Anfang der 1990er Jahre glauben die Täter offenbar, mit ihren rassistischen Ausschreitungen die Politik zum Handeln bewegen zu können. Nach den Pogromen in Rostock, Hoyerswerda und anderswo wurde 1993 das Asylrecht zum Großteil außer Kraft gesetzt, aktuell wurden die Einreisekriterien für Asylbewerber drastisch verschärft. Die Angreifer und Brandstifter sehen sich in ihrer Vorstellung bestätigt, sie träten als Vollstrecker der schweigenden Mehrheit auf, ohne dass damit ein Ende der rassistischen Taten in Sicht wäre.

Das „Überfremdungs“-Geschrei ist freilich substanzloses Gefasel, wie ein Blick nach Sachsen zeigt. In dem Bundesland, das sich zurzeit zum bundesweiten Zentrum der Angriffe aufschwingt, beträgt der Anteil von Menschen mit einer Migrationsgeschichte an der Bevölkerung 2,8%. Nur etwa 2,3% sind es in Thüringen, wo die Zahl der extrem rechten Straftaten ebenfalls deutlich angestiegen ist Die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte im Freistaat hat sich im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast vervierfacht.

Parallel dazu befeuern Politiker nicht nur mit den entsprechenden Gesetzesänderungen die Mobilmachung gegen Flüchtlinge, wenn etwa Horst Seehofer mit seinem Gerede von einem „massenhaften Asylmissbrauch“ das Feuerzeug an die Lunte der Brandsätze hält. Dazu gehört auch die Forderung des hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU), das „Taschengeld“ für Asylbewerber zu streichen. Und statt frühzeitig klare Worte gegen den Rassismus zu finden, plädierte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich lieber für einen Dialog mit Pegida und erklärte, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Doch auch bei den wenigen, die die Angriffe öffentlich kritisierten, bleibt eine konkrete Benennung aus: bei den Attacken handelt es sich um rassistisch motivierten Terrorismus. Dabei sind Politiker oft selbst beteiligt am Entstehen rassistischer Feindbilder, die die Gewalt nähren. Das Institut für Menschenrechte in Berlin mahnt dabei: „Debattenbeiträge, die Menschen vom Westbalkan mit dem Schlagwort ‚Asylmissbrauch‘ in Zusammenhang bringen, missachten das individuelle Recht auf Asyl. Wesentlicher Bestandteil dieses Rechts ist, dass jeder Mensch Zugang zu einem Asylverfahren hat, in dem unvoreingenommen geprüft wird, ob die Voraussetzungen für Schutz vorliegen. Wer einen Asylantrag stellt, übt dieses Recht aus, er missbraucht es nicht. Gruppen von Menschen aufgrund ihrer Herkunft unter den Pauschalverdacht zu stellen, sie würden Rechte missbrauchen, ist in der Rhetorik diskriminierend, populistisch und gefährlich. Auch in Ländern des Westbalkans kommt es zu schwerwiegenden Gefährdungslagen für einzelne Menschen, die ein Recht auf Schutz begründen können“.

Und auch die Medien haben in den vergangenen 20 Jahren offenbar nichts gelernt, denn wieder einmal hantieren sie mit Angstmetaphern wie dem „Das Boot ist voll“-Bild. Hatte Anfang der 1990er Jahre noch „Der Spiegel“ sein Titelbild mit dem Boot-Motiv geschmückt, verwendet es im Dezember 2014 das selbst ernannte Magazin für politische Kultur „Cicero“. Begriffe wie „Der Ansturm“ oder „Flüchtlingsströme“ schüren erst Ressentiments gegen Flüchtlinge und Migranten.

Es ist wie bei einem Revival der 1990er Jahre, wie ein Blick in das 1992 erschiene Buch „BrandSätze. Rassismus im Alltag“ vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung zeigt. Im Vorwort zur vierten Auflage schreibt Siegfried Jäger: „Parallel zur Abschottungspolitik in Bund und Ländern zeichnen die meisten Medien unverändert das Bild eines Landes, das nicht in der Lage ist, Einwanderer aufzunehmen, ohne den Wohlstand und die Sicherheit seiner Bürger zu gefährden. Statt sich darum zu bemühen, mit Einwanderung verbundene Schwierigkeiten durch politische und soziale Integration abzumildern, wird weiterhin eine Politik betrieben, die diese Schwierigkeiten verschärft: Eskalation statt De-Eskalation“.

Wieder einmal läutet die Stunde der „kleinen Leute“, die 2015 mit ihrem Sarrazin auf dem Nachttisch und der AfD als Blaupause endlich mal wieder sagen dürfen, was an den Stammtischen der Republik ohnehin seit Jahren die Runde macht. Dass aber auch Bildung und Besitz nicht vor Rassismus schützt, zeigen Beispiele in Tegernsee und Hamburg. Der Bürgermeister des bayrischen Ortes mit seiner wohlhabenden Bevölkerung erhält Drohbriefe, seitdem dort 21 Asylbewerber untergebracht wurden, im hanseatischen Bezirk Harvestehude verhinderten aufgebrachte Bildungsbürger den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in ihrem Stadtteil. Zu gerne wird manchmal vergessen, dass der rassistische Pöbel eben auch mal Schlips und Prada trägt. Rückenwind erhalten sie von Rechtspopulisten wie der rassistischen und islamfeindlichen „Pegida“-Bewegung. Von Beginn an habe Pegida das demokratische System infrage gestellt und Flüchtlinge in nützliche und unnütze Gruppen eingeteilt, sagt der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick. Sie können sich dabei auf rund 40% der Bevölkerung stützen, die meinen, die meisten Asylbewerber würden in ihrer Heimat gar nicht verfolgt. Pegida habe mit äußerst aggressiven Parolen zum Handeln aufgerufen und extrem rechten Grupperungen erst „einen Platz zum Mitlaufen“ gegeben, sagt Zick. Er warnt angesichts der aktuellen Angriffe inzwischen vor einer neuen extrem rechten Terrorgefahr.

Der Terror der frühen 1990er Jahre hatte Tatorte wie Hoyerswerda, Hünxe, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, wo die Täter aufgrund des öffentlichen Diskurses glaubten, Rückhalt in der Bevölkerung zu haben. Verständnis für rassistische Propaganda aufzubringen oder gar in die Hetze einzustimmen, bestärkt die rechten Wutbürger erst. In den 1990er Jahren waren brennende Flüchtlingsheime und Todesopfer rassistischer Gewalt die Folgen. Statt daraus Lehren zu ziehen, droht momentan eine Rückkehr in diese Zustände und ein Rückfall in die Barbarei. Dabei darf es nicht um den möglichen Schaden für das Ansehen Deutschlands in der Welt gehen, den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) anhand der Pegida-Aufmärsche befürchtete. Es geht um die Selbstverständlichkeit, Flüchtlinge aufzunehmen, ihnen einen Platz zu geben und sie menschenwürdig zu behandeln.