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Warum ein Eimer Eiswasser nicht genug ist

 

Ich bin eigentlich für fast jedes Internet-Phänomen zu haben, kann Tränen über die verfälschten Film- und Tiernamen auf Twitter lachen und kenne diverse „Happy“-Videos. Nur die Eiswassereimer lassen mich irgendwie kalt.

Bei der Ice Bucket Challenge gießen sich Menschen einen Eimer Eiswasser über den Kopf, filmen sich dabei und teilen es auf Facebook und Twitter. Damit soll die Aufmerksamkeit für die Nervenerkrankung ALS geschärft und Geld gesammelt werden.

Soweit so gut, aber mit dem Bewusstsein, dass es die Erkrankung gibt und Leute, die damit leben, ändert sich erstmal nichts. Okay, die Spenden für die Forschung nehmen zu. Aber davon werden Leute, die jetzt ALS haben, vermutlich nicht mehr profitieren können.

Wenn sich jemand einen Eimer Eiswasser über den Kopf kippt, ändert das nichts am Leben der Menschen. Dabei könnten manche, die ihr Hirn abgekühlt und das für die Nachwelt festgehalten haben, durchaus noch mehr tun – nicht nur spenden und in Eiswasser duschen.

Ein paar Beispiele:
Gestern Abend war ich auf einer Veranstaltung in einem Gründerzentrum. Am Morgen hatte ich einen bekannten Unternehmer auf Facebook sehen können, wie er die Eisdusche nimmt. Keine 12 Stunden später stand ich vor Stufen eines nagelneu eingerichteten Veranstaltungsbereichs eben dieses Gründerzentrums, mitfinanziert durch die Firma genau dieses Firmengründers. Niemand, der wegen ALS im E-Rollstuhl sitzt, wäre dort hineingekommen.

Ein anderes Beispiel aus dem Internet: Viele Menschen mit ALS und vergleichbaren Behinderungen können Computer nur mit besonderen Eingabegeräten benutzen. Aber gerade die großen Internetunternehmen sind immer noch nicht besonders gut darin, ihre Websites so zu bauen, dass sie auch mit diesen Eingabegeräten oder aber mit Sprachausgaben für blinde Nutzer gut funktionieren.

Also wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann sicher nicht, dass sich Mark Zuckerberg, um mal nur einen zu nennen, einen Eimer Eiswasser über den Kopf kippt, sondern dass ich endlich mit Freunden, die behinderungsbedingt verschiedene Ein- und Ausgabegeräte nutzen, problemlos auf Facebook kommunizieren kann und sie sich nicht aus Frust komplett abmelden, weil sie sich ausgeschlossen fühlen, weil die Seite und der Chat mit den Hilfsmitteln so schwer zu bedienen sind.

Und dann noch die Sache mit dem Bewusstsein. Ja, es kann nicht schaden zu wissen, dass es ALS gibt. Aber Bewusstsein kann nur ein erster Schritt sein. Was ja folgen muss, sind Veränderungen im Umgang mit den ALS-Betroffenen. Dass sie nicht mehr als betrunken abgestempelt werden, nur weil sie eine verwaschene Sprache haben zum Beispiel, etwas was viele Leute mit ALS und anderen Beeinträchtigungen, die die Sprache betreffen, erleben. Dass man sie nicht sofort vor die Tür setzt, wenn der Arbeitgeber von der Erkrankung erfährt. Dass sie auch künftig noch in der Bäckerei um die Ecke einkaufen können, weil der Bäcker eine Rampe gekauft hat.

Ja, Forschung ist wichtig. Aber genauso wichtig ist, sich mal zu überlegen, wie das Leben der betroffenen Leute jetzt und nicht in ferner Zukunft verbessert werden kann. Jeder in seinem kleinen Bereich. Mit Rampen, barrierefreien Toiletten, zugänglichen Websites, einem besseren Service oder einfach einer anderen Einstellung. Das hilft dann nicht nur ALS-Betroffenen, sondern vielen anderen auch.