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Aus dem Kino geworfen

 

Richard Bridger ist aus einem Kino geworfen geworden. Der 31-Jährige hat Duchenne-Muskeldystrophie, eine Muskelerkrankung, die ausschließlich Männer betrifft. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Menschen mit Duchenne beträgt 25 Jahre. Bei vielen lässt irgendwann auch die Lungenfunktion nach. Sie brauchen ein Beatmungsgerät. Und genau an diesem Gerät störten sich Kinogäste eines Kinos im englischen Epsom. Sie beschwerten sich über den jungen Mann, der den Actionfilm Taken 3 sehen wollte. Sie mochten das Geräusch des Beatmungsgerätes nicht. Statt die anderen Gäste umzusetzen oder sie darauf hinzuweisen, dass auch behinderte Menschen ein Recht darauf haben, ein Kino zu besuchen, forderten Kinomitarbeiter Richard Bridgers Assistenten auf, zu gehen. Mit ihm selber sprach man erst gar nicht. Erst nach einer Diskussion mit dem Manager des Kinos bekam Richard Bridger sein Eintrittsgeld zurück, nachdem er das Kino verlassen hatte.

Nicht lauter als Popcorn

Bis vor ein paar Jahren sah man Menschen mit einem Beatmungsgerät nur sehr selten in der Öffentlichkeit. Viele Geräte waren nicht transportabel. Das bedeutete, die Menschen konnten das Haus deshalb gar nicht verlassen. Das ist heute anders. Auch Menschen, die beatmet werden, können unter Umständen heute am normalen Leben teilnehmen, ins Kino gehen zum Beispiel. Ich kenne viele Menschen mit Beatmungsgerät, ich sitze oft in Meetings, in denen jemand mit Beatmungsgerät neben mir sitzt.

Ich habe mir sogar mal mit dem Hollywoodschauspieler Christopher Reeve einen Rollstuhlplatz geteilt in einem Theater, in dem es nur einen Rollstuhlplatz gab – er sollte einen Preis bekommen, ich sollte darüber berichten. Der Superman-Darsteller war seit einem Reitunfall hoch querschnittgelähmt und wurde mit einem Beatmungsgerät beatmet. Und dann kam es zu der etwas bizarren Situation, dass es für uns beide eigentlich nicht genug Platz in dem Theater gab. Aber natürlich wollte man keinen von uns wieder wegschicken und so saßen wir notgedrungen recht eng nebeneinander. Ich weiß also, wie sich Beatmungsgeräte anhören. Sie machen keine Geräusche, die bei einem Actionthriller wirklich störend wären. Nicht einmal bei einem Stummfilm, schätze ich. Man kann gut darüber hinweghören, wenn man das Gerät bei den Umgebungsgeräuschen überhaupt hört. Das sieht auch der Vater des Rollstuhlfahrers in Epsom so: „Das Gerät macht nicht mehr Lärm als wenn neben einem jemand Popcorn isst“, sagte er dem britischen Fernsehsender ITV. Daran stört sich im Kino sonst auch niemand.

Es geht nicht nur um Rampen

Der Fall zeigt ganz deutlich: Inklusion bedeutet nicht nur Rampen und Fahrstühle zu bauen. Es geht auch bis zu einem gewissen Maße darum, behinderungsbedingte Dinge, die man nicht ändern kann, hinzunehmen. Dazu gehört meines Erachtens auch, das Beatmungsgerät eines Gastes im Kino zu ertragen oder sich im Zweifelsfall umzusetzen. Die Lösung ist sicher nicht, einen Kinogast mit Beatmungsgerät des Kinos zu verweisen und zu sagen, er darf nur zu Vorstellungen kommen, die schlecht besucht sind, so wie es das Kino getan hat.

Die Kinokette, zu der das Kino gehört, hat sich unterdessen für das Verhalten ihrer Mitarbeiter entschuldigt. Richard Bridger sei jederzeit willkommen und könne den Film jetzt als Wiedergutmachung kostenlos sehen. Damit kommt das Kino übrigens recht preiswert davon. In ähnlichen Fällen werden in Großbritannien auch schon mal hohe vierstellige Schadenersatzzahlungen fällig, wenn dem Unternehmen Diskriminierung eines Kunden wegen seiner Behinderung nachgewiesen werden kann.