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Aus den Städten in die Dörfer?

 

Naziaufmarsch Linnich, 08. November 2015, Fronttransparent
Patrick Glogowskyj auch genannt „Ricky Keule“ an der Spitze des fremdenfeindlichen Aufmarschs in Linnich

Die rechtsextreme Bewegung in NRW hatte zuletzt bei HoGeSa 2.0 eine herbe Niederlage einstecken müssen, nun marschierten ihre Anhänger am Wochenende (08. November 2015) auf dem Land auf. Obwohl Linnich (Kreis Düren) nur knapp 14.000 Einwohner hat, stellten sich Ihnen 1500 Gegendemonstranten in den Weg. Versuchen die Rechten nun erst die Dörfer für sich zu gewinnen?

Die Straßen sind wie leer gefegt. Knapp 150 Neonazis, Hooligans und besorgte Bürger haben sich um die eine kleine Bühne geschart und hören der Rede von Dominik Roeseler zu. „1000 Watt für 100 Leute“, dröhnen die Boxen. „Jetzt ist die richtige Zeit aufzustehen und unser Land zurückzuholen und diese Verräter zum Teufel zu schicken“, schallt es noch hunderte Meter weit durch die Straßen von Linnich, gefolgt von johlendem Applaus der Demo-Teilnehmer. Aus einiger Entfernung betrachtet wirkt die Szene gespenstig. Vereinzelt haben sich Anwohner an den Fenstern eingefunden, um das Treiben zu beobachten. Gelegentlich applaudieren sie oder geben zustimmende Kommentare ab.

Klare Überschneidungen mit der Hooligan und Neonazi-Szene

Naziaufmarsch Linnich 08.11.15 © Marek Majewsky
Das Orga-Team: Christian Remberg (NPD), Willi Maybaum und Patrick Glogowskyj (es fehlt Dominik Roeseler)

Seit Mai leben bis zu 300 Flüchtlinge in einer Notunterkunft in der Stadt, was Fremdenfeinde auf den Plan rief. Diskussionsrunden rund um die Unterkunft wurden von Polizei und Staatsschutz begleitet, um Störungen von Rechtsextremen zu verhindern. Beworben wurde die Demonstration am Sonntag trotzdem als Bürgerprotest, was angesichts der Akteure zynisch wirkt. Teil des Orga-Teams waren der HoGeSa-Anmelder und Pro NRWler Dominik Roeseler beziehungsweise Christian Remberg (NPD). Als Redner sprachen unter anderem Michael Diendorf, ein regelmäßiger Pegida Aktivist aus NRW und der rechtsextreme Anwalt Björn Clemens. Clemens warnte in seiner Rede vor der „menschenverachtenden Ideologie“ Islam und bis zu „zehn Millionen“ Flüchtlingen, die uns irgendwann erreichen würden.

Die Demonstrationsteilnehmer setzten sich aus einer Mischung von gewaltbereiten Neonazis, Hooligans und Bürgern zusammen. Zum Beispiel waren der ehemalige Aktivist der verbotenen Kameradschaft Aachener Land Dennis U., NPD-Vorsitzender des Aachener Kreisverbandes, Willibert Kunkel und René Laube, der ehemalige Kopf der verbotenen Kameradschaft Aachener Land, anwesend.

Diffuse Ängste in der Bevölkerung

Naziaufmarsch Linnich 08.11.15 © Marek Majewsky
Dominik Roeseler rief die Bevölkerung mehrmals dazu auf, keine Angst vor ihnen zu haben.

Nachdem die Nazis ihre Reden beendet hatten, formierten sie sich zu einem Demonstrationszug, an dem sich auch schaulustige Anwohner beteiligten und Seite an Seite mit teilweise verurteilten und ehemalig inhaftierten Neonazis gegen Asylbewerber marschierten. Im Gespräch berichteten sie davon, dass bereits „zu viele“ Asylbewerber in Linnich wohnen würden. Konkrete Beispiele, ob es an Geld fehle oder sie bereits persönlich Probleme bekommen hätten, konnten sie nicht nennen. Andere Anwohner berichteten von Polizei und Feuerwehreinsätzen in der nahegelegenen Notunterkunft – doch was dort konkret vorgefallen sei, wusste niemand.

Auf Nachfrage teilte die Polizei Düren mit, dass es in diesem Sommer sogar zu weniger Straftaten gekommen sei. Für die Zeit ab Oktober habe sie einen geringen Anstieg festgestellt, der aber nicht zwingend durch die Asylbewerber zustande gekommen sei. Zu den Einsätzen in der Flüchtlingsunterkunft sei es aufgrund interner Streitigkeiten gekommen.

 

Erfolgreicher Gegenprotest

Die Polizei hatte den Bereich bereits im Vorfeld weiträumig abgesperrt. Gegendemonstranten, die aus Aachen und Düren angereist sind, mussten einen knapp halbstündigen Umweg in Kauf nehmen, um zu Ihrer angemeldeten Kundgebung zu gelangen. Aufgerufen zu den Gegenprotesten, hatte ein Bündnis aus Parteien, Privatpersonen und linken Gruppierungen, die allesamt zahlreich erschienen sind. 1100 Personen waren es laut Polizei, die Veranstalter sprachen von 1500 bis 2000 Teilnehmern. Würden diese Zahlen auf die HOGESA-Kundgebung in Köln vor zwei Wochen hochgerechnet werden, hätten sich dort mehr als 100.000 Menschen an den Gegenprotesten beteiligt.

Naziaufmarsch Linnich 08.11.15 © Marek Majewsky

Die Gegenkundgebung lag direkt an der Naziroute, sodass sich Demonstranten und Gegendemonstranten, getrennt von der Polizei, bis auf wenige Meter näherten. Als der Demonstrationszug vorüber war, formierte sich eine Gegendemo, die, bewaffnet mit Besen, symbolisch den (zurückgelassenen) Dreck wegfegten. Sowohl die Veranstalter der Gegenproteste, als auch die Polizei zogen ein positives Fazit. Es sei „vollkommen friedlich“ gewesen, teilte die Polizei am späten Nachmittag mit.

Doch auch wenn der Gegenprotest erfolgreich war, zeigte sich, dass in der Kleinstadt ein gewisses fremdenfeindliches Potenzial vorhanden ist. Nachdem die rechte Szene NRWs in den großen Städten (bspw. Düsseldorf, Bonn, Köln) nur Niederlagen eingefahren hat, versucht sie es nun eventuell verstärkt auf dem Land. „Wir kommen wieder“, lautete die Abschiedsbotschaft der Nazis, bei denen am Ende der Veranstaltung nur noch sehr wenige Anwohner anwesend waren. Erst recht, wenn es sich herumgesprochen hat, dass in diesen Tagen vermutlich 170 neue Asylbewerber in Linnich Schutz suchen werden.

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