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Nicht erwähnenswert – Gesetzentwurf zur Hasskriminalität

 

Im Oktober vergangenen Jahres wurde eine im Rollstuhl sitzende Frau aus Schleswig-Holstein Opfer eines brutalen Überfalls. Als sie eine Unterführung durchquerte, stürzten sich drei Männer auf sie, rissen sie aus dem Rollstuhl und schlugen wahllos auf sie ein. Dabei wurde die Frau schwer verletzt.
In Baden-Württemberg suchte die Polizei 2012 einen Täter, der auf einen Rollstuhlfahrer uriniert hatte, nachdem dieser ihn um Hilfe gebeten hatte, weil er aus dem Rollstuhl gerutscht war.

Die Bundesregierung will nun künftig Hasskriminalität stärker bestrafen. Künftig soll es höhere Strafen geben, wenn die Täter „besonders rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende“ Beweggründe und Ziele für eine Gewalttat hatten.

Symbolgesetzgebung?

Während Befürworter sich von der Gesetzesänderung erhoffen, dass die Gesellschaft, die Politik, die Polizei und auch Richter künftig stärker die Motive von Straftaten berücksichtigen, um gegenzusteuern und zu sensibilisieren, sprechen Gegner von Symbolgesetzgebung.

In der Tat geht es bei Hasskriminalität hauptsächlich darum, ein Zeichen zu setzen, aber das heißt nicht, dass das Gesetz unwichtig ist. Opfern wird signalisiert, dass die Gesellschaft und die Justiz einbeziehen, warum diese Menschen Opfer einer Straftat geworden sind: Wegen Diskriminierung.

Genau deshalb finde ich den Begriff „menschenverachtende Beweggründe“ völlig schräg. Behinderte Menschen werden nicht Opfer von Hasskriminalität, weil sie Menschen sind, sondern weil sie eine Behinderung haben. Aber dann benennt das Merkmal Behinderung doch bitte auch so im Gesetz. Minderheiten in einen Sammelbegriff zu packen ist genau das, was das Gesetz eigentlich gerade nicht tun sollte. Es sollte die besondere Situation der Opfer würdigen und transparent machen, dass es Straftaten gibt, die begangen werden, weil das Opfer eine Behinderung, eine bestimmte sexuelle Orientierung, eine andere Herkunft oder eine bestimmte Religion hat. Ja, die meisten Straftaten im Bereich Hasskriminalität basieren auf rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven, aber deshalb darf man die anderen Gruppen doch nicht unter den Tisch fallen lassen.

1800 Fälle in Großbritannien

Mit diesem Entwurf signalisiert man, die Gruppe ist nicht wert, gesondert erwähnt zu werden. Das kann ja wohl nicht Sinn der Sache sein. Wenn behinderte Menschen stattdessen merken, dass der Gesetzgeber ihre besondere Lage würdigt, dann ändert sich vielleicht auch das Anzeigeverhalten der Opfer. In Großbritannien gab und gibt es viele Informationen zu Hasskriminalität und vor allem behinderte Menschen werden ermutigt, „Disability Hate Crime“-Taten anzuzeigen. Allein im vergangenen Jahr wurden in Großbritannien mehr als 1800 Fälle von „Disability Hate Crime“ von der Polizei registriert. Die Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Aussagekräftige Statistiken zu führen, trägt ebenfalls dazu bei, Ermittler und Richter zu sensibilisieren und die Situation der einzelnen Gruppen wahrzunehmen.

Ich bin nicht die Einzige, die den Entwurf kritisch sieht. Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der die SPD-Fraktion dazu beraten hat, kritisiert den Sammelbegriff „menschenverachtende Beweggründe“ in der „Frankfurter Rundschau“ ebenfalls: „Es geht um den besonderen Unrechtsgehalt dieser Straftaten. Wenn ich eine Frau wegen ihrer Behinderung verletze, dann bedrohe ich damit alle Menschen, die behindert sind. Warum benennt man Behinderung dann aber nicht ausdrücklich im Gesetz?“. Ja, warum eigentlich nicht, Herr Maas?