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Weihnachtliches Mitleid

 

Vor Weihnachten etwas Gutes zu tun, gehört für viele Menschen einfach dazu und deshalb sind sie empfänglicher für Spendenaufrufe. Auch für behinderte Menschen versuchen Wohltätigkeitsorganisationen und Vereine in der Weihnachtszeit mehr Spenden einzutreiben als üblich.

Almosen statt Inklusion

Doch die Methoden mancher Organisation gehen vielen Menschen mit Behinderungen auf die Nerven. Denn in manchen Werbeaktionen wird massiv auf die Tränendrüse gedrückt: Behinderte Menschen werden als bemitleidenswerte Kreaturen dargestellt. Zur Emanzipation von Menschen mit Behinderungen, ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben oder zu Inklusion tragen diese Werbeversuche nicht bei. Die Botschaft ist klar: Behinderte Menschen sind arm dran und deshalb brauchen sie Almosen.

In Kassel gab jedoch es am vergangenen Wochenende eine Aktion http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1/nachrichten/32704/Jammerstunde-mit-Klagewelle.htm, die Spender dazu auffordert, Menschenrechte von behinderten Menschen zu unterstützen statt die Aussonderung behinderter Menschen mit Geld weiter zu zementieren.

Ottmar Miles-Paul von der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hat zu der Aktion im Vorfeld des Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen eingeladen. Er sagt: „Jedes Jahr ist es dasselbe. Kaum ist die Zeit Ende Oktober umgestellt, flattern auch schon die Spendenwerbungen diverser Wohlfahrtsorganisationen ins Haus, die an das Mitleid für die leidgeplagten behinderten Menschen appellieren und Geld für meist aussondernde Angebote sammeln.“ Er appelliert, die gesellschaftlichen Benachteiligungen klar zu benennen und durch gezielte Lobbyarbeit die Angebote für Menschen mit Behinderungen zu verändern, statt nur ein individuelles „Schicksal“ auszustellen. „Das passt nicht mehr ins 21. Jahrhundert und hat nichts mit einer Bewusstseinsbildung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu tun.“

Gegen Spenden sei aber nichts einzuwenden – ganz im Gegenteil. Die Leute sollten aber besser gesellschaftliche Prozesse fördern, sodass behinderte Menschen die Assistenz und Unterstützung finanziert bekommen, die sie selbstverständlich so organisieren können, wie sie sie brauchen. Das sei ein effektiverer Einsatz als das weit verbreitete Almosen- und Aussonderungsdenken zu fördern, so Ottmar Miles-Paul.

Spenden statt Selbermachen

Schon Charles Dickens hat sehr gut dargestellt, wie die Reichen Londons erst rührige Benefizveranstaltungen für arme Kinder organisierten, um sie wenig später in Heime abzuschieben. Im Behindertenbereich gibt es bis heute immer noch vergleichbare Strukturen. Man sammelt für die „armen Behinderten“, weigert sich aber zum Beispiel behinderte Menschen einzustellen. „Wir können uns nicht vorstellen, jemanden einzustellen, der blind ist, aber wir spenden jedes Jahr zu Weihnachten für eine Blindenorganisation“, bekam ein blinder Freund vor nicht allzu langer Zeit in einem Bewerbungsgespräch zu hören.

Viele Spendenkampagnen heben vor allem die angebliche Hilflosigkeit behinderter Menschen hervor und stellen deren Lebensqualität grundsätzlich infrage. Dass die Macher dieser Kampagnen Menschen mit Behinderungen im Alltag massiv schaden, realisieren sie entweder nicht oder es ist ihnen egal, solange es Geld bringt. Denn wer davon ausgeht, dass blinde Menschen grundsätzlich arm, bemitleidenswert und vor allem hilflos sind, wird sich schwertun, diese Person beispielsweise als wertvollen neuen Mitarbeiter ansehen zu können, um mal nur ein Beispiel zu nennen.

Zudem werden mit den Spenden teilweise Projekte unterstützt, die mit Inklusion gar nichts zu tun haben oder diese sogar konterkarieren. Man sollte sich also gut anschauen, wohin das gespendete Geld fließt. Meine Erfahrung ist, wer mit Mitleid für Spenden wirbt, hat mit Inklusion und gleichberechtigter Teilhabe behinderter Menschen in der Praxis nicht viel am Hut.