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Neue Kriterien: Bayerische Behörden finden 15 weitere Neonazi-Immobilien

 

In Oberprex verfügte ein Kader des „Freien Netzes Süd“ über eine Immobilie. Im Zuge des Verbotsverfahrens wurde diese beschlagnahmt © Timo Müller (Symbolbild)

Die Zahl neonazistischer Immobilien musste in Bayern von zwei auf 17 korrigiert werden. Anlass ist eine Vereinheitlichung der Kriterien, die im Dezember 2017 zwischen den Bundes- und Landesbehörden vorgenommen wurde.

In Bayern gibt es deutlich mehr Neonazi-Immobilien, als die Sicherheitsbehörden jahrelang angenommen haben. Nach Auskunft des Innenministeriums wisse man derzeit von 17 Objekten, die sich im Eigentum von Neonazis befinden oder von diesen regelmäßig für ihre politischen Zwecke genutzt werden. Das teilte das bayerische Innenministerium auf Anfrage des ZEIT ONLINE Störungsmelder mit. Als entsprechende Immobilien werden demnach alle Gebäude eingestuft, „zu denen Rechtsextremisten über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit“ verfügen, sagt Martin Scholtysik, der stellvertretende Pressesprecher des Innenministeriums. Seinen Angaben zufolge schließt das explizit solche Objekte ein, die „gemietet oder gepachtet sind oder durch ein Kenn- und Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen“ zugänglich sind.

Damit hat Bayern die Zahl der neonazistischen Immobilien um 15 nach oben korrigiert, seit im Jahr 2015 die letzte aktuelle Zahl von zwei Objekten veröffentlicht wurde. Bei Beobachtern hatten diese Auskünfte damals für einige Irritationen gesorgt – zumal die Bundesregierung zwei Jahre zuvor eine Auflistung präsentiert hatte, wonach es in Bayern angeblich ganze 26 neonazistische Objekte geben sollte. Tatsächlich hatte das Münchner aida-Archiv bereits kurze Zeit später in einer umfangreichen Recherche nachgewiesen, wie lückenhaft die offiziellen Angaben waren. So fehlte in der Auflistung beispielsweise der neonazistische „Wikinger-Versand“ in Geiselhöring, ein einflussreicher Szene-Versand, der im Jahr 1998 gegründet wurde. Auf seiner Website werden seit vielen Jahren einschlägige Produkte vertrieben, darunter Fahnen mit der Reichskriegsflagge oder mit einer „Schwarzen Sonne“. Zudem wurden in der Auflistung weitere bekannte Objekte nicht aufgeführt, etwa verschiedene Verlagsräume für rechte Publizistik oder eine Villa im oberbayerischen Tutzing, die dem völkisch-antisemitischen „Bund für Gotterkenntnis – Ludendorff“ als Rückzugsraum dient.

Unterschiedliche Kriterien, unterschiedliche Bewertung

Der Grund für diese Differenzen lag in den Kriterien begründet, die von Bundesland zu Bundesland variierten. Bislang konnte nämlich jede Landesregierung selbst entscheiden, welches Objekt sie als neonazistisch einstuft und welches nicht. Dabei war Bayern in den vergangenen Jahren offenbar besonders restriktiv vorgegangen, wie sich beispielhaft an der Immobilie von Frank Rennicke beobachtet lässt. Der einflussreiche Neonazi-Sänger wohnt in einem ehemaligen Schulgebäude im Ortsteil Unterhartmannsreuth der oberfränkischen Gemeinde Feilitzsch, das seine damalige Freundin und heutige Ehefrau im Jahr 2012 käuflich erworben hat. Seitdem wird das 3.500 Quadratmeter große Grundstück regelmäßig für politische Veranstaltungen genutzt (vgl. AIB, Nr. 114).

