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Sicherheit versus Teilhabe

 

Dass Sicherheit gegen Teilhabe ausgespielt wird, ist im Alltag behinderter Menschen allgegenwärtig. Die Diskussion, hier und auf Facebook, zu meinem Text über den kleinwüchsigen Studenten, der mit seinem Roller einen Musikclub nicht besuchen durfte, ist nicht neu und betrifft keineswegs nur Clubs.

Schöne Aussicht

Sicherheit versus Teilhabe
Ich sitze zum Beispiel gerne auf der Dachterrasse des Kaufhofs an der Hauptwache in Frankfurt und schaue über die Stadt. Sie befindet sich im 7. Stock. Würde ich einen Sicherheitsexperten um Rat bitten, wird der mir raten, mich da besser nicht aufzuhalten. Denn es wird schwierig, mich als Rollstuhlfahrerin aus dem Gebäude zu holen, falls es brennt (ob das Haus einen feuerfesten Fahrstuhl hat, weiß ich nicht).

Im vergangenen Jahr habe ich viel Zeit im 28. Stock eines Gebäudes in Wien verbracht. Dort gab es zwar einen Feuerwehrfahrstuhl, er war aber oft außer Betrieb. Nur die normalen Fahrstühle liefen. Ich bin aber gerne in hohen Gebäuden und genieße die Aussicht. Das ist für mich ein Stück Lebensqualität. Um sicher zu sein, dürfte sich mein Leben eigentlich nur im Erdgeschoss abspielen.

Beispiel Fliegen

Ein weiteres Beispiel: Ich bin Vielfliegerin. Wenn ich fliege, bedeutet das, ich werde mit einem kleinen Bordrollstuhl zum Sitz gebracht, setze mich um und dann sitze ich dort. Mein eigener Rollstuhl wird unten im Bauch des Flugzeugs verstaut. In einem Notfall kann ich nicht einfach aufspringen, um zum Notausgang zu sprinten.

Deshalb standen vor 20 Jahren viele Fluggesellschaften auf dem Standpunkt, wer das nicht kann, fliegt nicht mit. Die Unfallstatistik gab ihnen sogar recht. Ein Mitarbeiter einer Fluggesellschaft erzählte mir einmal, dass bei Flugunfällen mit wenigen Verletzten oder Toten fast immer behinderte Menschen und Kinder die Opfer seien. Ihre Chance, aus dem Flugzeug zu kommen oder eine harte Landung auszuhalten, seien einfach schlechter sei als die von Menschen, die ausgewachsen sind, sich abstützen und schnell ein Flugzeug verlassen können.

Aus diesem Grund mussten Rollstuhlfahrer früher einfach zu Hause bleiben, wenn die Airline das so wollte. Heute hat sich die Sicherheitslage kaum verändert, trotzdem ist es selbstverständlich, dass Rollstuhlfahrer Flugreisen machen. Denn die Frage ist: Will ich von einem sehr unwahrscheinlichen Flugzeugunglück mein Leben einschränken lassen?

Alles zu gefährlich?

Genauso ist es mit Konzertsälen, Theatern oder sogar Fernsehtürmen (Hallo, Berlin!). Man kann sich auf den Standpunkt stellen, das alles sei zu gefährlich für behinderte Menschen. Sie sollen draußen bleiben. Konsequenterweise müsste das dann aber auch für ältere Menschen gelten, die auch nicht mehr so schnell unterwegs sind oder für Kinder, die in Notfällen Anweisungen nicht so gut verstehen können wie Erwachsene. Dann machen wir unser Leben aber von einem Unglück abhängig, das gar nicht eingetreten ist, statt nach Lösungen zu suchen, um im Unglücksfall gewappnet zu sein.

Der wichtigste Ansatz: Das Personal muss geschult werden. Wer im Normalfall kein Bewusstsein dafür hat, dass es behinderte Kunden gibt, kann auch im Notfall nicht angemessen reagieren. Es gibt beispielsweise Evakuierungsstühle, mit denen man auch Notausgänge mit Treppenstufen mit Hilfe des Personals bewältigen kann.

Zudem besteht ein völlig falsches Bild davon, was viele behinderte Menschen können und was nicht. Während ich mich im Normalfall weigern würde, auf dem Boden eine Treppe hoch- oder hinunterzurobben, würde ich das im Notfall natürlich tun. Zudem können oft gerade junge Rollstuhlfahrer, die Clubs besuchen, sehr gut mit ihrem Rollstuhl umgehen. Sie können unter bestimmten Bedingungen Stufen und Treppen herunterfahren oder -springen. Auch das ist etwas, was man seinem Rollstuhl nicht dauernd antut, aber wenn es brennt natürlich schon.

Es wäre naiv zu glauben, dass Rollstuhlfahrer im Notfall die gleichen Chancen haben, wie Menschen, die auf zwei Beinen rennen können. Es ist aber auch falsch, dass behinderte Menschen auf keine Fall herauskommen und deshalb besser zu Hause bleiben müssen. Die einzige pragmatische Antwort kann nur sein: Das machen, was geht, die Barrierefreiheit von Örtlichkeiten verbessern (und damit auch die Fluchtmöglichkeiten) und Zugang ermöglichen, nicht verhindern.