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Freies Radio wehrt sich gegen NPD-Klage

 

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Logo des Rundfunkpreises 2016; Screenshot Thüringer Landesmedienanstalt

Mit einer Unterlassungsaufforderung versucht der Thüringer NPD-Landesvorsitzende Tobias Kammler seinen Namen aus einer Reportage des Erfurter Senders „Radio F.R.E.I.“ streichen zu lassen. Mit der Verleihung eines Hörfunkpreises für eben diesen Beitrag erhielt der Sender jetzt offiziellen Rückenwind.

In den Räumen des Senders „Radio F.R.E.I.“ in der Erfurter Altstadt herrscht ausgelassene Stimmung. Bei der Verleihung des „Bürgermedienpreises 2016“, der von den Landesmedienanstalten der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ausgelobt wird, hat das Erfurter Lokalradio einen Hauptpreis abgeräumt. Auf der festlichen Gala in Halle wurde der Beitrag „Buttlar – ein Dorf nimmt Flüchtlinge auf“ des ehrenamtlichen Radiomachers Johannes Smettan als bester Beitrag in der Kategorie „Erwachsene“ im Hörfunk ausgezeichnet. In der Begründung der Jury heißt es, „Neben der handwerklichen Kompetenz und der unaufgeregten Art, in der die Gesprächsführung stattfindet, fasziniert dieser Radiobeitrag über die Art und Weise, wie ein hochgradig relevantes politisches Thema auf die Ebene einer Dorfgemeinschaft transportiert wird“. Für „Radio F.R.E.I.“ ist der Preis nicht nur eine Auszeichnung für die Qualität der im November 2015 ausgestrahlten Reportage. Prämiert wurde ausgerechnet der Beitrag, der den NPD-Landesvorsitzenden Tobias Kammler zu einer Abmahnung veranlasst hatte.

Die Angst der Flüchtlingshelfer

Johannes Smettan bei Preisverleihung, Screenshot Radio F.R.E.I.
Johannes Smettan bei Preisverleihung, Screenshot Radio F.R.E.I.

In der Zeit, als der Beitrag entsteht, brennen in Deutschland wöchentlich Flüchtlingsunterkünfte und rechtspopulistische Propaganda treibt in Thüringen tausende Personen auf die Straße. Wie andernorts auch engagieren sich in Buttlar, einem kleinen Ort im Wartburgkreis mit etwa 1300 Einwohnern in der thüringischen Rhön, unterdessen ehrenamtliche Helfer für Flüchtlinge. Landesweit treten aber auch Neonazis und Rassisten auf den Plan, die angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen glauben, ihre Zeit sei nun gekommen. Dazu gehört auch die NPD unter der Leitung von Tobias Kammler, der ebenfalls aus dem Wartburgkreis stammt. Im Oktober 2015 trommelt sein Landesverband an vier aufeinanderfolgenden Tagen zu Aufmärschen im Wartburgkreis nur unweit von Buttlar entfernt. Erst im September hatte im nur etwa 30km entfernten Gerstungen eine Brandstiftung ein als Flüchtlingsunterkunft vorgesehenes Gebäude völlig zerstört. Drei Wochen später brannte eine künftige Flüchtlingsunterkunft im benachbarten Landkreis vollständig aus. Auch in Buttlar bereitet den Helfern die rassistische Mobilisierung Sorgen und Angst. Und tatsächlich lungern eines Abends organisierte Neonazis vor dem Dorfgemeinschaftshaus in Buttlar herum, in dem Flüchtlinge untergebracht sind – im nahe gelegenen Tiefenort sollte es am selben Tag noch einen Neonazi-Aufmarsch geben. Trotzdem zeigen die Ehrenamtlichen vor Ort Präsenz, eine Interviewpartnerin begründet dies in dem Radiobeitrag mit den Worten: „Die Angst war wirklich von draußen. Und wo wir dann an dem Samstagabend gesagt haben: „Ok, wir müssen da noch ein paar Männer organisieren, die dann halt einfach mit da sind, damit die sehen, Herr Kammler und Co, es sind einfach Leute auch da.“ (…) Einfach dass die gesehen haben: Es ist jemand da, es passt jemand auf. Und die können nicht einfach uns das DGH anzünden.“

Mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht?

Nach der Erstausstrahlung wandert der Beitrag in die Mediathek des Erfurter Senders, wo er weiterhin abgerufen und nachgehört werden kann. Doch Mitte Dezember erreicht „Radio F.R.E.I.“ die E-Mail einer Leipziger Rechtsanwaltskanzlei mit der Aufforderung zur Abgabe einer Unterlassungserklärung. Der NPD-Landesvorsitzende Kammler sieht in dem Zitat seine Persönlichkeitsrechte verletzt, fordert Unterlassung sowie die Streichung seines Namens und unterstellt den Redakteurinnen mangelnde journalistische Sorgfaltspflicht.

Tobias Kammler, Landesvorsitzender der NPD in Thüringen. Foto: Kai Budler
Tobias Kammler, Landesvorsitzender der NPD in Thüringen. Foto: Kai Budler

Darauf angesprochen, lacht Carsten Rose – er hat „Radio F.R.E.I.“ mit gegründet und arbeitet heute als Redakteur in dem Sender. „Vielleicht sollte Herr Kammler die Jury fragen, die den Beitrag mit dem Bürgermedienpreis ausgezeichnet hat“, sagt er auf Anfrage. „Das hieße ja, dass die dort vertretenen Medienexperten keine Ahnung von journalistischer Sorgfaltspflicht haben, wenn sie die handwerkliche Kompetenz des Machers loben“. Schon kurz nach dem Eingang der Abmahnung weist „Radio F.R.E.I.“ die Vorwürfe zurück und verweigert die Unterschrift unter die Unterlassungserklärung. „Das freie Radio aus Erfurt will sich nicht den Mund verbieten lassen“, kommentiert Redakteur Rose. Als sechs Wochen später immer noch keine Antwort kommt, greift „Radio F.R.E.I.“ nun selbst zu juristischen Mitteln und reicht vor Gericht eine „ „negative Feststellungsklage“ ein. Bei der Verhandlung, die voraussichtlich Anfang Dezember vor dem Landgericht Erfurt stattfindet, sollen die Richter die Rechtslage klären und auch für künftige Fälle Klarheit schaffen. Rose sieht in Kammlers Vorgehen eine Einschüchterungstaktik, ohnehin gilt der Thüringer Landesverband als höchst klagefreudig. Die Entscheidung der Jury, ausgerechnet den von Kammler inkriminierten Beitrag mit dem Hörfunkpreis auszuzeichnen, stärkt die Erfurter Radiomacher nur in ihrer klaren Botschaft: „Kritische freie Medien einschüchtern? – Nicht mit uns!“