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Clausnitz und Bautzen: Werden wir uns bald an Tote gewöhnen?

 

140 Teilnehmer des Neonazi-Aufmarsches wollten gegen eine Unterkunft für Asylsuchende protestieren. © Theo Schneider
Symbolbild – Rassistische Anti-Asyl-Proteste

In Clausnitz und Bautzen hat sich in den letzten Tagen die rassistische Stimmung in aller Deutlichkeit gezeigt. Die Radikalisierung setzt sich fort. Werden wir uns bald an Tote gewöhnen?

von Felix M. Steiner

Die Berichte der letzten zwei Tage aus Sachsen scheinen die immer weiter eskalierende Situation wie unter einer Lupe zu zeigen. In Clausnitz blockieren rund 100 Menschen die Ankunft von 20 Asylsuchenden. Die Polizei ist dem Mob zahlenmäßig so deutlich unterlegen, dass Platzverweise nicht durchgesetzt werden und man mit nur rund 25 Beamten auch nicht in der Lage ist, die „besorgten Bürger“ vom Bus fernzuhalten. Ein Flüchtlingsjunge wird unter Einsatz von „unmittelbarem Zwang“ rabiat in die Unterkunft gezerrt. Fazit der Polizei: Die verängstigten Flüchtlinge tragen wegen Provokationen eine Mitschuld und für die Polizei ist für zukünftige Einsätze keine Konsequenz zu erwarten. So teilte dies Polizeipräsident Reißmann in der Pressekonferenz mit. Während die öffentliche Debatte über Clausnitz noch voll im Gange ist, brennt im 120 Kilometer entfernten Bautzen eine weitere geplante Asylunterkunft in der Nacht zu Sonntag. Ob es sich um Brandstiftung handelt, werden die Ermittlungen der nächsten Tage zeigen. Doch auch ohne die derzeitige Gewissheit über die Brandursache sind die Vorfälle in Bautzen erschreckend. Augenzeugen und die Feuerwehr vor Ort berichten von Schaulustigen und Einwohnern, die erst durch Platzverweise davon abgehalten werden konnten, die Löscharbeiten zu behindern. Andere wiederum kommentierten in offensichtlich betrunkener Volksfestlaune den Brand mit rassistischen Parolen.

Die verschiedenen Ereignisse in Clausnitz und Bautzen haben jedoch zahlreiche Gemeinsamkeiten. Nicht nur, dass sie beide in Sachsen zu verorten sind, sie zeigen auch, wie sich der rassistische Mob und die Brandstifter mittlerweile im Recht fühlen dürften. In Clausnitz agiert der rassistische Mob in seiner ekelhaften Selbstvergewisserung und wahrscheinlich in der Annahme, man agiere hoch-demokratisch. Den zahlenmäßig deutlich unterlegenen Polizeibeamten muss man in seiner numerischen und moralisch empfundenen Überlegenheit nicht mal mehr folgen. Und am Ende? Am Ende werden kaum Konsequenzen folgen und die Polizei spricht von einer Mitschuld der Flüchtlinge. In Bautzen orchestriert der rassistische Mob den Brand mit Zustimmung und behindert sogar die Löscharbeiten. Sollte es sich erneut um Brandstiftung gehandelt haben, dürften die Täter dies durchaus als motivierende Zustimmung für ihre Tat empfinden. Sollte es ein technischer Defekt gewesen sein, so haben nun die potentiellen Brandstifter verstanden, dass derartige Anschläge eine nicht geringe Zustimmung unter ihren Nachbarn finden. Dass man als Brandstifter erwischt wird, ist ohnehin ein überschaubares Risiko. Die Aufklärungsquote liegt bei gerademal 27%. Von diesen ermittelten Tätern sind laut BKA „nur“ rund ein Drittel der extrem rechten Szene zuzuordnen. Der größte Teil stammt aus dem Ort oder ist im Umkreis von 20 Kilometern beheimatet. Die Nachbarn, wenn man so möchte. Und eben jener Erfolg, sei es, sich als Mehrheit zu fühlen oder unerkannt Brandanschläge zu begehen, wird auch zukünftig zu derartigen Taten motivieren.

Nach hunderten Straftaten gegen Asylunterkünfte im vergangenen Jahr, ist fast so etwas wie eine Gewöhnung eingetreten: Man nimmt einen Brand zur Kenntnis, es überrascht oder empört kaum noch jemanden. Man hat sich der nächsten Eskalationsstufe angepasst. Auch dies ist Teil des Problems. Die Mehrzahl der Angriffe richtet sich übrigens gegen bewohnte Unterkünfte. Die nächste Eskalationsstufe dürfte den meisten bekannt sein: Menschen werden sterben. Wird man sich dann auch daran gewöhnen?