Rennicke-Immobilie in Feilitzsch, Aufnahme im Sommer 2012 © Johannes Hartl

Allein im Zeitraum von März 2014 bis April 2016 sind dem Verfassungsschutz neun Termine bekannt geworden, darunter ein Vernetzungstreffen mit der Organisation „Thügida“, die selbst von den Sicherheitsbehörden als „rechtsextremistisch“ eingestuft wird. Auch ein nicht näher bezeichnetes Treffen am 20. April 2014, dem Geburtstag Adolf Hitlers, findet sich in der Auflistung. Dennoch haben es die Behörden noch im August 2016 abgelehnt, die ehemalige Dorfschule als neonazistisches Objekt einzustufen. Als Rechtfertigung präsentierten die Verfassungsschützer damals eine fragwürdige Begründung, der zufolge das Haus „überwiegend zu Wohnzwecken“ genutzt werde. Durch eine solch rigide Auslegung der Kriterien wurden viele Objekte in der Vergangenheit – trotz einschlägiger Nutzung – offenbar als unpolitische Wohnhäuser statt als extrem rechte Immobilien eingestuft.

13 bekannte, vier geheime Immobilien

Mit der Vereinheitlichung der Kriterien, die im Dezember 2017 zwischen Bund und Ländern vorgenommen wurde, hat sich das zwar teilweise geändert. So tauchen in der neuen Auflistung plötzlich mehrere neonazistische Immobilien auf, bei denen die Behörden noch 2015 keine politische Nutzung erkannten — zum Beispiel das Gebäude von Frank Rennicke oder der „Wikinger-Versand“ in Geiselhöring. Allerdings nennt das Ministerium von 17 bestehenden Immobilien auf Anfrage lediglich 13 Objekte. Bei den übrigen vier seien genauere Angaben hingegen nicht möglich, so Scholtysik: „Eine umfassende Auflistung berührt Informationen, die im Zusammenhang mit der Arbeitsweise und Methodik der Sicherheitsbehörden geheimhaltungsbedürftig sind“.

Unter den genannten 13 Immobilien befinden sich fünf Objekte in Oberbayern, vier Objekte in Schwaben sowie jeweils ein Objekt in Niederbayern, der Oberpfalz, in Mittel- und Oberfranken. Neu aufgelistet ist unter anderem eine neonazistische Immobilie in Mantel in der Oberpfalz, einem kleinen Ort im Landkreis Neustadt an der Waldnaab. Er ist Sitz der „Nemesis Production GmbH“ des Aktivisten Patrick Schröder, die die Markenrechte am Neonazi-Label „Ansgar Aryan“ hält. Der mitteilungsbedürftige Kader lebt selbst in der Ortschaft und produziert dort sein Streaming-Angebot „FNS-TV“, das in regelmäßigen Abständen mit dem Ziel ausgestrahlt wird, ein junges Publikum mittels jugendaffiner Inszenierung für die Neonazi-Szene zu rekrutieren.

Neue Kriterien sind flexibler

Ob durch die Vereinheitlichung der Kriterien tatsächlich alle neonazistischen Immobilien erfasst werden können, wird sich vermutlich erst im Laufe der Zeit bewerten lassen. Die neuen Voraussetzungen sind aber zumindest erheblich flexibler gefasst als die bisherigen Kriterien. Denn in den letzten Jahren war es in Bayern zwingend erforderlich, dass die fraglichen Objekte gezielt „zum Zwecke der Schaffung regionaler Strukturen und Anlaufstellen“ erworben oder angemietet wurden, erklärt Scholtysik. Viele relevante Immobilien konnten so nicht erfasst werden, weil ihr hauptsächlicher Nutzungszweck nicht zwangsläufig ein politischer war.

Laut der neuen Definition ist es dagegen ausreichend, wenn die Immobilien „eine allgemeine politisch ziel- und zweckgerichtete Nutzung“ aufweisen. „Somit können nun auch zu Geschäftszwecken genutzte Immobilien, z.B. Verlage und Versandhandel, und unter bestimmten Voraussetzungen auch Wohnobjekte unter die neuen Erfassungskriterien subsumiert werden“, erläutert Scholtysik. Auf diese Weise solle „eine homogene Erhebung und Berichterstattung“ zwischen dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz ermöglicht werden. Eine kleine Nachbesserung, die längst überfällig war — vorausgesetzt, sie wird in Zukunft konsequent angewendet.